In Stuttgart wandert das Thema Kultur in das Referat Allgemeine Verwaltung. Die Kulturschaffenden befürchten einen „Imageverlust für Stuttgart“. OB Fritz Kuhn setzt auf eine Neubestimmung als „Wissenschafts- und Kunststadt“.
Stuttgart - Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) gilt als Mann des Ausgleichs. Und so schien auch nach dem Wechsel von Susanne Eisenmann, Bürgermeisterin für Bildung, Sport und Kultur, an die Spitze des Kultusministeriums in der neuen Koalition aus Grünen und CDU alles bestens vorbereitet. Die Fraktionen im Stuttgarter Rathaus stimmten teilweise neuen Verantwortungsbereichen der Bürgermeister zu. Doch in der Kulturszene rieb man sich verwundert die Augen – und protestierte. Nicht mehr im angestammten engen Dialog mit der Bildungspolitik in der Landeshauptstadt soll künftig Kulturpolitik gemacht werden, sondern in der Verantwortung für Personal und Recht. Vorschlagsrecht hat die CDU – und Fraktionschef Alexander Kotz wird wohl Fabian Mayer benennen. Das Profil kulturinteressierter Jurist passt auf den 35-jährigen Stuttgarter.
Imageverlust befürchtet
Stuttgarts Kulturschaffende geht es nicht um Personen. In einem am Dienstag im Stuttgarter Rathaus übergebenen Aufruf heißt es: „Wir sind über die vorgeschlagene Zuordnung des Kulturamts zum neuen Referat ,Allgemeine Verwaltung, Recht und Kultur’ irritiert und erstaunt. Der Vorschlag erklärt sich uns inhaltlich nicht und entspricht nicht den in ,Kultur im Dialog’ formulierten kulturellen Leitlinien, die insbesondere die Verantwortung von Kultur in den Bereichen Kulturelle Bildung und Wissen, Diversität und Vielfalt und Stadtentwicklung betonen.“
Weiter heißt es: „Mit einer inhaltlich motivierten Zuständigkeit würde die Kultur in Stuttgart nach innen die notwendige Vernetzung und Wertschätzung erfahren, gleichzeitig wäre es nach außen ein Signal für die Strahlkraft und den Stellenwert von Kultur für die Stuttgarter Stadtgesellschaft. Aktuell droht Stuttgart ein Imageverlust.“ OB Kuhn hat sich am Dienstag der Diskussion gestellt – Änderungen aber soll es keine geben. „Es ist nach langen und intensiven Gesprächen gelungen, eine Verwaltungsstruktur zur entwerfen, die nicht nur klare Prioritäten setzt, sondern auch bei den Bürgermeistern und Fraktionen auf breite Zustimmung stößt.“ Der OB sieht die Ansiedlung des Kulturamts im Verwaltungsreferat als Teil eines „Gesamtpakets, das unterschiedliche, inhaltliche Aspekte berücksichtigt“. Und dieses Paket, so Kuhn „werde ich nicht wieder aufschnüren.“
Neuordnung soll bleiben
Und was ist mit dem befürchteten „Imageverlust“? „Das kulturelle Image unserer Stadt“, sagt Kuhn, „wird nicht durch eine Verwaltungsneuordnung beeinflusst. Kulturpolitik behält in Stuttgart ihre besondere Bedeutung, denn ohne Kultur funktioniert unser Stadtleben nicht.“
Die Sachkundigen Bürger im Ausschuss für Kultur und Medien wollen ihre Initiative für ein eigenständiges Kulturreferat fortsetzen. Derweil sieht der OB die Möglichkeit, neue Themenfäden für Stuttgart zu knüpfen und zu verfestigen. „Haben wir bei all dem, was zu verteidigen ist, genügend Atmungsaktivitäten für neue kulturelle Prozesse, Einrichtungen, Organisationen? Kommt das Neue vor lauter Sorge um das Bestehende zu kurz?“, hatte der OB am Dienstag gefragt. Und im weiteren Verlauf der Sitzung des Ausschusses für Kultur und Medien einen Ball aufgenommen, der in einem scheinbar ganz anderen Themenfeld gespielt wurde. Könnte nicht aus den aktuell in Stuttgart erarbeiteten „Reallabor“-Projekten zur Zukunftsmobilität und Stadtquartierentwicklung ein Impuls für eine Neubestimmung der Position Stuttgarts als Wissenschafts- und Kulturstadt werden? Kuhns Antwort:„Würden wir das schaffen, würde es in einer Ausweitung des Themas einen großen Sprung nach vorne bedeuten.“
Impulse für die Stadtgesellschaft
Am Donnerstag legte Stuttgarts OB nach. „Die Landeshauptstadt ist mit ihren vielfältigen wissenschaftlichen Einrichtungen einer der forschungsstärksten Standorte in Deutschland und Europa“, sagte Kuhn unserer Zeitung. Und weiter: „Die Stuttgarter Hochschulen und Forschungseinrichtungen genießen weltweite Anerkennung. Sie sind wesentlicher Impulsgeber für den wirtschaftlichen Erfolg der Region, bilden die Grundlage für den technologischen Fortschritt und damit für Wachstum und Wohlstand in unserer Stadt.“
Als „Besonderheit des Wissenschaftsstandortes Stuttgart“ sieht Kuhn „die enge Vernetzung von Forschung, Entwicklung und Produktion, die Stuttgart zu einer der innovativsten und exportstärksten Hightech-Regionen macht.“
Mehr noch: „Die Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen sind nicht nur Wirtschaftsfaktor und Forschungslabor, sondern auch Impulsgeber im Austausch mit der Stadtgesellschaft“. Projekte wie gerade aktuell die Reallabore würden zeigen, „welche entscheidende Rolle wissenschaftliche Einrichtungen bei der Gestaltung unserer Zukunft spielen.“ Kuhn ist überzeugt: „Nur durch das Zusammenwirken von Wissenschaft, Kultur, Stadt und Gesellschaft können wir die Probleme der Gegenwart und Zukunft lösen und gesellschaftliche Veränderungen aktiv mit gestalten.“
Und wie könnten erste Schritte auf einem solchen Weg aussehen? „Aus der Diskussion im Ausschuss für Kultur und Medien“, sagt Kuhn, „wird die Kulturverwaltung die Anregung aufnehmen, einen offenen Diskussionsprozess zu initiieren, der das kreative Potenzial des Wissenschafts- und Kulturstandorts hebt.“ Damit könne „gleich nach den Sommerferien begonnen werden“.
