Tankstellen sind Mangelware auf der Fahrt über die Anden. Und Angst vor der Einsamkeit sollte man bei dieser Tour auch nicht haben. Foto: Röseler

Dünne Luft, die Piste holprig, wer aussteigt, dem wird schummrig. Mit dem Auto durch die Anden

Die Schuldfrage wurde nie geklärt. War es Unachtsamkeit oder pure Absicht, als die Nazca-Platte mit Schwung in die südamerikanische krachte? Dieser kontinentale Auffahrunfall ist schon 150 Millionen Jahre her, durch ihn erhob sich das mit 8000 Kilometern längste Gebirge der Welt aus dem Boden – die Anden. Außerhalb von Himalaja und Karakorum gibt es keine höheren Gipfel auf dem Planeten Erde. Fotograf Daniel ist nicht so leicht zu beeindrucken. "Ich finde die Alpen spektakulärer", krittelt er. Vor seinem Objektiv erhebt sich der Ojos de Salado, 6893 Meter hoch. "Nur" der zweithöchste Berg der Anden, aber der höchste Vulkan der Erde. Seit langem steht er reglos am Paso San Francisco. Die Seismologen warnen: Er schläft nur.

Es fehlt ihm die majestätische Steilheit eines Matterhorns, auch die kegelförmige Symmetrie eines Fudschijama hat er nicht. Bis zum höchsten Punkt schraubt sich schon die Schotterpiste zwischen Argentinien und Chile noch bis 4762 Meter. Auf argentinischer Seite geht das schwarze Asphaltband sanft abfallend durch ein Meer von knallgelbem Punagras nach Tinogasta. Vorher gibt es keine Tankstelle. Reiseführer warnen vor astronomischem Spritverbrauch in großen Höhen, aber auf der Passhöhe ist der Tank unseres VW Touareg noch zu zwei Dritteln gefüllt. So glucksen im Kofferraum 20 Liter Super im Kanister angesichts der Vorsicht der Reisenden höhnisch vor sich hin.

Was soll's, der Extra-Sprit beruhigt die Nerven. Wer sich mit dem Auto aufmacht, um die Aussicht vom Dach Südamerikas zu genießen, wird eine latente Anspannung nicht los. Es beginnt mit der Einsamkeit. Die Landesgrenze zwischen Argentinien und Chile führt meist über die höchsten Kämme, und die sind dünn frequentiert. An der Grenze ist grundsätzlich niemand. Kein Zöllner will auf 4500 Meter Höhe Dienst schieben. Damit sind wir gleich beim zweiten Punkt: der Höhe. Die Achtzylinder-Sänfte mit ihren 350 PS täuscht über die eigentliche Mühsal hinweg. Wer ganz oben dynamisch vom Sitz springt, um die Gegend zu erkunden, dem legt sich schon nach wenigen Schritten ein Grauschleier um das Sichtfeld. Es folgt ein mulmiges Gefühl im Magen, und der Schwindel setzt ein.

Wer sich nicht wochenlang akklimatisiert hat, tut besser daran, sich langsam zu bewegen. Doch Langsamkeit allein behebt nicht alle Probleme. Viele Anden-Reisende ereilt die Höhenkrankheit, meist angekündigt durch heftigen Kopfschmerz. Wenn es zu Lungen- oder Hirnödemen kommt, wird der Höhenausflug lebensgefährlich, und eine zügige Rückreise unter 3000 Meter ist angesagt. An Lebensfeindlichkeiten zu erwähnen sind noch Kälte und Trockenheit. Auch wenn die Sonne scheint, liegt die Temperatur nur wenig über null Grad Celsius, in der Nacht sinkt sie bis minus 15 Grad.

Vor einem Geröllfeld am Paso de Penon erhebt sich ein sanfter Sattel, hinter dem der Bergsee Corona del Inca ein fantastisches Fotomotiv abgibt. Aber der Boden ist weich, die Piste weit abseits der Straße, die am Tag von nicht mehr als einem halben Dutzend Autos befahren wird. Fängt der Allrader an zu wühlen, beginnt im Kopf das Rechnen: Reicht der Sprit, um notfalls eine Nacht durchzufahren? Im Handschuhfach sind noch zwei Rollen Kekse. Sind im Kofferraum noch viereinhalb Liter Wasser oder sechs? Die schneebedeckten Gipfel täuschen. Die Anden sind eine hochgeschobene Wüste mit spärlichen Wasserstellen.

