Frank Brettschneider sieht OB Fritz Kuhn gefordert. Foto: dpa

Frank Brettschneider, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Uni Hohenheim, vermisst bei Oberbürgermeister Fritz Kuhn eine Vision für Stuttgart. Auch auf anderen Gebieten wartet Arbeit auf ihn.

Stuttgart - Oberbürgermeister Fritz Kuhn ist seit mehr als fünf Jahren im Amt. Die Halbzeitbilanz vor eineinhalb Jahren fiel gemischt aus. Die Zahl der Baustellen, die Kuhn bewältigen muss, ist seitdem nicht kleiner geworden. Fragen an den Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider.

Herr Brettschneider, wie steht der erste grüne OB einer Landeshauptstadt heute da?
Die Bilanz ist durchwachsen – wie zur Halbzeit. In Stuttgart gibt’s – auch jenseits von S 21 – nach wie vor große Baustellen. Einige davon hat er selbst verschuldet wie das Thema Wohnungsbau. Da hat Kuhn große Erwartungen geweckt und noch nicht viel liefern können. In Sachen Führungsstärke und Entscheidungsfreude hat er zugelegt, ist dabei zum Teil aber übers Ziel hinausgeschossen. Denken Sie etwa an seinen Umgang mit der Kritik durch den Verein Aufbruch Stuttgart. Mit dem hat er sich zuletzt so richtig angelegt.
Gegenwärtig hat man den Eindruck, dass vieles stockt – das Kulturquartier kommt nicht voran. Der Interimsstandort für die Oper ist plötzlich wieder keiner, Stuttgart im Schwebezustand.
Es geht schon was voran. Und nicht alles liegt alleine in Kuhns Hand. Beim Thema Oper etwa spielt auch das Land mit. Umso mehr ist sein Geschick gefragt, die Dinge mit dem Land zu koordinieren. Er hat das gleiche Parteibuch wie der Ministerpräsident, mit dem er sich überdies gut versteht – da darf man mehr erwarten als das Hin und Her der letzten Monate.
Sie beschäftigten sich intensiv mit dem Thema Kommunikation bei Bau- und Infrastrukturprojekten. Wie läuft das in Stuttgart? Der Rhetoriklehrer Kuhn ist eigentlich ein Fachmann für Kommunikation.
Da muss sicherlich mehr von ihm kommen. Die Erzählung darüber, wie sich Stuttgart entwickelt und wohin, die ist er bisher schuldig geblieben. Was Schuster vorgeworfen wurde – es würde nur abgerissen und neu gebaut, ohne ein Gesamtkonzept zu haben – den Schuh muss sich auch Fritz Kuhn anziehen. Vielleicht existiert so eine Vorstellung auch gar nicht.
Eine recht konkrete Vorstellung von einem Kulturquartier hat der Verein Aufbruch Stuttgart. Geht Kuhn angemessen mit dieser Gruppe um?
Nein. Ich kann nachvollziehen, dass er sauer ist, wenn der Verein einen eigenen städtebaulichen Wettbewerb ausschreiben und eine Art Baubürgermeisterfunktion übernehmen will. Klar ist aber: Da sind Menschen, die sich für die Stadt engagieren und Ideen einbringen. Ihnen zu sagen, es sei vollkommen unausgegoren, was sie vorschlagen, ist nicht klug. Gerade von einem Grünen-Politiker muss man erwarten, dass er bürgerschaftliche Gruppen einbezieht. Tut er das nicht, verprellt er einen Teil seiner Klientel. Dann ist die Gefahr groß, dass es ihm geht wie seinem Ex-Amtskollegen Dieter Salomon in Freiburg. Er wurde als abgehoben wahrgenommen und nicht wiedergewählt. Da geht’s nichts darum, ob er tatsächlich bürgerfern ist oder nicht, sondern darum, wie die verschiedenen Gruppen in der Stadt ihn wahrnehmen. Die Tatsache, dass aus einer Gruppe wie dem Aufbruch so harsche Kritik kommt, ist schon ein deutliches Warnsignal, dass zu einem für Kuhn wichtigen Teil der Bürgergesellschaft der Gesprächsfaden abgerissen ist.
Was muss er im Hinblick auf eine mögliche erneute Kandidatur 2020 noch bedenken?
Am gefährlichsten ist für Kuhn das Thema Luftreinhaltung und Fahrverbote – das fällt zwar nicht in seine alleinige Verantwortung, aber da kann er ein Glaubwürdigkeitsproblem bekommen. Schon zu Beginn der Dieselkrise wurde ihm vorgeworfen, er laviere. Natürlich muss er schauen, dass er die Interessen der Automobilindustrie mit berücksichtigt. Aber er muss auch die eigenen Anhänger zufriedenstellen. Kuhn darf sich jedenfalls nicht zu sicher fühlen. Die alte Vorstellung, Bürgermeister, die noch mal antreten, werden automatisch wiedergewählt, gilt nicht mehr uneingeschränkt.