Kunst trifft Technik
Kuhn weiter: „In einem Auftaktworkshop sollen Handlungsfelder eruiert und ein gemeinsames Mission Statement ‚Wissenschaftsstandort Stuttgart‘ formuliert werden. Die Reallabore könnten in diesem Leitbildprozess Nukleus sein. Ziel ist es, eine Vision für den Wissenschaftsstandort zu entwerfen, die an der Schnittstelle von Kunst, Wissenschaft und Stadtgesellschaft neue übergreifende Aspekte für die Stadtentwicklung und damit Lösungen für virulente Zukunftsfragen entwickelt.“ Eine Position, die sich mit einem Projekt trifft, das mit 140 000 Euro durch die Kulturstiftung des Bundes gefördert wird: Gemeinsam mit dem Theater Rampe initiiert das Künstlerhaus Stuttgart unter dem Titel „Techne“, eine internationale Produktionsplattform, die Theater und Kunst, Technologie und Forschung zusammenbringt. Gesucht werden „aktuelle künstlerische Positionen, die in Kooperation mit High-Tech-Unternehmen und Forschungseinrichtungen in der Region Stuttgart dem Themenfeld der Technik neue Aspekte entlocken“.
Interesse der Spitzenforschung
Geht es nach Saskia Biskup, Co-Direktorin des Center for Genomics and Transcriptomics in Tübingen und Beraterin des Instituts für Klinische Genetik am Klinikum Stuttgart, sollte das Thema Wissenschaftsstandort Stuttgart – etwa im Bereich der bildgebenden Verfahren in der Medizin auch im engen Dialog mit Kunst und Kunstwissenschaft – eiligst umfassend analysiert werden.
Die Humangenetikerin, führend in der Parkinson-Forschung verweist auf das Nachbarland. „Frankreich“, sagt Biskup unserer Zeitung, „plant – nach den USA, Großbritannien und China – insgesamt 670 Millionen Euro in das Vorhaben France Genomic Medicine zu investieren. Die französische Initiative bringt Forschungseinreichtungen, private Institutionen, Industrie, große Kliniken und die politisch Verantwortlichen an zwölf Standorten zusammen.“
Biskup vermisst „Ideen und Visionen, die die zweifelsfrei vorhandenen Voraussetzungen im Bereich der Forschung und der im Bereich der personalisierten Medizin tätigen Firmen zu einem ähnlichen Projekt zusammenfügen“. Und sagt: „Baden-Württemberg und insbesondere der Standort Stuttgart hätten optimale Voraussetzungen, um ein solches Pilotprojekt zu initiieren und auch umzusetzen.“
Und Werner Sobek, Leiter des Instituts für Leichtbau, Entwerfen und Konstruieren, sagte: „Die Region Stuttgart hat eine extrem große Dichte an „hidden champions“ und Weltkonzernen. Diese Struktur braucht hervorragend ausgebildeten Nachwuchs – und dieser muss zu einem großen Teil hier vor Ort ausgebildet werden, will man eine langfristige Bindung sicherstellen. Insofern begrüße ich jede Maßnahme, die zu einer Stärkung der Wissenschaftsstadt Stuttgart beiträgt.“
Was mit der Frage der Bürgermeister-Zuständigkeit für die Kulturpolitik begann, entwickelt sich zur Debatte über die Wissenschafts- und Kulturstadt Stuttgart. Oberbürgermeister Fritz Kuhn wird nichts dagegen haben – will er doch „den Wissenschaftsstandort Stuttgart weiter voranzubringen und national wie international sichtbarer machen“.