Simon Kuttruf: Der Mathematiker war tagelang allein unterwegs mit dem Fahrrad in den Wüsten Südamerikas. Foto: Simon Kuttruf

Stuttgarter hinterlassen Spuren rund um den Globus – ob als Ärzte, Künstler, Unternehmer, Architekten, Wissenschaftler. In unserer Serie stellen wir Menschen und ihre Auslandsprojekte vor. Hier: ein Mathematiker aus Musberg. Simon Kuttruf ist mit dem Fahrrad quer durch Südamerika gereist – und will es wieder tun.

Stuttgart - Stunden, Tage, Wochen hat Simon Kuttruf als Programmierer vor dem Computer verbracht. Doch eines Tages tauschte der Mathematiker aus Musberg (Kreis Esslingen) Tastatur und Monitor gegen den Drahtesel, Parabeln und Zahlencodes gegen Salzseen und die atemberaubende Flora und Fauna Südamerikas. 2013 packte es den heute 30-Jährigen, und er brach für ein Jahr lang auf, um den Kontinent zu bereisen – mit dem Fahrrad. Bis heute kann er von ihm nicht genug bekommen. Seine Erlebnisse hat er in einem Reiseblog festgehalten.

Erst neulich machte ein anderer, etwas prominenterer Reisender in Stuttgart von sich reden: Vergangenen Oktober kehrte Gunther Holtorf von seiner Weltreise zurück. 26 Jahre war er unterwegs gewesen, 215 Länder hat er bereist und dabei eine Distanz von fast 900.000 Kilometern zurückgelegt. Das ist Weltrekord. Der Weltumrunder schiebt einen nicht unbeachtlichen Teil seines Erfolgs seinem Reisegefährt zu: einer Mercedes-G-Klasse, die er liebevoll „Otto“ taufte und die heute im Mercedes-Museum ausgestellt ist.

14.000 Kilometer auf dem Rad

Zugegeben: 156 PS Zugkraft hat Kuttrufs Drahtesel vom Fabrikat Camino XL nicht, auch einen Spitznamen hat das Reiserad nicht verpasst bekommen. Lediglich aus der Kraft seiner Pedale hat Kuttruf immerhin 14.000 Kilometer hingelegt und dabei 163.000 Höhenmeter erklommen. Das entspricht dem 18-Fachen des Mount Everest. Aber in einem haben sich beide Vehikel doch auf gleiche Weise bewährt: Kuttruf und Holtorf kamen dank ihres Untersatzes ohne nennenswerte Pannen selbst durch unwegsame Gebiete.

Gestartet war Kuttruf im Mai 2013 in Kolumbien. Seine Reise führte ihn von Nord nach Süd, über Ecuador, Peru und Bolivien nach Nordargentinien und von dort aus weiter zum südlichsten Zipfel von Chile. „Ich hatte Job und Wohnung gekündigt, um mir diesen Traum zu erfüllen“, sagt Kuttruf. Was genau veranlasste ihn dazu, so massiv mit seinem Leben zu brechen? Kuttruf bemüht ein Zitat des US-amerikanischen Abenteuerautors Mark Twain: „Lebenshunger, Entdeckerfreude: Später bereuen wir nicht, was wir getan haben, sondern was wir nicht getan haben.“

Wer den Mann mit der lichten Stirn anblickt, sieht nicht gerade einen Radsportprofi. Vielmehr einen, dem man nicht unbedingt zu extremen körperlichen Belastungen raten würde. Er ist etwa einen Meter siebzig groß, von hagerer Statur. Aber an Willenskraft, das zeigt sich schnell im Gespräch mit dem sehr selbstbewussten Menschen, scheint es ihm nicht zu mangeln.

"Aventurero" - der Abenteurer

Das dürfte laut Kuttrufs Reisebericht auch ein Herbergswirt in Peru so gesehen haben. „Als ich nach einer Abfahrt in Sturzregen und Schlamm in einer kleinen Pension in Huanuco, der Stadt mit dem angeblich besten Klima der Welt, eintraf, schrieb der Herbergswirt ohne weitere Nachfrage als Berufsbezeichnung ,Aventurero‘ in sein Gästeverzeichnis“, erzählt Kuttruf. „Aventurero“, das heißt zu Deutsch Abenteurer.

Schenkt man Kuttrufs Etappe durch die Salar de Uyuni, die mit 10.000 Quadratkilometern größte Salzpfanne der Welt in Bolivien, Glauben, sind die Zweifel verflogen, dass sich Kuttruf „Aventurero“ nennen darf. Denn was wirklich waghalsig ist: Kuttruf war in Südamerika ohne Handy unterwegs, die Einträge in seinem Reiseblog hat er immer in Internetcafés geschrieben.

Acht Tage weit entfernt von der Zivilisation

Acht Tage lang war er alleine und fernab jeder Zivilisation in jener Gegend unterwegs, die Gunther Holtorf als „den ruhigsten, menschenleersten Ort der Welt“ beschrieben hatte. Nur war Holtorf mit einem Mercedes-Jeep unterwegs – und nicht mit einem Zweirad. „Ich habe nach der Salzwüste unter 50 Kilogramm gewogen – weniger als mein Fahrrad inklusive Reisegepäck.“ Pedaltritt um Pedaltritt habe er sich vorangekämpft. Anstatt in der Ödnis zu verenden, hat er es abgemergelt dann doch irgendwie geschafft. Und spricht trotzdem von einer der „schönsten und intensivsten Etappen“ seiner Reise.

Außer vor Hunden, die Kuttruf nicht geheuer sind, und den Naturgewalten habe er sich auf dem exotischen Kontinent nie in Gefahr gefühlt. Obwohl er auch unliebsamere Erfahrungen mit Wegelagerern machte, ist er begeistert von den Bewohnern Südamerikas: „Ich habe überall nur Gastfreundschaft erfahren“, sagt Kuttruf, „selbst als mir in einem Dorf im ecuadorianischen Dschungel das Geld ausgegangen ist, da der einzige Geldautomat dort defekt war, hat man mir die Übernachtung und Wegzehrung bis zur nächsten Kleinstadt geschenkt.“ Solche Anekdoten hat Kuttruf viele parat, weswegen er heute auch Vorträge über seine Reise hält.

Was nicht zum Leben reicht. Darum arbeitet Kuttruf auch wieder als Programmierer. „Aber nur vorübergehend!“, sagt er. 2016 will er wieder nach Südamerika. Allerdings diesmal nicht alleine. Sondern als Führer für Radtouren durch Argentinien und Chile. „Ich will die Menschen an meinen Abenteuern teilhaben lassen“, sagt Kuttruf. Darum wirbt er auch für seinen Blog.

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