Nach einem Jahrzehnt schließt Ende Dezember ein Kultladen: der Secondhandladen Weißdorn. Es ist nicht nur das Ende eines Ladens, sondern der Untergang eines kleines Universums. Foto: Max Kovalenko

Nach einem Jahrzehnt schließt Ende Dezember ein Kultladen: der Secondhandladen Weißdorn. Es ist nicht nur das Ende eines Ladens, sondern der Untergang eines kleines Universums.

Stuttgart - So eine Glühbirnenleiste zu besitzen, dass ist ein lang gehegter Traum. Man kennt diese aus alten Hollywood-Klassikern oder aus Künstlergarderoben: Sie rahmen die Spiegel ein, in denen die Schönheiten sich wohlwollend betrachten. Bisher war jedoch nirgends eine aufzutreiben. Doch plötzlich, völlig unvermittelt, findet sich eine solche Leiste an der Wand des Secondhandladens Weißdorn in der Ludwigstraße 33. Gehört sie zum Inventar oder ist sie käuflich zu erwerben? „Hier kann man alles kaufen, außer den Hund“, sagt Beatrix Schmude, die Besitzerin von Weißdorn. Der Rehpinscher-Mix rekelt sich genüsslich auf dem Siebziger-Jahre-Sessel vor dem kleinen Laden und spielt Wachhund.

Mit Lilly war Beatrix Schmude auch an jenem Feiertag im Jahr 2004 unterwegs: Sie spazierte mit dem Hund durch den Stuttgarter Westen – und stieß auf ein leer stehendes Ladengeschäft in der Hasenbergstraße. „Das ist Fügung“, dachte Schmude damals. Und entschied sich spontan, den Laden zu mieten und ein Secondhandgeschäft aufzumachen.Einfach so? „Ich habe früher einmal bei einer Gebäudereinigungsfirma im Büro gearbeitet. Die Chefin hatte auch einen Secondhandladen – da habe ich manchmal ausgeholfen.

Das hat mir großen Spaß gemacht“, sagt Schmude. Zumal sie selbst gern gebrauchte Dinge kauft – 99 Prozent all der Sachen, die sie besitzt, sind aus zweiter Hand. „Das ist viel ökologischer, weil nicht alles neu hergestellt werden muss.“ Und man besitze dadurch Originalstücke, die sonst niemand habe. „Ich gehe gern auf Entdeckungstour“, sagt Schmude.

Kunden um die 30, die sich häuslich einrichten

Dabei blieb es freilich nicht: Die Entdeckerin wurde schnell zur Sammlerin. „Als ich den Laden im Dezember 2004 eröffnete, habe ich meine Wohnung leer geräumt und einen Großteil meiner Sachen verkauft“, sagt Schmude. Schwer sei ihr das nicht gefallen: „Ich hatte gerade eine Trennung hinter mir und empfand die Sachen als Ballast“.

Wenn ein Mensch hingegen anfängt sich wohlzufühlen, dann richtet er sich ein. Von diesem Drang, eine Höhle zu beziehen und es sich dort gemütlich zu machen, lebt Schmude, deren Laden Weißdorn mittlerweile in der Ludwigstraße ist. „Die meisten meiner Kunden sind um die 30, Leute, die sich häuslich einrichten.“ Aber auch viele Studenten kämen vorbei, um Einrichtungsgegenstände mitzunehmen: Ein Beistelltischchen, eine Lampe, einen Satz Gläser.

Aber nicht irgendein Beistelltischchen, nicht irgendeine Lampe und nicht irgendwelche Gläser. Sondern rare Originalteile aus den 50er, 60er, 70er und 80er Jahren: Der Laden ist eine Zeitmaschine, mit der man in die Vergangenheit reisen kann. Freilich ist das kleine Universum von Beatrix Schmude also ein farbig-fröhliches. Die wilden Muster der 70erJahre entführen den Kunden in eine andere Welt, in der die Eierbecher knallbunt und aus Plastik waren, die Musik wild und psychedelisch und die Kleider hippiesk.

Der Laden ist ein Kaleidoskop an Dingen, die alle eine Geschichte haben, die man erahnen und zusammenspinnen kann. Da ist dieser kleine Kratzer in der Platte – war das das Lieblingslied des Vorbesitzers? Und diese winzige Macke im Couchtisch, kam diese durch einen Fußtritt zustande?

Seit neun Jahren keinen Urlaub mehr gehabt

„Meine liebsten Sachen sind meist Kleinigkeiten, die gar nicht so viel Beachtung finden:, etwa Nähhefte aus den 50er Jahren“, sagt Schmude. Sie mag auch Poster aus den 70er Jahren. Oder Kondome aus den 70er Jahren, in der Originalpackung. Die hat Schmude mit nach Hause genommen. Hat sie sie auch ausprobiert? „Nein, das wäre nur bei Kinderwunsch zu empfehlen gewesen“, sagt Schmude und lacht.

Doch wo tut sie diese Sachen auf? „Ich habe sie von Haushaltsauflösungen, kaufe sie Leuten ab, die mir etwas vorbeibringen, oder aber nehme etwas in Kommission“, sagt Schmude. Um sie an Kunden, die teils auch von weither anreisen, zu verkaufen. So kommt etwa seit Jahren ein Südkoreaner, der in Stuttgart studiert hat, zweimal im Jahr nach Deutschland – und auch ins Weißdorn – und kauft immer eine ganze Containerladung an Sachen. „Die Möbel aus den 50ern bis 80ern sind dort offenbar total angesagt“, sagt Schmude.

Doch nun soll Schluss sein. Zum Jahresende gibt Beatrix Schmude das Weißdorn auf. Warum? „Ich habe seit neun Jahren keinen Urlaub mehr gehabt, ich bin immer in diesem Laden“, sagt sie, „und für all die Zeit, die ich investiere, verdiene nicht genug“. Sie habe bemerkt, dass immer Leute im Internet ihre Ware verkaufen. „Die haben viel mehr Zeit“, sagt sie. Das will sie nun auch machen, Da Wanda etwa sei eine Plattform im Internet, über die sie sich vorstellen könnte, ihre Second-Hand-Sachen künftig zu verkaufen.

Auch wenn der Kunde im Internet freilich nicht in das kleine Universum Weißdorn eintauchen wird können. „Ja, ich habe die Entscheidung auch mit einem lachenden und einem weinenden Auge getroffen“, sagt Schmude. Auch, weil sie dann nicht mehr mitbekommt, wie sehr sich ihre Kunden freuen, wenn sie bei ihr das Richtige finden. Einmal habe sie neue Ware ausgepackt und sei mit einem Porzellankaffeefilter in der Hand kurz vor die Tür getreten. Da sei eine ältere Dame auf sie zugekommen und habe gefragt: „Haben Sie einen Kaffeefilter?“ Schmude drückte ihr den gerade ausgepackten in die Hand. Die Dame strahlte, heller gar als jede Glühbirnenleiste. Die übrigens auch gekauft wird. Hund Lilly bleibt aber da.