Mit seinem Hemd an einem Gitter erhängt: So starb der Terrorverdächtige Dschaber al-Bakr am Mittwochabend in der Justizvollzugsanstalt Leipzig. Foto: dpa-Zentralbild

Bei Selbstmordgefahr gibt es in Untersuchungshaft mehrere Sicherheitsstufen.Woraus bestehen sie und warum wurde bei Dschaber al-Bakr auf die höchste Stufe verzichtet?

Stuttgart/Dresden - Dschaber al-Bakr stand im Verdacht, einen Anschlag auf einen Berliner Flughafen geplant zu haben. Nachdem es schon bei seiner Festnahme Pannen gab, hat sich Al-Bakr in der Untersuchungshaft erhängt. Politiker reagieren empört, der Pflichtverteidiger Al-Bakrs sprach von einem „Justizskandal“. Aber was passiert eigentlich, wenn ein Selbstmordgefährderter in U-Haft eingeliefert wird? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Welche Maßnahmen gibt es bei Selbstmordgefährdung in Justizvollzugsanstalten?
Wenn bei der Eingangsuntersuchung eines Inhaftierten Suizidgefahr festgestellt wird, gibt es prinzipiell drei Sicherheitsstufen, erklärt Robin Schray, Sprecher des Justizministeriums Baden-Württembergs. Zwar sei das Justizvollzugsgesetz Landesgesetz, die generellen Bedingungen seien aber bundesweit ähnlich. Als erste Stufe wird ein Mensch mit Selbstmordgedanken im Gefängnis in einer sogenannten „einfachen Gemeinschaft“ untergebracht, damit er nicht dauerthaft alleine ist. Dabei kann die anderen Person die Zelle aber zwischendurch verlassen, die dauerhafte Anwesenheit anderer Häftlinge ist also nicht gewährleistet. Die zweite Stufe – die sogenannte „ständige Gemeinschaft“ – stellt dagegen sicher, dass ohne Unterbrechung ein anderer Häftling mit dem Selbstmordgefährderten zusammen in der Zelle ist. Die dritte Stufe: Die Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum. Solche Räume seien komplett kahl, ohne jegliche Möbel, und auch die Toilette bestehe nur aus einem Loch im Boden, damit Häftlinge sich nicht ertränken können, erklärt der Sprecher des Landesjustizministeriums.
Wie war Dschaber Al-Bakr untergebracht?
Wie die sächsischen Behörden am Donnerstagvormittag in einer Pressekonferenz bekannt gaben, war Dschaber al-Bakr nicht in einem besonders gesicherten Haftraum, sondern in einem gewöhnlichen Haftraum in Einzelhaft untergebracht. Denn eine „akute Selbstmordgefahr“ hätte das Aufnahmepersonal in seinem Fall nicht gesehen, sagte Rolf Jacob, der Leiter der JVA Leipzig, wo Al-Bakr untergebracht war, auf einer Pressekonferenz zu dem Selbstmord am Donnerstagvormittag. In Al-Bakrs Haftraum gab es ein Zwischengitter. Laut der Behörden soll das Gitter zum Beispiel bei Agressionen eines Häftlings davor schützen, dass er beim Öffnen der Zelle unmittelbar den Beamten gegenüber steht. An diesem Gitter habe Al-Bakr sich mit seinem Hemd erhängt.
Warum war Al-Bakr nicht in einem besonders gesicherten Haftraum untergebracht?
Die rechtlichen Hürden für solch eine Unterbringung sind laut Robin Schray, Sprecher des Justiziministeriums Baden-Württemberg, hoch. Diese Unterbringung stelle einen starken Eingriff in die Grundrechte dar und sei nur schwer mit der Menschenwürde vereinbar. Um solch eine Unterbringung anzuordnen „muss akute Lebensgefahr bestehen“, sagte Rolf Jacob, der Leiter der JVA Leipzig. „Diese akute Gefahr wurde von dem aufnehmenden Personal nicht gesehen“, so Jacob. Auch nachdem der Verdächtige eine Lampe aus der Decke gerissen und eine Steckdose manipuliert hatte, wurde er nicht in einen besonders gesicherten Raum verlegt. Die Aktion sei eher als Vandalismus, nicht als Suizidversuch gewertet worden, sagte Jacob. Es habe „keinerlei Probleme“ in seinem Verhalten gegeben. Al-Bakr war zwar in einen Hungerstreik getreten, es sei aber eben keine aktue Selbstmordgefahr festgestellt worden. Zugleich habe man sich wegen der Möglichkeit, dass Al-Bakr andere gefährde, gegen eine Unterbringung in Gemeinschaft entschieden, erklärte Jacob. Allerdings wurde Al-Bakrs Zelle regelmäßig kontrolliert, zunächst in 15-Minuten-Intervallen, später alle 30 Minuten.
Werden Häftlingen in Untersuchungshaft die Kleider abgenommen?
In der Untersuchungshaft gebe es in der Regel keine Anstaltskleidung, weil die Inhaftierten ja noch nicht verurteilt seien, sagt der Sprecher des baden-württembergischen Justizministeriums Schray. Die Menschen dürften also ihre gewöhnliche Kleidung anbehalten, es sei denn, hygienische Umstände sprächen dagegen. Laut Schray wird erst bei Stufe drei – also dem besonders gesicherten Haftraum – Spezialkleidung angeordnet. Das sei dann eine Art Overall. Ähnliches gelte für Brillen oder Gürtel: Auch solche Gegenstände würden Häftlingen in der Regel erst bei der dritten Sicherheitsstufe abgenommen.
Wieviele Selbstmorde in Justizvollzugsanstalten gibt es in Baden-Württemberg?
Nach Angaben des Justizministeriums schwankt die Zahl pro Jahr etwa zwischen vier und 20 Suiziden. Selbstmorde zu vermeiden, sei dem Ministerium ein großes Anliegen, sagt Ministeriumssprecher Schray. Aber: „In einem menschenwürdigen Vollzug ist die Selbsttötung nicht völlig auszuschließen“, so Schray. Zahlen dazu, wie oft im Land Häftlinge in besonders gesicherten Hafträumen untergebracht werden, lägen nicht vor, so Schray. An der Justizvollzugsanstalt gebe es eine Psychologin, die als landesweite Ansprechpartnerin für den Schutz vor Selbstmorden in den JVAs arbeitet und zum Beispiel Schulungen in anderen Anstalten gibt. Im kommenden Jahr solle noch eine weitere solche Stelle hinzu kommen, sagt Schray. Dies hänge aber noch davon ab, ob die entsprechende Haushaltsplanung bewilligt werde, da der Haushalt des Landes für 2017 noch nicht verabschiedet ist.