Bei all den Gefahren stellt sich naturgemäß die Frage: Wer tut sich so etwas freiwillig an? Die Abra de Acay zwischen San Antonio de los Cobres und La Poma ist mit 4966 Metern nicht nur eine der höchsten Straßen der Welt, sondern auch eine der schlechtesten. Mit einem bereits geflickten Reifen eine 40 Kilometer lange Abfahrt zu meistern, bei der alle 500 Meter ein Bachbett mit gefährlich spitzen Steinen lauert, lässt das Gefühlsleben zwei Stunden lang zwischen adrenalinbefeuerter Euphorie und schwelender Furcht pendeln. Noch ein Plattfuß bedeutet mindestens eine Nacht am Berg.

Das Gefühl, eine eigentlich lebensfeindliche Welt überlebt zu haben, treibt viele Menschen in die Höhe. Es ist ein bisschen wie eine Reise zum Mond. Und wie ein Astronaut kehrt auch der Anden-Reisende mit unglaublichen Bildern im Kopf zurück. Samtüberzogene Berge am Paso Agua Negra, knallrote Hügel voller Eisenoxid daneben. Pastelltöne in Beige und Grau umrahmen den schneeweißen Salzsee Laguna Brava in 4200 Meter Höhe, im Sommer bevölkert von Tausenden pinkfarbener Punkte, wenn die Flamingos kommen. "Ich habe noch sie so viele Farben gesehen", sagt der Fotograf. Und schließlich: Wer kann schon von sich sagen, er habe – ganz ohne Fluggerät – in fünf Kilometer Höhe die Wolken von oben betrachtet?

Bis zu fünf Meter hohe Eiszacken ragen zu Tausenden aus dem Boden am Paso Agua Negra. Diese Büßereisfelder, benannt nach den weißen Hauben spanischer Prozessionen, sind seltene Naturphänomene. Am San Francisco liegen gezackte Hügelketten nebeneinander wie ein Dutzend schlafender Drachen. Plattenformationen, die vor Urzeiten einmal waagerecht lagen, haben sich Hunderte von Metern senkrecht aus dem Boden geschoben. Es gibt wenige Orte, die so eindrucksvoll zeigen, mit welcher Gewalt unser Planet geformt wurde. Als die Rallye Dakar zum ersten Mal über den Paso San Francisco rollte, stoppten die Fahrer. Stéphane Peterhansel, neunfacher Sieger der berühmtesten Marathon-Rallye der Welt, dachte eigentlich, dass die endlosen Dünenfelder der Sahara an Anmut nicht zu schlagen sind. Vor sich hatte er den Ojos de Salado, hinter sich die türkisfarbene Laguna Verde. "Mein Gott, ist das schön hier", sagte er. Dann zückte er die Kamera. "Das glaubt mir ja sonst zu Hause keiner."

Mit dem Auto in die Anden

Mietwagen
Selbst die Schotterstraßen sind mit einem normalen Pkw bezwingbar. In einem Geländewagen ist die Route besser zu bewältigen. Drei Wochen kosten dann etwa 2500 Euro; www.holidayautos.de, www.avis.com, www.hertz.de

Reisezeit
Zwischen Mai und August regnet es im Nordwesten am wenigsten. Von August bis Oktober herrschen angenehme Temperaturen bis 27 Grad Celsius.

Übernachten
Selbst in den abgelegenen Gegenden finden sich Übernachtungsgelegenheiten. Ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis bietet das Hotel Los Condores in Uspallata mit etwa 30 Euro pro Nacht, www.loscondoreshotel.com.ar. Ein Schmuckstück ist das Hotel Killa im Kolonialstädtchen Cafayate in der Provinz Salta. Für 40 Euro bezieht der Gast liebevoll eingerichtete Zimmer, Gastgeberin Martha ist hilfsbereit und sorgt für ein ausgezeichnetes Frühstück, www.killacafayate.com.ar.

Preise
Währung: 1 Argentinischer Peso (ARS) entspricht 18Cent, 1 Euro entspricht 5,60 ARS.
Flasche Bier 1,80 Euro
Fleischgericht 9 Euro
Drei-Gänge-Menü 18 Euro
Die Preise in Argentinien sind fast durchgehend günstiger als in Deutschland. Vor allem Benzin ist nur etwa halb so teuer.

Was Sie tun und lassen sollten
Auf jeden Fall sollten sie ein paar Brocken Spanisch lernen. Wer die Grenze nach Chile überqueren will, benötigt zusätzliche Fahrzeugpapiere, die bei Mietwagenfirmen mit rund einer Woche Vorlauf angefordert werden können. Vor jeder Etappe sollten ausreichende Wasservorräte und Lebensmittel im Auto sein. Weil das Tankstellennetz in den Bergen dünn gesät ist, empfiehlt es sich, bei jeder Gelegenheit nachzutanken. Das Reserverad sollte immer parat sein. Auf keinen Fall sollten Sie allein das Gelände abseits der Straßen erkunden, sondern immer mit mindestens zwei Fahrzeugen.