Erfolgreiche Kunstexpertin: Stuttgarts Kunstmuseumsdirektorin Ulrike Groos Foto: Wolfgang Schmidt

Das Kunstmuseum Stuttgart ist auf anhaltendem Höhenflug – und Direktorin Ulrike Groos macht weiter Tempo. Im Interview mit den „Stuttgarter Nachrichten“ spricht sie über ihre Pläne.

Stuttgart - Seit 2010 ist Ulrike Groos Direktorin des Kunstmuseums Stuttgart. Und immer wieder engagiert sie sich über die Belange ihres Hauses hinaus – für eine Verzahnung der Kultureinrichtungen im Stadtraum.

 

Frau Groos, ein internationales Echo für Patrick Angus, überraschend gute Zahlen für die Sonderausstellungen zu Reinhold Nägele und zuletzt zu „Mixed Realities“ – das Jahr könnte kaum besser für Sie laufen . . ..

…Nicht zu vergessen Tino Sehgal, der uns viele Erstbesucher ins Museum brauchte! Wir sind in der Tat gut besucht – und haben, was mir besonders wichtig ist, tolle Rückmeldungen der Besucherinnen und Besucher sowie ein sehr gutes Presseecho. Stimmt, besser hätte es für 2018 bisher nicht laufen können.

Ich unterstelle jetzt mal, da klingelt ab und zu das Telefon, ob Sie nicht diese oder jene Aufgabe übernehmen möchten?

Ich höre natürlich gerne, dass das Kunstmuseum Stuttgart über die eigene Region hinausstrahlt und national sowie international wahrgenommen wird. Dass ich 2017 in die Ankaufskommission des Bundes berufen wurde, darüber habe ich mich besonders gefreut. Solche Berufungen sind eine Ehre – aber meine Hauptaufgabe liegt ganz klar in der Leitung des Kunstmuseums.

Ihre Gestaltungszukunft liegt also in Stuttgart?

Mein Vertrag läuft noch bis 2019, alles Weitere entscheiden die Stadt, der Stiftungsrat – und ich natürlich. Ich fühle mich hier sehr wohl, das liegt an dem Museum, meinem Team, den Kolleginnen und Kollegen in der Stadt und an der Stadt selber, die mir viele Freiheiten lässt.

Kaum mehr Zukunft, sondern fast schon unmittelbar bevor steht ein Projekt, das wieder ganz mit Ihnen verbunden sein wird: „Ekstase“. Was erwartet uns da?

Die Ausstellung, die ich zusammen mit Anne Vieth und Markus Müller kuratiere und am 29. September beginnt, spürt dem Phänomen der Ekstase in seiner kulturellen Bedeutungsgeschichte nach und nimmt dabei einige zentrale Themenbereiche in den Blick. Kunstwerke – und das ist ein Novum im Kunstmuseum – von der Antike bis in die Gegenwart repräsentieren so verschiedene Facetten wie den dionysischen Kult, die religiöse Verzückung, den brasilianischen Candomblé, Tanz- und Musikekstasen oder die drogeninduzierte Ekstase.

Bei Ihrem „Jazz“-Panorama sorgte der digitale Begleiter für Furore. Unvergessen sind Besucherinnen und Besucher, die glücklich durch die Räume tänzelten. Zuletzt, bei „Mixed Realities“, waren die Besucherinnen und Besucher selbst aktiv. Ermutigt Sie das, das interaktive Begleitprogramm zu intensivieren?

Als Museum versuchen wir uns immer weiterzuentwickeln, den gesellschaftlichen Wandel und neue Techniken in unser Ausstellungs- und Vermittlungsprogramm aufzunehmen. „Ekstase“ wird unsere Besucherinnen und Besucher auf anderen Ebenen einbeziehen als „I Got Rhythm“ oder „Mixed Realities“. Wir haben lange recherchiert, und unsere erarbeiteten Text-Informationen gibt es ganz klassisch als Booklet kostenfrei zum Mitnehmen.

Das Tänzeln ist Vergangenheit?

