Gerardo Cardiello hat inzwischen 700 italienische Fachkräfte nach Deutschland gebracht. Dabei hat er so manche Geschichte erlebt Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Deutschland braucht Fachkräfte. Die Unternehmen suchen intensiv – auch im Ausland. Unsere Zeitung begleitet eine solche Anwerbung und die beteiligten Menschen ein Jahr lang. Heute: Gerardo Cardiello vermittelt seit fünf Jahren Italiener nach Deutschland.

Stuttgart - Herr Cardiello, der Internationale Bund (IB) betreibt Kindertagesstätten und Hotels, bietet bundesweit Aus- und Fortbildung an. Warum sind Sie auf die Idee gekommen, von Stuttgart aus ausländische Fachkräfte für den deutschen Markt anzuwerben?
Wir haben 2010 damit angefangen. Das wurde aus einer Kundenanfrage heraus geboren. Eine Hamburger Klinikgruppe, mit der wir bei der Weiterbildung zusammenarbeiten, hat uns angesprochen. Dort hat man Krankenpflegekräfte gesucht und dachte zunächst an Leute aus Indonesien, weil es da persönliche Verbindungen gab. Wir haben daraufhin mit dem Hamburger Senat gesprochen und schnell gemerkt, dass bei einer Anwerbung außerhalb der EU ohne die Politik gar nichts geht. Ich habe mich ins Thema vertieft und herausgefunden, dass in Italien in diesem Sektor eine hohe Arbeitslosigkeit herrscht – die liegt im Süden in manchen Regionen bei 75 Prozent.
Wie praktisch, dass Sie selbst nicht nur schwäbische, sondern auch italienische Wurzeln haben.
Das stimmt. Ich wollte schon immer auch beruflich mal etwas mit Italien machen. Und ich habe von Anfang an daran geglaubt, dass da was Größeres draus werden könnte. Denn was unterscheidet eine Hamburger Klinik von anderen? Fachkräfte suchen alle.
Hat die Anwerbung gleich auf Anhieb reibungslos geklappt?
Wir haben 20 Leute geholt und dabei viel Glück gehabt mit unserem Partner in Italien, mit dem wir zusammenarbeiten. Obwohl er Neapolitaner ist, kommt er mir manchmal deutscher als so mancher Deutsche vor. Er arbeitet sehr genau. Aber wir haben natürlich auch viel gelernt auf dem Weg. Am Anfang gab es kaum Auskünfte von offiziellen Stellen. Und wir haben die Erfahrung gemacht: Wir müssen Menschen holen, keine Fachkräfte. Es ist bis heute in meinen Augen das Geheimnis des Erfolges, dass wir den Menschen in den Vordergrund stellen. Das passt gut zu uns als gemeinnützigem Träger.
Wie sieht das in der Praxis aus?
Das fängt beim Abholen am Flughafen an. Wir haben zweisprachige Tutoren, die sich um die Leute kümmern. Gerade in vermeintlich banalen Situationen. Man muss sich um die Wehwehchen kümmern und auch mal jemanden zum Arzt begleiten. Eine junge Frau ist beispielsweise abends gestürzt und hat sich etwas gebrochen. Da kann man nicht einfach den Rettungswagen schicken. Aus Italien sind die Leute gewohnt, dass die halbe Familie mit ins Krankenhaus fährt. Also haben wir unsere Tutorin mitgeschickt. Sie hat die halbe Nacht in der Klinik verbracht. Solche Dinge sind der Schlüssel zum Erfolg.
Wie viele junge Italiener haben Sie denn bisher vermittelt – und wie viele davon sind hiergeblieben?
Inzwischen sind es 700 Leute. Die meisten arbeiten in Baden-Württemberg. Während des Projekts selbst, zu dem Sprachkurse und Arbeitsphasen bis hin zur Anerkennung in Deutschland gehören, sind 36 Leute wieder zurückgegangen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Einige konnten sich tatsächlich schwer integrieren. Bei nur zweien lag es an der Sprache. Und sieben, acht Leute haben wir wegen der Liebe verloren. Wenn der Partner oder die Partnerin auf Dauer in Italien bleiben will, kommen wir dagegen nicht an. Gerade gibt es einen jungen Mann, der im Kreis Göppingen arbeitet. Die Klinik ist so überzeugt von ihm, dass sie seinen Vertrag bis zu einem Jahr ruhen lässt, damit er die Situation mit seiner Freundin klären kann.
Und doch klagen viele Angeworbene, dass sie sich schwer tun, die deutsche Mentalität zu verstehen und Freunde zu finden.
Die erste Zeit ist schlicht hart. Man lernt vier Monate lang jeden Tag neun Stunden lang nur die Sprache. Da ist man abends richtig fertig. Es bleibt nur das Wochenende, um Kontakte zu knüpfen. Es gibt da aber ganz unterschiedliche Beispiele. Wir hatten einen jungen Italiener, der bereits nach drei Wochen in einen Fußballverein eingetreten ist. Der hat regelmäßig trainiert und schnell viele Freunde gehabt. Generell sind Vereine gut für die gesellschaftliche Integration. Sport oder Musik helfen dabei sehr.
Derzeit kommen viele Flüchtlinge nach Deutschland. Die Wirtschaft will unter ihnen Fachkräfte gewinnen. Macht Ihnen das Ihr Geschäft kaputt?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich dadurch am Markt etwas ändert. Wir vermitteln Krankenpflegekräfte und Erzieher. Da gibt es unter den Flüchtlingen sicher nicht viele geeignete Leute.
Wie groß ist denn das Interesse an einer Anwerbung bei den Arbeitgebern?
Wir machen etwa sechs größere Projekte pro Jahr. Die Nachfrage vonseiten der Unternehmen ist viel höher. Wir schauen uns aber genau an, wie die Bedingungen sind. Mit jemandem, der den Angeworbenen nachher nur 1100 Euro brutto bezahlen will, arbeiten wir nicht zusammen. Das widerspricht unseren Zielen und unserer Philosophie. Es würde die Menschen und den Markt kaputt machen. Das spricht sich heutzutage übers Internet wahnsinnig schnell herum. Und dann würde das geschehen, was meiner Meinung nach in Spanien passiert ist: Dort haben sich in der öffentlichen Meinung negative Beispiele festgesetzt, die spanische Pflegekräfte in Deutschland erlebt haben.
Wie viele Namen stehen auf Ihrer Interessentenliste in Italien?
Derzeit allein bei den Gesundheits- und Krankenpflegern um die 2000. Man steht da auch in der internationalen Konkurrenz. Viele der Kandidaten würden später eher in ein anderes Land weiterziehen, wenn dort die Bedingungen besser sind als in Deutschland, als nach Italien zurückzugehen. Wir haben es hier mit einer ganz anderen Einwanderergeneration zu tun als früher. Als mein Vater 1959 nach Deutschland kam, standen die Firmen am Bahnsteig, haben die Leute per Handschlag begrüßt und einfach mitgenommen. Das waren oft Ungelernte, es ging ihnen darum, Geld für die Ernährung ihrer Familie verdienen zu können. Unsere Leute heute haben alle studiert, die kommen mit ganz anderen Ansprüchen an sich selbst und ihre Umgebung. Diese beiden Migrantenwellen kann man nicht vergleichen.
Und manchmal fällt einer der Kandidaten sogar für den IB selbst ab.
Das ist tatsächlich zwei, drei Mal passiert. Einige Leute arbeiten heute für uns als Tutoren im Projekt. Wer sollte das schließlich besser können als jemand, der das Anwerbeprogramm selbst durchlaufen hat?
 
