Ohne Stress und unter medizinischer Obhut spritzen sich die Abhängigen das synthetische Heroin in der Diamorphinpraxis. Foto: Lichtgut/Piechowski

Seit zwei Jahren gibt es in Stuttgart die Abgabe von synthetischem Heroin an Schwerstabhängig. Die Suchthilfebilanz für das vergangene Jahr zeigt: die Nachfrage nach dem Angebot ist ungebrochen hoch. Entsprechend hat das Regierungspräsidium die Platzzahl erhöht.

Stuttgart - Die Abgabe von synthetischem Heroin an Schwerstabhängige erreicht mehr Betroffene als erwartet. Bei der Eröffnung der Diamorphinabgabe vor zwei Jahren war man von maximal 50 Patienten ausgegangen, allerdings nach einigen Jahren, heute sind es schon 65. Und das Regierungspräsidium hat dem Suchtmediziner Andreas Zsolnai, der die Einrichtung betreibt, inzwischen sogar die Behandlung von bis zu 80 Suchtkranken genehmigt.

„Das Projekt hat sich überplanmäßig entwickelt“, sagt Sozialbürgermeisterin Isabel Fezer (FDP). Es zeige sich, dass die Stadt mit der 2,5 Millionen Euro teuren Einrichtung ein „wichtiges und sinnvolles Angebot“ geschaffen habe. „Und es gibt keine Probleme mit den Nachbarn“, sagt die Sozialbürgermeisterin, die sich für das Projekt auch gegen Widerstände in der Verwaltung eingesetzt hat, mit Bedacht. „Das ist ein Vorzeigehaus, das sich fachlich als sehr gut erwiesen hat.“

Etwa 1800 Menschen nehmen harten Drogen

Nach einer Schätzung leben in Stuttgart etwa 1800 Menschen, die harte Drogen wie Heroin nehmen. Für diese gibt es derzeit in der Landeshauptstadt 873 Substitutionsplätze, das heißt: in diesem Umfang werden Heroinabhängige mit Ersatzstoffen wie Methadon oder Subutex behandelt – oder neuerdings mit Diamorphin.

Letzteres Angebot richtet sich an eine bestimmte Gruppe von Süchtigen. Diese sind mindestens 23 Jahre alt, schon viele Jahre in der Drogenszene, sie haben mindestens zwei erfolglose Therapien hinter sich, sind körperlich wie psychisch stark angeschlagen. Und sie hatten bei der Behandlung mit Methadon stets sogenannten „Beigebrauch“, haben sich in dieser Zeit also trotzdem immer wieder auch Heroin gespritzt.

Das Programm ist für die Abhängigen anspruchsvoll

„Es ist faszinierend zu sehen, wie die Menschen sich schnell stabilisieren“, sagt Andreas Zsolnai über die Erfahrungen in der Diamorphinabgabe. Die Nachfrage sei „ungebrochen hoch“. Dabei sei das Angebot, bei dem sich die Teilnehmer das synthetische Heroin unter Aufsicht selbst spritzen, für die Abhängigen anspruchsvoll. „Das ist kein Programm für Verlierer und völlig Abgestürzte.“ Die Patienten müssen dreimal am Tag in das Suchthilfezentrum an der Kriegsbergstraße kommen. Sie haben jeden Tag Kontakt mit Ärzten und Sozialarbeitern. Zsolnai: „Das schaffen nur Leute, die auch was ändern wollen in ihrem Leben.“

Wesentlich für das Konzept der Einrichtung ist die Zusammenarbeit mit der Drogenberatungsstelle Release, die mit im Haus sitzt. „Wir betreuen alle Patienten psychosozial“, sagt Ulrich Binder, der Geschäftsführer von Release. Im Haus hat auch ein niedergelassener Psychotherapeut seine Praxis, mit dem man bei einer Therapiegruppe für Drogenabhängige kooperiert. Gut besucht ist das „Café Sub“ im Erdgeschoss des Hauses. „Es kommen jeden Tag 40 bis 50 Betroffene, das ist wirklich viel“, sagt Ulrich Binder.

Zwei Drittel der Süchtigen sind arbeitslos

Ergänzt wird das Konzept nun noch durch niederschwellige Arbeitsgelegenheiten für die Substituierten (neben den 65 Personen im Diamorphinprogramm erhalten in der Praxis 110 Abhängige Methadon oder Subutex). Zwei Drittel der in Stuttgart betreuten Opiatabhängigen, das zeigt der Suchthilfebericht 2015, sind arbeitslos.

Inzwischen haben die ersten Substituierten eine Art Ein-Euro-Job im Haus, etwa eine Putzstelle oder Hilfsdienste im Büro. Schon bald beginne der Umbau des Untergeschosses in eine kleine Werkstatt. „Unser Ziel ist, dort kleine Montagearbeiten für Firmen zu machen“, sagt Ulrich Binder. Das Arbeitspensum reicht von einer bis zu 15 Stunden pro Woche, wer länger einsatzfähig ist, kann es auch mit einer Arbeitsgelegenheit über das Jobcenter versuchen. „Diese Tätigkeiten sind für die Menschen sehr wichtig“, sagt Andreas Zslonai. Wenn die Werkstatt im Keller fertig ist, habe man auch „ein durchgängiges arbeitstherapeutisches Angebot“, so der Suchtmediziner.