Mal sehen. Erstmals experimentieren wir mit einem besonderen Musikprogramm in den Ausstellungsräumen, das die Besucherinnen und Besucher immer wieder für kurze Zeit in unterschiedliche musikalische Stimmungen versetzt. Mit „Ekstase“ kommt unser Haus also richtig in Bewegung, und wir möchten die Musik- und Tanzstadt Stuttgart erneut auf die Kunstbühne locken.

Stichwort digital: Sie haben sich vor zwei Jahren durchaus kritisch über die politische Anforderung zur deutlich stärkeren Digitalisierung in den Kunstmuseen geäußert. Ihre Bedenken galten dem enormen Aufwand, der sich allein schon mit der Erfassung der Sammlungsbestände verbindet. Wie sehen Sie dieses Thema heute?

Über die Digitalisierung der Welt wird weiterhin viel und unter verschiedenen Vorzeichen diskutiert werden. Egal, wie man sich ihr gegenüber positioniert:Jedem dürfte klar sein, dass man den digitalen Wandel nicht ignorieren kann. Wir in den Museen müssen entscheiden, was nur ,Hype’ und was für unsere Arbeit wirklich von Nutzen ist, beispielsweise Menschen zu erreichen, die nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen in ein Museum gehen können. Das erfordert die Ausarbeitung einer digitalen Strategie.

Haben Sie schon eine?

Wir stecken mitten im Prozess. Digitalisierung ist leider immer noch mit hohen finanziellen Kosten verbunden, zumal auch die personellen Ressourcen begrenzt sind. Also heißt es Geld sammeln, Ideen und Strategien mit fachlicher Unterstützung entwickeln und diese kontinuierlich in den nächsten Jahren umsetzen.

Wird die Digitalisierung denn wie erhofft die Möglichkeiten der Vermittlungsarbeit erweitern?

Ja oder doch eher: ergänzen. Wir setzen bei unserer Vermittlungsarbeit in erster Linie nach wie vor auf den Dialog, auf das Gespräch mit den Besucherinnen und Besuchern sowie deren Begegnung mit dem Original. Über Kunst generell, und gerade über solche, die es einem nicht leicht macht, einen fordert oder auf den ersten Blick sperrig und unverständlich erscheint, sollte man sich mit anderen Menschen austauschen, unvoreingenommen Beobachtungen und Wahrnehmungen äußern können, um sie als Bereicherung für einen selbst zu sehen.

Sie setzen jedoch schon jetzt auf elektronische Unterstützung.

Richtig. Wichtig aber ist mir: Ein Medienguide etwa wird die persönliche Situation niemals ersetzen können, er kann jedoch unterstützend in diesen Prozess miteinbezogen werden. Mit der digitalen Strategie in unserem Museum schaffen wir zusätzliche Angebote und stellen Informationen für unsere realen als auch für die virtuellen Besucherinnen und Besucher zur Verfügung. Das klingt alles noch etwas abstrakt, wird in der Umsetzung jedoch schlüssig.

Schlüssig ist ein gutes Stichwort. 2019 wird es eine Kooperation mit dem Museum Moderner Kunst in Wien geben. Wird es in der Ausstellungsarbeit verstärkt solche Kooperationen geben?

Die Ausstellungsarbeit der Zukunft wird immer mal wieder von Kooperationen geprägt sein. Nicht nur hinsichtlich der kontinuierlich steigenden Kosten von Sonderausstellungen, etwa in Bezug auf Transport und Versicherung von Kunstwerken, sondern bereits bei der Konzeption von und Recherche zu Ausstellungen sehe ich in Gemeinschaftsprojekten eine Bereicherung und Vorteile, die allen Partnern nutzen. Gemeinsam mit dem Mumok in Wien erarbeiten wir die Ausstellung „Vertigo. Op-Art und kinetische Kunst“. Sie macht im Herbst 2019 im Kunstmuseum Stuttgart Station.

Um was geht es dabei?