Zur Person
Gerardo Cardiello

1965 kommt Gerardo Cardiello in Holzgerlingen zur Welt

1992 beendet er sein Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nürtingen. Er beginnt zunächst als Lehrer für kaufmännische Fächer beim Internationalen Bund (IB) in Böblingen. Später wird er Leiter des kaufmännischen Bereichs und schließlich Ausbildungsleiter.

2001 wird er Programmgeschäftsführer beim IB in Stuttgart.

Seit 2010 wirbt Cardiello für IB-Kunden italienische Fachkräfte an. (jbo)

StN-Projekt „Nordwärts“

Der Fachkräftemangel in Deutschland bringt viele Unternehmen dazu, auch im Ausland nach Personal zu suchen. Italien, Spanien, Portugal, aber auch Länder in Asien sind Ziele. Gebraucht werden Ingenieure, Erzieher, Pflegekräfte und viele andere Berufe.

Auf dem Markt tummeln sich inzwischen diverse Anbieter, die Kandidaten nach Deutschland vermitteln. Manche arbeiten seriös, andere nicht. Der Internationale Bund (IB), ein großer Anbieter aus dem Sozialbereich, hat sich auf die Anwerbung von Pflegekräften und Erzieherinnen in Italien spezialisiert. Dort gibt es viele studierte Fachkräfte, die trotz jahrelanger Suche in ihrer Heimat keine angemessen bezahlte Festanstellung finden können.

Unsere Zeitung begleitet den IB und den Klinikverbund Südwest in Sindelfingen unter dem Titel „Nordwärts“ ein Jahr lang von der Kandidatensuche bis zur Anerkennung der Fachkräfte in Deutschland. Das Einleben in einem fremden Land, Sprachkurse, Arbeitserfahrungen und schließlich die Prüfung durch das Regierungspräsidium stehen in dieser Zeit auf dem Programm. Der Arbeitgeber und die 14 italienischen Pflegekräfte, die mittlerweile seit Anfang Januar in Deutschland leben, kommen regelmäßig zu Wort . (jbo)