Endlich zu Hause: Eva Fidler und Tochter Emilia Foto: Lichtgut/Volker Hoschek

Ihr Schicksal hat die Stadt bewegt. Tausende Stuttgarter ließen sich Blut abnehmen, um das Leben von Eva Fidler zu retten. Sie war während ihrer Schwangerschaft an Leukämie erkrankt. Nach einer Stammzellenspende ist sie nun wieder zu Hause bei Mann David und der zehn Monate alten Tochter Emilia.

Stuttgart - Der Wind, der Wind, das himmlische Kind, raunen Hänsel und Gretel. Alle kennen wir diesen Spruch, haben ihn zigmal gehört. Und hatten doch keine Ahnung, wie wahr er ist. Für Eva Fidler (25) ist der Wind wahrlich ein himmlisches Kind, als er ihr über die Haut strich, wusste sie: Jetzt bin ich daheim. In Tübingen war sie nach der Stammzellenspende sechs Wochen in einem Zimmer „eingesperrt“, weil jeder Keim den Tod hätte bedeuten können. „Das Schlimmste war, aus dem Fenster zu schauen und zu sehen, dass sich die Bäume bewegen, aber den Wind nicht spüren zu können“, erzählt sie. Als sie dann heim durfte in den Stuttgarter Süden, „bin ich von morgens bis abends auf dem Balkon gesessen und habe den Wind genossen“.

Noch ist sie nicht ganz gesund, ihr Immunsystem fährt erst hoch, noch muss sie vorsichtig sein. Raus darf sie zwar, aber nur mit Mundschutz, und Massen sollte sie meiden. Jüngst war sie im Baumarkt. Farbe besorgen, weil sie den Erker streichen wollte. „Aber da haben mich alle ganz betrübt angeguckt mit meiner Glatze und meinem Mundschutz. Das brauche ich nicht.“ Also bleibt sie lieber daheim. Wer sie besucht, darf keinen Infekt haben, muss sich die Hände desinfizieren und Abstand halten. Auch die französische Bulldogge Charlie und die Boxerhündin Luna dürfen ihr nicht zu nahe kommen. Sie haben vorübergehend Exil erhalten bei der Mutter und der Schwester, die im selben Haus wohnen.

Noch ist ihr Immunsystem geschwächt

Für Tochter Emilia gilt das Kuschelverbot natürlich nicht. Sie sitzt bei der Mama auf dem Schoß, zeigt stolz ihre neuesten Errungenschaften, zwei Schneidezähne unten, zwei Backenzähne oben, kauen lässt sich so noch nicht, aber schelmisch grinsen. Emilia ist am 20. Oktober 2014 auf die Welt gekommen. Die Ärzte haben sie acht Wochen zu früh auf die Welt geholt, weil Mama Eva sterbenskrank war.

Leukämie lautete die furchtbare Diagnose, die sie im Juli vorigen Jahres erhalten hatte. „Ich war immer müde und ich bekam schlecht Luft“, erinnert sie sich. Keine ungewöhnlichen Beschwerden für eine Schwangere. Das dachte sie zunächst auch. Ein Arzt in Bad Cannstatt schickte sie prompt wieder heim mit den Worten: „Ab dem fünften Kind sehen sie das nicht mehr so eng.“ Doch die Atemnot wurde immer schlimmer. Im Katharinenhospital lag sie übers Wochenende in der Kardiologie, bis ein Oberarzt sie montags endlich untersuchte. Er fand einen 14 Zentimeter großen Tumor an der Speiseröhre, einen Lymphknoten, der gewuchert war und wegen der Lage nicht herausgeschnitten werden konnte. „Ich kam dann vier Tage auf die Intensivstation.“ Erst vor kurzem hat sie erfahren, wie ernst es damals war. „Der Chefarzt hat mir gesagt: Wir dachten, sie überleben die nächsten beiden Tage nicht.“

Emilia wird in der 32. Woche auf die Welt geholt

Sie überlebte – und rasierte sich vor der Chemotherapie die langen, schwarzen Haare ab. „Ich wollte nicht morgens aufwachen und die Haare neben mir auf dem Kopfkissen finden.“ Sie selbst war sich sicher: Ich schaffe das. Doch was ist mit Emilia? Bei der Chemotherapie wird der Körper ja vergiftet, die Medikamente greifen nicht nur kranke, sondern auch gesunde Zellen an. „Alkohol wäre schlimmer gewesen“, sagt Eva Fidler, „man kann Medikamente verwenden, die dem Kind nicht schaden.“ Vor der Bestrahlung allerdings musste man Emilia auf die Welt bringen, um das Kind nicht zu gefährden. Fortan verbrachten Eva und David Fiedler die Tage im Krankenhaus, erst Bestrahlung im Katharinenhospital, dann ging’s zur Tochter ins Olgäle. Weihnachten war die Familie schließlich zuhause, Emilia ging’s gut. Eva schien geheilt.

Im Januar allerdings hatte sie ein „schlechtes Gefühl“. Es trog nicht. Die Lymphknoten im Bauch waren befallen. „Und es war klar, wenn der Krebs so schnell zurückkommt, so aggressiv ist, brauche ich einen Spender.“ Die letzte Chance. Und selbst dann werden nur „50 Prozent geheilt, zehn Prozent sterben bei der Transplantation“. Sie sagt das ganz ruhig.

Ende September wollen sie an den Gardasee fahren

Hat sie nie gehadert? War sie nie zermürbt von den Nebenwirkungen der Chemo wie Übelkeit, Entzündungen der Schleimhaut, hat sie sich nie gefragt: Warum ich? „Ich wollte unbedingt leben und für das Kind da sein, es war meine größte Angst, dass ich sie nicht aufwachsen sehe.“ Im April erhielt sie die erlösende Kunde: Ein Spender ist gefunden. Sie kam nach Tübingen. Ihr Immunsystem wurde vollständig zerstört, damit ihr Körper die fremden Stammzellen nicht abstößt. „Ein Arzt hat mir erklärt, dass ist wie Blumensamen säen, die gehen allmählich auf.“

Noch sind sie nicht ganz aufgeblüht. Vier Wochen dauert das noch. Wenn alles gut geht, und so sieht es derzeit aus, will sie erst einmal einen frischen Salat essen, mit Honigsenfsauce. Denn wer an Leukämie leidet, darf nur keimarm, also vornehmlich Gekochtes, essen. Und dann wollen sie Ende September an den Gardasee fahren, endlich als Familie Urlaub machen. Eine gute Wahl, dort muss man auf Wind nie verzichten, dort bläst es ordentlich, das himmlische Kind.