Wir zeigen die in Forschung und Ausstellungsbetrieb nach wie vor zu Unrecht unterrepräsentierten Bewegungen der Op-Art und kinetischen Kunst der 1950er- und 60er- Jahre, in der Breite ihres Spektrums präsentiert – von Tafelbildern, Reliefs und Objekten über installative Arbeiten und Erfahrungsräume bis hin zum Film und computergenerierter beziehungsweise gesteuerter Kunst. All dies setzen wir in Bezug zu ausgewählten Zeichnungen und Grafiken des Manierismus. Übrigens ist auch „Ekstase“ eine Kooperation – mit dem Zentrum Paul Klee in Bern. Dort ist sie nach der Premiere in Stuttgart auch zu sehen.

Für „Ekstase“ wird es viele Kooperationen mit Stuttgarter Einrichtungen geben. Sie haben das ungemein positive Echo auf das Gastspiel von Tino Sehgal angesprochen. Vor allem bei Studierenden der Kunstakademie Stuttgart war das Interesse groß. War dies ein Impuls, diese eigentlich logische Brücke stärker zu nutzen?

Tino Sehgal wurde 2016 der Hans-Molfenter-Preis, der Kunstpreis der Landeshauptstadt Stuttgart, verliehen, verbunden mit einer Präsentation im Kunstmuseum. Das Besondere an Sehgals Arbeit ist, dass er aktionistische Kunst ganz neu denkt. Sehgal verweigert sich konsequent zeitgemäßen digitalen Formen der Verfügbarkeit. Sein Werk ist nur für die jeweilige Aufführungsdauer an einem jeweiligen Aufführungsort zu erleben. Das macht seine Aktionen zu einmaligen, unwiederholbaren Erlebnissen, für die man sich Zeit nehmen muss. Es stimmt – es waren viele junge Menschen da. Aber nicht nur von der Kunstakademie. Auch von der Universität und der Merz-Akademie. Viele kamen zudem eigens angereist.

Und es würden vielleicht noch mehr kommen, wenn die erlebbare Kulturvielfalt in Stuttgarts Zentrum sichtbarer wäre. Während es in mancher Randnotiz-Frage hoch hergeht, ist es in der Debatte über die Identifikation des „Kulturquartiers“ nahezu windstill. Sie persönlich haben sich hier ja durchaus weit vorgewagt…

Sie zielen auf den Verein „Aufbruch Stuttgart“, der sicher auch weiterhin mit Ideen und Vorschlägen auf die Stadtentwicklung und die Wahrnehmung des Kulturquartiers einwirken wird. Fakt ist doch, dass das Profil der Stadt Stuttgart ganz wesentlich über Kultur definiert wird und dass Stuttgart ein gewachsenes Kulturquartier hat.

Inwiefern?

Das Kunstmuseum Stuttgart ist kaum 500 Meter Luftlinie von der Staatsgalerie Stuttgart entfernt, vis-à-vis befindet sich das in diesem Jahr eröffnete Stadtpalais. Das Landesmuseum Württemberg im Alten Schloss, das Institut für Auslandsbeziehungen, der Württembergische Kunstverein, das Linden-Museum, das Haus der Geschichte sowie die Staatstheaterspielstätten. Alle diese hochrangigen Kultureinrichtungen sind nur wenige Gehminuten voneinander entfernt. Diese besondere Situation sollte man nutzen und die Orte noch stärker miteinander verbinden, insbesondere für die Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt.

Ulrike Groos – Zur Person

1963 in Schlüchtern geboren, studiert sie Kunstgeschichte, Musikwissenschaft und Ethnologie an den Universitäten von Würzburg, New York und Münster.

1997/98 agiert sie – nach einem wissenschaftlichen Volontariat am Westfälischen Landesmuseum Münster – als Projektleiterin der manifesta 2 – Europäische Biennale für Zeitgenössische Kunst in Luxemburg.

1999 wird Groos Co-Kuratorin in der Sammlung Hauser & Wirth in St. Gallen, 2002 bis 2009 lenkt sie als Direktorin die Kunsthalle Düsseldorf.

2010 Kuratorin der 11. Triennale Kleinplastik in Fellbach wird sie im gleichen Jahr Direktorin des Kunstmuseums Stuttgart. Der Vertrag der begeisterten Taucherin läuft bis Ende Dezember 2019. Am 28. September um 19 Uhr wird im Kunstmuseum Stuttgart die Themenausstellung „Ekstase!“ eröffnet.