Rund fünf Tabletten schluckt ein 70- bis 79-Jähriger durchschnittlich am Tag, ergab eine Untersuchung des Robert-Koch-Instituts. Das ist riskant, wenn die Senioren zu mehreren Ärzten gehen, von denen der eine nicht weiß, was der andere verordnet hat. Foto: dpa-Zentralbild

In Deutschland sind mehr Menschen von Medikamenten abhängig als von Alkohol. Doch auch die Lust auf Bier und Wein ist nach wie vor groß.

Berlin - Die Zigarette nach dem Essen, das Glas Rotwein am Abend oder die Tablette für den guten Schlaf – alles noch im Normalen, so denken viele. Doch wann wird aus einer schlechten Angewohnheit eine Krankheit? Nach dem „Jahrbuch Sucht 2017“ zu urteilen, das die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen am Dienstag vorgestellt hat, können die Bundesbürger dies für sich schlecht beantworten. Insbesondere dann, wenn es sich um ein gesellschaftlich akzeptiertes Rauschmittel handelt. Ein Überblick über die häufigsten Süchte der Deutschen:

Alkohol

135, 5 Liter alkoholische Getränke hat jeder Deutsche 2015 getrunken. Foto: dpa
„Ein Gläschen am Tag schadet nicht“ oder „Rotwein ist gesund“ oder „Alkohol vertrage ich gut, dann kann er auch nicht schaden“ – Sätze wie diese gehören wissenschaftlich gesehen zu den Alkoholmythen, werden aber dennoch zu gern geglaubt: Denn es wird in Deutschland nach wie vor viel getrunken. So liegt der Pro-Kopf-Konsum beim Alkohol demnach weiterhin auf sehr hohem Niveau. 2015 wurde mit umgerechnet 9,6 Liter reinem Alkohol ebenso viel getrunken wie im Jahr davor. Der Gesamtverbrauch an alkoholischen Getränken sank 2015 nur leicht um gut ein Prozent auf 135,5 Liter pro Kopf (Zahlen von 2016 liegen noch nicht vor). Und das, obwohl Alkohol zu den Genussmitteln gehört, die leicht süchtig machen: Insgesamt 3,38 Millionen Erwachsene in Deutschland waren laut Hochrechnungen des Statistischen Bundesamts 2016 entweder von Alkoholmissbrauch oder einer Alkoholabhängigkeit betroffen. Bei Männern wurde in Krankenhäusern keine andere Diagnose so häufig gestellt wie psychische Verhaltensstörungen durch Alkohol, nämlich knapp 240 000 Behandlungsfälle. Auch das Komasaufen nimmt nicht ab: Die Zahl der Kinder, die wegen Alkoholmissbrauchs im Krankenhaus behandelt werden mussten, war 2015 mit rund 22 000 Patienten zwischen zehn und 19 Jahren nur wenig niedriger als im Vorjahr. Ungezählt bleiben die Krankheitsdiagnosen, für die Alkohol verantwortlich gemacht wird, deren Nachweis aber schwer ist: Leberschäden, Krebs, Bluthochdruck, Herzschäden und Schlaganfälle.

Wie sinnvoll sind Alkoholpausen?

Auch wenn die Zahlen erschrecken, verzichten muss auf Wein, Bier und Sekt keiner. Aber eine längere Trinkpause einzulegen ist nie verkehrt, heißt es beim Arbeitskreis Qualifizierter Entzug in der Inneren Medizin des Berufsverbands Deutscher Internisten. Wer beispielsweise zwei Monate auf Alkohol verzichtet, bei dem können sich Leberschäden wie beispielsweise eine Fettleber, wieder zurückbilden. Aber auch kürzere Pausen wie etwa ein Monat ohne Bier und Wein tun dem Immunsystem gut. In jedem Fall sollte an mindestens zwei Tagen pro Woche kein Alkohol getrunken werden. Die Vorteile: Man verliert an Gewicht, weil der alkoholbedingte Heißhunger verschwindet. Auch schläft es sich ohne das abendliche Glas Rotwein besser. Doch wie bleibt man stark, während die anderen zum Bier greifen? Gesellschaftliche Anlässe sollten nicht grundsätzlich gemieden werden, sagt Michaela Goecke, Leiterin des BZgA-Referats Suchtprävention. „Aber man sollte seine Position klar darstellen: in Form eines freundlichen, aber bestimmten Neins zu Alkohol.“ Es sei nicht unhöflich, wenn man keinen Alkohol trinkt.