Die Turnweltmeisterschaft hat Wolfgang Drexler auch mit Hilfe von schwäbischen Maultaschen nach Stuttgart geholt. Foto: Horst Rudel

An Wolfgang Drexler kommt keiner vorbei. Regelmäßig geht der SPD-Politiker als Stimmenkönig aus Kommunalwahlen hervor. Warum das so ist, haben Leserinnen und Leser jetzt im Rahmen der Reihe „StZ im Gespräch in Esslingen“ aus erster Hand erfahren.

Esslingen - Ein alter politischer Weggefährte hat den Erfolg des Esslinger SPD-Urgesteins Wolfgang Drexler einmal so beschrieben: Da sein für die Menschen – 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, 52 Wochen im Jahr und das 40 Jahre lang. Am Mittwoch sind noch einmal zwei Stunden dazu gekommen. Zwei Stunden, in denen rund 90 Leserinnen und Leser im Rahmen der Reihe „StZ im Gespräch in Esslingen“ spannende Einblicke ins Leben und ins Seelenleben eines Politikers bekommen haben, der für seinen Beruf brennt – und der sich diese Leidenschaft auch im gesetzten Alter von 72 Jahren bewahrt hat.

Aktuell, das ließ Drexler in der lockeren Plauderei mit Kai Holoch, dem Leiter der StZ-Redaktion in Esslingen, anklingen, liegt die Betonung eher auf „Leiden“. Die SPD ist in der Wählergunst abgestürzt und das wird dem Vollblut-Politiker bei jeder Debatte im Landtag schmerzhaft vor Augen geführt. „Wir stehen auf der Rednerliste hinter der stärksten Oppositionsfraktion, der AfD, auf dem zweiten Platz. Bevor wir uns mit dem jeweiligen Thema und der Regierung auseinandersetzen können, müssen wir jedes Mal zuerst fünf Minuten lang den Unsinn zurechtrücken, den die Vorredner der AfD von sich gegeben haben“, klagt er.

Mandate und Ehrenämter ohne Ende

Doch Drexlers Welt ist nicht nur der Landtag. Er war und ist (Aufzählung aus Platzgründen höchst unvollständig): 47 Jahre Esslinger Kreisrat, 43 Jahre Esslinger Stadtrat, bei allen Kommunalwahlen seit dem Jahr 2004 unangefochtener Stimmenkönig, 30 Jahre Abgeordneter im baden-württembergischen Landtag, Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses, Sprecher von Stuttgart 21, Generalsekretär der baden-württembergischen SPD, Fraktionsvorsitzender seiner Partei im Gemeinderat, Kreisrat und im Landtag, stellvertretender Landtagspräsident, Vorsitzender des FC Esslingen, Vorsitzender des Schwäbischen Turnerbunds, Vorsitzender des Kreisjugendrings, Vorsitzender des Fördervereins Esslingen-Nord und seit 52 Jahren Mitglied im SPD-Ortsverein Esslingen.

Es ist wohl auch die Vielfalt der Herausforderungen, die ihm hilft, am Ende des Tages immer wieder mit sich im Reinen zu sein. Was zählt der AfD-Ärger gegen die Welle der Solidarität, die Drexler in seiner Heimatstadt gespürt hat, als er sich an die Spitze der Spendenbewegung gestellt hat, die der jüdischen Gemeinde die von den Nazis vernichtete Tora-Rolle neu beschafft hat?

Was zählen die Schmähungen, die er als Stuttgart 21-Sprecher über sich hat ergehen lassen müssen, gegen die Genugtuung, als STB-Präsident die Turnweltmeisterschaften 2019 nach Stuttgart geholt zu haben? „Natürlich haben wir vor dem entscheidenden Wahlgang in Australien alle 65 stimmberechtigten Delegierten der anderen Nationen bewusst bestochen – mit mitgebrachten schwäbischen Maultaschen“, erinnert er sich schmunzelnd.

1968 auf den Barrikaden gestanden

Was zählt der verpatzte Wahlkampf des Jahres 1974, bei dem der von Drexler gemanagte SPD-Kandidat mit Pauken und Trompeten gegen den Außenseiter Eberhard Klapproth unterlegen war, gegen den Erfolg, im Kreistag den Bau einer Müllverbrennungsanlage vor den Toren der Stadt verhindert zu haben? Die Wurzeln von Drexler politischem Engagement reichen zurück bis in die 1950er und 1960er Jahre. Die Teilnahme am Jugendaustausch mit Polen und Israel hat sein Interesse an den Zusammenhängen geweckt, die Person Willi Brandt und deren Wertschätzung vor allem im Ausland hat ihm den Weg in die SPD gewiesen. Und dann natürlich die Diskussion über Jugendhäuser in Esslingen. „Damals gab es drei in Esslingen. Wir wollte mehr und die einzige Partei, die uns zugehört hat, war die SPD“, erinnert er sich. 1968 ist Drexler als Vorsitzender der Esslinger Jusos vor dem Druckhaus der Esslinger Zeitung auf den Barrikaden gegangen und hat an der Spitze der protestierenden Studenten die Auslieferung der dort gedruckten Bild-Zeitung verhindert – um vor wenigen Wochen beim Festakt zum 150-jährigen Bestehen der Lokalzeitung als „Freund des Hauses“ begrüßt zu werden.

Nicht die kurze Aufregung, sondern die langen Linien sind es, die einen glaubwürdigen Politiker ausmachen. Und so wundert es nicht, dass Drexler auf Kai Holochs Frage nach den Kollegen, die er über die Parteigrenzen hinweg am meisten schätzt, den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann von den Grünen und den EU-Kommissar Günther Oettinger von der CDU nennt. „Hinstehen, Farbe bekennen“, das dürfe der Wähler von einem guten Politiker erwarteten. Der SPD sei diese Glaubwürdigkeit abhanden gekommen. Deshalb habe sie in den jüngsten Wahlen Stimmen und Rückhalt verloren. „Wir haben uns beim Flüchtlingsthema weggeduckt“, so Drexler. Da sei die Partei zu weit weg vom Bürger gewesen.

„Bürgernähe heißt Zeit.“ Keiner weiß das besser als Wolfgang Drexler. Und da schließt sich der Kreis zu den 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, 52 Wochen im Jahr und den 40 Jahre – nicht zu vergessen die beiden Stunden am Mittwoch in den StZ-Redaktionsräumen.