46 Prozent alle Inhaftierten in Baden-Württemberg haben einen Migrationshintergrund. Um die Kommunikation zu erleichtern, werden im Südwesten nun Dolmetscher per Video zugeschaltet. Das Projekt ist für sechs Monate vorgesehen.
Stuttgart - Baden-Württembergs Gefängnisse sind überfüllt, und knapp die Hälfte der Häftlinge spricht kein oder nur wenig Deutsch - per Video zugeschaltete Dolmetscher sollen deshalb den Bediensteten die Arbeit erleichtern. Seit einem Monat wird das Projekt in sechs Justizvollzugsanstalten (JVA) im Südwesten getestet. „Insbesondere der gewachsene Anteil ausländischer Gefangener stellt uns vor enorme Herausforderungen“, sagte Justizminister Guido Wolf (CDU), der am Mittwoch in der JVA Stuttgart-Stammheim eine erste Bilanz zog.
In Baden-Württemberg sitzen derzeit 7400 Menschen hinter Gittern, 1000 mehr als noch vor zwei Jahren. Rund 46 Prozent von ihnen haben einen Migrationshintergrund.
Bei Bedarf wird ein Dolmetscher über das Internet angefragt, um Gespräche zu übersetzen. Die Privatpersonen kommen überwiegend aus Deutschland und wurden zuvor vom österreichischen Dienstleister SAVD Videodolmetschen auf ihre Eignung überprüft. So müssen sie unter anderem ein abgeschlossenes Studium vorweisen und dafür Sorge tragen, dass Häftlinge medizinische Maßnahmen verstanden haben. Zu jeder Tageszeit seien rund 750 Dolmetscher abrufbereit. Wolf: „Der klassische Übersetzer ist nicht 24 Stunden am Tag verfügbar.“
Situation der Gefängnisse in Baden-Württemberg bleibt angespannt
An dem sechsmonatigen Testbetrieb nehmen neben der JVA Stammheim auch Bruchsal, Karlsruhe, Rottenburg, Hechingen (Außenstelle von Rottweil) sowie das Justizvollzugskrankenhaus Hohenasperg teil. Das Justizministerium will indes weiter auf klassische Übersetzer setzen und künftig Sprachkurse für die Bediensteten anbieten. Nach Angaben des Dienstleisters setzen in Deutschland schon Gefängnisse in Uelzen (Niedersachsen) und Frankfurt am Main (Hessen) das Programm ein.
Die Situation der 17 Gefängnisse im Ländle bleibt unterdessen angespannt. Sie gelten seit Sommer 2016 als überbelegt, da sie derzeit nur 7100 Menschen aufnehmen können. Im März hatte sich der Justizminister für den weiteren Betrieb des Altbaus in der JVA Stammheim ausgesprochen, in dem in den 1970er Jahren Gefangene der linksterroristischen Roten Armee Fraktion (RAF) untergebracht waren. Dadurch konnten 400 zusätzliche Haftplätze angeboten werden. Ursprünglich sollte der Bau abgerissen werden. Bis Ende des Jahres sollen in der JVA Stammheim 670 weitere Plätze geschaffen werden.
Finanzielle Mittel für Projekt wurden erhöht
Auch in anderen Städten des Landes versucht man, durch Baumaßnahmen mehr Häftlinge unterbringen zu können. In der JVA Heilbronn konnten bereits 60 neue Plätze in Betrieb genommen werden. Die neue JVA Rottweil soll 500 weitere Hälftlinge beherbergen. Mit der Fertigstellung wird 2023 oder 2024 gerechnet. Zusätzlich wurden bislang 67 neue Stellen für Personal geschaffen. Langfristig sollen 200 neue Mitarbeiter eingestellt werden.
Für das Video-Projekt wurden die vorgesehenen Mittel um 60 Prozent auf 150 000 Euro erhöht. Einen Haken hat es dennoch: Vor einer Live-Schalte müssen Häftlinge schriftlich einwilligen, mitzumachen. Sollte dies nicht der Fall sein, dürften die Mitarbeiter der Anstalten mehr Unterstützung im Umgang mit kooperationsunwilligen Insassen erwarten, monierte die FDP-Landtagsfraktion: „Hier wird mehr Engagement der Landesregierung gefragt.“