Der „bunteste Hund der Stadt“ sei er gewesen, ist an diesem Abend zu hören. Der Stuttgarter Gestalter Kurt Weidemann, weltweit eine Ikone des Designs, steht zum 100. Geburtstag im rappelvollen Stadtpalais knapp vor der Heiligsprechung.
Als der Mann, der weltweit die Geschichte der Typografie geprägt hat, der für Daimler, Porsche, die Deutschen Bahn und viele andere Logos auf überraschend einfache Art entwerfen konnte, 85 Jahre alt wurde, warnte er seine Gäste. Wehe, so kam von Kurt Weidemann der Befehl, jemand halte bei seinem Fest im Haus der Wirtschaft eine Ansprache – der fliege hochkant raus!
Nun ist der große deutsche Gestalter, der bekannt war für seine hagere Erscheinung, seinen Schlapphut, seine roten Schuhe, seine umgehängte Lupe (Fachsprache: Lorgnon) und seine jungen Begleiterinnen, seit elf Jahren und neun Monaten tot. Gegen die Lobhudelei kann er sich nicht mehr wehren.
Erinnerungen an sein Atelierhäuschen am Stellwerk West
Zu seinem 100. Geburtstag ist das Stadtpalais rappelvoll. Die Sitzplätze im Foyer reichen nicht aus. Selbst von der Empore schauen Weidemann-Fans ergriffen herab und erzählen gern, wie der Kurt, den sie, wie sich’s gehört, an irgendeiner Theke kennengelernt haben, sie in sein Stellwerk West eingeladen hat. Dort in seinem Atelierhäuschen, das ist Legende, strömte aus der Zapfanlage unermüdlich Bier wie aus einer Zauberquelle.
Etwas Sitz- und Stehfleisch ist an diesem Abend der Aphorismen erforderlich, da uns Weidemann-Zitate nur so um die Ohren fliegen. Sage und schreibe 13 Gefährtinnen und Gefährten eines langen Wegs – in Worten dreizehn! – ergreifen bei „Kurt 100“ das schlaue Wort. Einer von ihnen (Kulturbürgermeister Fabian Mayer) wird digital zugeschaltet. Wären nicht Stadtpalais-Chef Torben Giese und Maler Jan-Peter Tripp ausgerechnet jetzt krank geworden, hätten sie die Liste der Talker noch ein bissle verlängert.
Der Abend hat was von einem Veteranentreffen in der Zunft der Hasardeure. Vom Staatssekretär Arne Braun (er und seine Co-Autorin Heike Schiller gaben die „biografischen Gespräche“ mit Weidemann als Buch heraus) bis zu dem mit Preisen überhäuften Fotografen Dietmar Henneka (die meisten Auszeichnungen hat er „entsorgt“) – alle sind da! Auch Artdirector OA Krimmel, Bettina Klett vom Freundeskreis Stadtpalais, Ex-Rektor Markus Merz,Design-Grandseigneur Olaf Leu. Und noch mehr! Im Publikum: Stylistin Randi Bubat, Künstlerin Christa Winter, Spaßmacher Michael Gaedt, Kulturkiosk-Macherin Sara Dahme. Noch mehr Namen müssten hier genannt werden. Aber Weidemann-Zitate sind noch besser. Reichlich wird das Füllhorn ausgeschüttet. Da wären zum Beispiel die „drei Gs“, die der Gestalter stets verlangt hat: „Mach es gut, mach es gern, mach es gleich.“ Oder: „Sport ist nicht mein Bier. Bier ist mein Bier.“ Und: „Um Anstöße zu geben, muss man anstößig sein.“
Die Akademische Betriebskapelle spielt „La Paloma“, Kurts Lieblingslied
Angestoßen wird in seinem Fall reichlich mit Bier. Die Organisatoren um Verlegerin Petra Kiedaisch wollten Kurt-gemäß eine Zapfanlage aufbauen. Das Stadtpalais indes mag einen Zapfhahn nicht durchwinken. Dafür gibt’s kostenlos Bügelflaschen mit dem Sei-anstößig-Zitat als Etikett, bezahlt von den Freundeskreisen Stadtpalais und der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste. Das Lieblingslied des Porsche-Fahrers fehlt nicht, von der Akademischen Betriebskapelle gespielt. Schon bei seiner Beerdigung erklang „La Paloma“ von Hans Albers: „Auf, Matrosen, ohé, einmal muss es vorbei sein.“
Studierende stellen im Stadtpalais Sprüche von Kurt Weidemann aus
Noch lang nicht vorbei ist Weidemanns Wirken. Über die Jubelshow „Kurt 100“ hätte der Designer gespottet, aber sich heimlich gefreut, da sie angemessen, heiter, originell, allenfalls zu lang ist. Auf der Empore sprechen einige aus, was offiziell nur ansatzweise anklingt. Dem Zoff sei er nie aus dem Weg gegangen. Jungen Frauen gegenüber habe er sich mitunter verhalten, wie man das heute nicht mehr akzeptieren würde. Ein Student kritisiert die „alte Leier“ am Mikro, wonach früher alles besser gewesen sei. Klar verdanke man Weidemann viel, sagt er, doch die Gestalterwelt habe sich weitergedreht und nicht nur Schlechtes neu hervorgebracht.
Auf einem der Plakate der Studierenden in der Stadtpalais-Ausstellung ist zu lesen: „Das Alte lieben. Das Neue leben.“ Applaus!