Hip-Hop Opa P. Diddy (50), bürgerlich Sean Combs, drehte mal ein Video an der Weinsteige in Stuttgart. Unser Autor findet, man kann das auch noch heute feiern. Foto: dpa/Justin Lane

Hilfe, sind wir alt geworden! Ende Februar lädt das Römerkastell in Stuttgart zum Tanz zu altbackener Hip-Hop-Musik aufs Parkett. Es ist die erste Ü30-Party ihrer Art im Kessel. Vielleicht ist es Zeit für einige Eingeständnisse, meint Redakteur Sascha Maier.

Stuttgart - Eigentlich war es eine so schäbige Aktion vor knapp zehn Jahren, dass man vielleicht gar nicht darüber schreiben sollte. Jedenfalls war der Autor dieser Zeilen, Baujahr 1987, ein fescher Bursche Mitte zwanzig, mit einem guten Freund in der Galeria Kaufhof in der Stuttgarter Stadtmitte, irgendein Geschenk kaufen. Es lockte Musik aus dem Betriebsrestaurant, grausiger Schlager, der vermutlich selbst Helene-Fischer-Fans davongejagt hätte, falls es die damals schon gab. Es roch nach Altersheim, ein Alleinunterhalter stand hinterm Keyboard. Wir kauften uns ein Bier, beobachteten die balzenden Senioren aus sicherer Entfernung, nannten das Treiben „Mumienschieben“ bis uns ein Gast der Party um 15 Uhr aufforderte, zu gehen.

Für den Rentnerbalz im Kaufhausrestaurant sind wir zwar sicher noch zu jung. Wir bekommen gerade noch so mit, dass Facebook bei den wirklich jungen Leuten ungefähr so angesagt ist wie bei uns Helene Fischer. Es ist halt so: Bei uns ist es eben der Oldie unter den sozialen Netzwerken, dessen Veranstaltungskalender wir zur Planung unserer immer gediegener werdenden Wochenenden nutzen.

Der Hipster-Opa in Reeboks

Und da ploppt dann plötzlich rechts oben auf dem Smartphone die Einladung auf: „Old but Gold - Ü30 Hip Hop Party“, 29. Februar, Phoenixhalle im Römerkastell.

Denyo (43) von den Beginnern kommt, DJ Friction vom Freundeskreis (Alter laut Wikipedia unbekannt, graubärtig) legt auf. War jetzt zwar nicht ganz das, was wir vor zehn oder 15 Jahren gehört haben, aber ist uns doch noch näher als dieses ganze autogetunte Vocalizer-Zeug, das man heute auf Hip-Hop-Partys so hört (wobei Apache 207 fantastisch ist). Mucke aus dem Zeitalter studiVZ eben, wer brauchte schon Instagram; Dates konnte man auch da klar machen und mit schmeichelnden Fotos geschummelt wurde auch damals schon.

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Die Mädels von damals, die wir auf der Party treffen werden, sind heute wahrscheinlich leopardengemusterte Frauen mit Perlenohrringen, ihre nicht mehr ganz so wilden Kerle Berufsjugendliche, die ihre Halbglatzen unter Basecaps verstecken. Die Familienkutsche haben die einstigen WG-Bewohner für die Reise in die Vergangenheit auf der Kieseinfahrt in Herrenberg stehen lassen, der Babysitter ist bestellt. Babysitter empfehlen übrigens auch die Veranstalter auf Facebook.

Der Besuch einer Ü30-Hip-Hop-Party ist wirklich nicht ganz leicht, jetzt rein mental gesehen. Soll man jetzt einen auf peinlichen Hipster-Opa machen, sich ein altes Adidas-Shirt und Reeboks anziehen und so tun, wenn man’s jetzt ironisch versucht, ist es schon cool? Oder Hut, Sonnenbrille und einen dunklen Mantel tragen und sich mit dem Taxi vorfahren lassen, als ginge man auf eine Fetischparty?

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Oder man geht einfach nicht hin, kauft sich eine dunkelgrüne Fleecejacke, macht einen Waffenschein und entdeckt das Jagen als neues Hobby für sich. Oder wird Weinkenner. Oder gleich beides. Oder man kauft sich gleich Panzer-Bausätze von Revell aus Plastik und bemalt diese dann allein im Herrenberger Hobbykeller.

Was der Punk dem Hip-Hop vielleicht schon immer voraus hatte: Man schämt sich da für nix. Vielleicht war der Besuch der Punk-Ausstellung beim Württembergischen Kunstverein in Stuttgart 2017 trotz noch betagterer Gäste für diese mit weniger Überwindung verbunden als für die Hip-Hopper von einst, die ja ehrlicherweise schon immer zu den coolen Kids dazugehören wollten.

Alles vergessen, sobald „Ante Up“ aus der Box wummert

Bei allen Bemühungen zur Abgrenzung wollten die Hip-Hopper ja nie wirklich Außenseiter sein. Stand Donnerstagnachmittag sind knapp 3000 Leute an der Ü30-Hip-Hop-Party in Stuttgart interessiert, sagt Facebook. Man ist also nicht ganz alleine mit der Vorstellung, ernsthaft Teil einer Ü30-Veranstaltung werden zu können.

Und dann stolpert man über den Tweet, dass DJ Thomilla (Turntablerocker) auf seinem Instagram-Account ein Video-Snippet aus der Hochzeit der Kolchose veröffentlicht hat. Dort zu sehen sind Szenen, als P. Diddy, der sich damals noch Puff Daddy nannte, im Jahr 2000 nach Stuttgart kam und dort mit deutschen Hip-Hop-Künstlern ein Video auf der Weinsteige drehte. Veröffentlicht wurde es nie. Für die Jüngeren: Das wäre so, als ob Cro plötzlich mit Kendrick Lamar oder Drake in Stuttgart chillt. Es war eine geile Zeit.

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Das alles macht Hoffnung, dass es auch im Altersheim geil wird, wenn es mit dem Breakdance zugegeben schwierig werden dürfte. Vielleicht tanzen wir in zwanzig Jahren auch in der Galeria Kaufhof, wenn DJ 5ter Ton von den Massiven dort Dr. Dre, Nas und Wu-Tang Clan auflegt (oder, für richtige Feinschmecker: Company Flow, R. A. the Rugged Man oder Aesop Rock). Und am 29. Februar sind alle Zweifel an der eigenen Identität wahrscheinlich sofort verflogen, sobald bei „Ante Up“ von M.O.P die Bässe aus den Boxen wummern.