Auf den städtischen Wochenmärkten wandern jeden Tag zig Tüten hin und her. Manche davon sollen an zwei Aufseher gegangen sein, die dafür die Beschicker bevorzugt behandelt haben. Foto: Leif Piechowski

Die Stadt Stuttgart hat zwei ihrer vier Marktaufseher vor die Tür gesetzt. Sie sollen über Jahre Händlern gegen Geschenke Vorteile verschafft haben. Diese Vorwürfe könnten nur die Spitze des Eisbergs sein. Die Klagen sind umfangreich.

Stuttgart - Mit 100 Kilo Käse kann man ein Weilchen über die Runden kommen. Oder gutes Geld damit verdienen. Besonders dann, wenn er nichts gekostet hat. Um solche Mengen soll es sich in einem mutmaßlichen Korruptionsfall bei der Stadt Stuttgart handeln. Die hat jetzt zwei Aufsehern, die auf allen 27 Wochenmärkten tätig gewesen sind, fristlos gekündigt. Die beiden sollen über Jahre die Hand aufgehalten und einzelnen Beschickern dafür Vorteile gewährt haben.

„Sie sollen regelmäßig tütenweise Naturalien bekommen haben“, sagt Rechtsanwalt Roger Bohn, den die Stadt eingeschaltet hat. Wie im Fall des spendablen Käsehändlers sollen die Mengen im Lauf der Zeit weit über dem gelegen haben, was ein Einzelner verbraucht und was man noch als im Rahmen des Akzeptablen betrachten kann. Als Gegenleistung gab es bessere Standplätze, es wurden zu große Stände toleriert oder eigenmächtig verlängerte Verkaufszeiten klaglos akzeptiert. Auch angedrohte Bußgelder wegen Verstößen sollen sich im Tausch gegen größere Mengen Ware in Luft aufgelöst haben.

Annehmen dürfen hätten die beiden Männer genau genommen gar nichts. Eine Verwaltungsvorschrift besagt, dass Mitarbeiter der Stadt keine Geschenke entgegennehmen dürfen, wenn sie „im unmittelbaren Zusammenhang mit ihren Dienstgeschäften“ stehen, sagt ein Sprecher der Stadt. Bei allem anderen, was nicht direkt mit ihrer täglichen Tätigkeit zu tun hat – etwa bei Geburtstagspräsenten –, gilt eine Höchstgrenze von 15 Euro. Alles, was darüber liegt, muss vom Oberbürgermeister genehmigt werden. Die meisten Beschäftigten halten sich allerdings inzwischen an die Devise, grundsätzlich gar keine Geschenke zu akzeptieren, um nicht in Erklärungsnöte geraten zu können.

Am Anfang auf Mauer des Schweigens gestoßen

Aufgedeckt wurden die Machenschaften im Zuge des Amtsantritts des neuen Geschäftsführers der Märkte Stuttgart GmbH. Als Axel Heger seinen Posten bei dem städtischen Beteiligungsunternehmen angetreten hatte, kamen immer wieder Beschwerden über die beiden Aufseher bei ihm an. Er ging der Sache nach. „Am Anfang sind wir dennoch auf eine Mauer des Schweigens gestoßen“, sagt Anwalt Bohn. Erst nach und nach sei der „Leidensdruck bei manchen Händlern wohl so groß geworden“, dass sie sich auch schriftlich offenbarten.

Die Stadtverwaltung reagierte mit der fristlosen Kündigung. „Die Stadt verfolgt auch bei ihren Beteiligungsgesellschaften im Falle eines Korruptionsverdachts eine Null-Toleranz-Politik“, sagt Michael Föll. Der Erste Bürgermeister und Aufsichtsratschef der Märkte Stuttgart GmbH weiß in diesem Fall auch den Betriebsrat des städtischen Tochterunternehmens hinter sich. Er hat den Kündigungen nicht widersprochen.

Um Korruption vorzubeugen, leistet sich die Stadt Stuttgart seit April 2012 einen Vertrauensanwalt. Bei ihm kann jeder einen Verdacht auch anonym äußern. Der Schorndorfer Jurist Klaus Abele fungiert als unabhängiger Ansprechpartner. Er hat diese Funktion bereits 2009 auch für das Land Baden-Württemberg übernommen. Am aktuellen Fall war er nicht beteiligt, allerdings steigt die Zahl der Hinweise, die er erhält. „Das muss aber nicht daran liegen, dass es mehr Korruptionsfälle gibt“, sagt er. Stattdessen sei seine Rolle zuletzt in der Öffentlichkeit bekannter geworden, so dass sich möglicherweise deshalb mehr Leute melden. Mehrere Dutzend Hinweise bekommt er pro Jahr, vier bis fünf davon sind so interessant, dass er die Fälle aufgreift und sie an die zuständigen Behörden weiterleitet.

Viele sehen in den Vorwürfen nur die Spitze des Eisbergs

Mancher Wochenmarktbeschicker wundert sich allerdings darüber, was gerade passiert. Denn viele sehen in den Vorwürfen nur die Spitze des Eisbergs. „Wenn es darum geht, gegen Naturalien Vorteile verschafft zu haben, sind in der Vergangenheit noch mehr Leute beteiligt gewesen. Auf den Märkten herrscht völlige Willkür“, behauptet einer. Drohungen gegenüber den Händlern seien an der Tagesordnung. Das gehe seit vielen Jahren so. Und ein Kollege geht noch weiter: „Erst der neue Märkte-Chef fängt an, da aufzuräumen. Die früheren Geschäftsführer hätten das schon längst tun können.“

Aus den Reihen der Beschicker kommt ein weiterer Vorwurf. So hält sich dort hartnäckig das Gerücht, mit Naturalien sei es nicht getan gewesen. Stattdessen seien vonseiten einzelner Aufseher auch grüne Umweltplaketten verkauft worden – für Autos, die auf normalem Weg keine bekommen hätten. „Darüber haben wir bisher keine Erkenntnisse“, sagt der Sprecher der Stadt. Die Betroffenen waren dazu nicht zu erreichen. Sollten sich die Vorwürfe erhärten, müsste es eine Quelle für die Plaketten geben und es wären weitere Beteiligte mit im Boot.

Auch diese Frage muss nun die Stuttgarter Staatsanwaltschaft klären. Mit der hat die Stadt bereits Kontakt aufgenommen. Ob bei den Ermittlungen auch einzelne Händler wegen Bestechung ins Blickfeld rücken, ist noch offen. Den beiden Marktaufsehern drohen jetzt jedenfalls strafrechtliche Folgen. Ihre Kündigung haben sie bereits akzeptiert. Genauso wie zuvor den Käse.