Der Wohnungsbau auf dem früheren Gelände des Olgahospitals ist ein Großprojekt der Innenentwicklung mitten in der Stadt – und unumstritten. Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Im Zeichen des drastischen Wohnungsmangels gibt es im Stuttgarter Gemeinderat nun offenbar eine Mehrheit für eine Kursänderung – hin zur Bereitstellung von Bauland an den Rändern der Stadtteile oder gar in Außenbereichen. Was steckt dahinter? Einige Fragen und Antworten.

Stuttgart - Der Gemeinderat hat am Donnerstag die Generaldebatte über die Stuttgarter Wohnungspolitikgeführt. Am Tag danach stellten sich dem staunenden Publikum Fragen.

Wird in Stuttgart nun tatsächlich auf der vielzititerten grünen Wiese gebaut?
Parks, Wälder und Weinberge galten in der Generaldebatte als unantastbar. Auch für das Bebauen von Wiesen und Äckern hat sich niemand konkret ausgesprochen, allerdings warf die SPD die Frage auf, ob jede landwirtschaftliche Nutzung ökologisch höherwertig ist als eine begrünte Wohnanlage. In der Debatte wie auch in Erklärungen des Hausbesitzervereins war die Rede von Flächen an den Stadträndern, die man behutsam zu Bauflächen machen solle.
Werden konkrete neue Bauflächen genannt?
Nein, meist ging es um schon früher diskutierte kleinere Flächen wie das Gebiet Schafhaus in Mülhausen, das von der ökosozialen Mehrheit abgelehnt worden war, nach einem Kurswechsel der SPD im Jahr 2017 aber erklärtermaßen bebaut werden soll. Für die Bebauung beispielsweise des großen Birkacher Feldes sprach sich niemand aus, was vielleicht an absehbaren Protesten und der Gemeinderatswahl 2019 liegt. Auch der Hausbesitzerverein hatte am Tag vor der Generaldebatte keine neuen Zielgebiete genannt. Die Freien Wähler forderten, die frühere Gärtnerei Walz in Weilimdorf – früher mehrheitlich abgelehnt – unter die Baugebiete aufzunehmen.
Was plante die Stadt ohnehin schon?
Die Bauflächenpotenziale bis 2025 oder 2030, dargestellt in der sogenannten Zeitstufenliste Wohnen, beliefen sich Ende 2016 auf 182 mögliche Baugebiete unterschiedlichster Größe – insgesamt etwa 250 Hektar, was 350 klassischen Bundesliga-Fußballspielfeldern entspricht. Darauf sollen 24 000 Wohnungen machbar sein. Es fehlt aber noch an Bebauungsplänen. Größere Flächen genießen Vorrang. 117 Gebiete für rund 13 000 Wohnungen gelten als planerisch vorbereitet, marktfähig und in etwa drei Jahren als realisierbar. Das gilt der Verwaltungsspitze als ausreichend, um rund 1800 zusätzliche Wohnungen pro Jahr zu gewährleisten. Die Kritiker von OB Fritz Kuhn (Grüne), etwa der Hausbesitzerverein, halten das für deutlich zu wenig. Auch in der Verwaltung gibt es solche Meinungen.
Wo liegen die absehbaren Schwerpunkte des Wohnungsbaus?
Das größte Potenzial ist das Rosensteinquartier von Stuttgart 21 mit bis zu 7500 Wohnungen, wo die Deutsche Bahn die Gleise aber bestenfalls mit etwa vier Jahren Verspätung abräumen kann. Deswegen wird hier wohl erst zwischen 2027 und 2030 gebaut. Im Zeitraum 2022 bis 2025 fehlen diese Bauplätze.
Wo könnte schneller gebaut werden?
In den kommenden Jahren sind folgende Baugebiete vorgesehen: Neckarpark (etwa 850 Wohnungen), Rote Wand am Killesberg (118), das frühere Areal des Bürgerhospitals (600), Fasanenhof (100 durch sogenannte Nachverdichtung), Keltersiedlung Zuffenhausen (180), Hansa-Areal in Möhringen (175), Langenäcker-Wiesert in Stammheim (320), Böckinger Straße in Zuffenhausen (230), Wiener Platz in Feuerbach (150), Pragsattel/Maybachstraße (600) und Nordbahnhof/Rosenstein (500). Auf dem früheren Areal des Olgahospitals läuft der Bau von 223 Wohnungen.
Wenn man die Bemühungen verstärken will, wie muss es jetzt dann weitergehen?
Alle Beteiligten werden erneut die Zeitstufenliste durchforsten und über Beschleunigungen hirnen sowie weitere Flächen suchen. Nach der Generaldebatte, mahnt der Hausbesitzerverein, müsse gründlicher diskutiert werden, wie viele Wohnungen in den nächsten Jahren notwendig seien, wie viele realisiert werden sollen, wie viele im Innenbereich, also in Ortslagen, und wie viele im Außenbereich. Danach seien die einzelnen Gebiete zu untersuchen und zu bewerten. Schließlich müssten die Debattenredner Taten folgen lassen bei Einzelentscheidungen über Baugebiete.
Was sind Hindernisse für weitere Gebiete?
Je mehr Zielgebiete man außerhalb der Zeitstufenliste sucht und je weiter man von den Ortsrändern in wirkliche Außenbereiche geht, desto aufwendiger wird das Herbeiführen von Baurecht. Oft werden dann Flächennutzungspläne geändert und Verfahren zur Bauland-Umlegung eingeleitet werden müssen. Das kostet Zeit. Einfacher als landwirtschaftliche Flächen oder Grundstücke, die der Verband Region Stuttgart zu einem Teil eines regionalen Grünzugs erklärt hat, dürften Gewerbeflächen umzuwandeln sein.
Was bedeutet denn die Unterscheidung zwischen Innen- und Außenentwicklung?
Die Konzentration auf die Innenentwicklung war der bisherige Kurs im Rathaus. Dabei schließt man Lücken in vorhandenen Siedlungsflächen oder genau am Rand. Hier gibt es in der Regel bereits ein wie auch immer geartetes Planungsrecht, dennoch können neue Bebauungspläne nötig sein. Ist dies der Fall, versucht die Stadt die Bauherren auf das Stuttgarter Innenentwicklungs-Modell (SIM) zu verpflichten.
Was versteht man unter SIM?
Wenn ein neuer Bebauungsplan mehr Wohnungen zulässt als der alte und der Bodenwert steigt, müssen die Bauherren einen Teil des Bodenwertzuwachses für Einrichtungen wie Kindergärten beisteuern. Sie müssen sich verpflichten, 20 Prozent der Gesamtwohnungsfläche als geförderte Wohnungen auf den Markt zu bringen. OB Kuhn will das auf 30 Prozent erhöhen.