Hans-Peter Heilmair: Ein Stuttgarter führt durch Lissabon. Foto: Warth

Wer mit Hans-Peter Heilmair Lissabon erkundet, braucht festes Schuhwerk und eine gute Kondition. Belohnt wird der Aufstieg durch die kleinen Gässchen mit einem atemberaubenden Ausblick – und vielen Geschichten rund um die Stadt, die der Stuttgarter zu seiner neuen Heimat erkoren hat.

Wer mit Hans-Peter Heilmair Lissabon erkundet, braucht eine gute Kondition. Belohnt wird der Aufstieg durch die kleinen Gässchen mit einem atemberaubenden Ausblick – und vielen Geschichten rund um die Stadt, die der Stuttgarter zu seiner neuen Heimat erkoren hat.

Lissabon - Der Weg führt hinauf – wie so oft in Lissabon, der Stadt mit den sieben Hügeln. Über die rutschigen und holprigen Pflastersteine der Calçadas, der kleinen Gässchen. An diesem Frühlingstag wird einem ein Lissabon vorgestellt, wie es in keinem Reiseführer zu finden ist, und auf keiner Postkarte. Es soll das wahre Lissabon sein, heißt es am Telefon. Und so reicht man dem Mann mit Schiebermütze, Bart, Hornbrille und verschmitztem Lächeln die Hand und sagt: „Grüß Gott!“

Hans-Peter Heilmair ist portugiesischer Schwabe oder schwäbischer Portugiese – wie man eben möchte. Seit 18 Jahren lebt der gebürtige Stuttgarter schon in Lissabon. Museen und Denkmäler sind auf seinen Stadtspaziergängen gestrichen. Wer mit ihm unterwegs ist, muss sich vor Hundedreck auf dem Bürgersteig vorsehen und auch mal rennen, um die Fähre über den Tejo noch zu erwischen. Und er muss vor allem Treppchen steigen, denn aus nichts anderem besteht Alfama, eines der ältesten Viertel Lissabons.

Ruhig schreitet Hans-Peter Heilmair voran und erzählt von seiner Jugend in Stuttgart, wo er an der Mönchheide aufgewachsen ist, und im Wagenburg-Gymnasium zur Schule ging. Er erzählt von seiner Studentenzeit in Freiburg. Aber noch mehr erzählt der 56-Jährige von der Sprache – Portugiesisch. Darin, wo das ungeübte Ohr nur ein Nuscheln hört, erkennt er klangvolle Worte, die ihn schon beim ersten Hören faszinierten. In Freiburg studierte er die Sprache, in Lissabon lebte er sie. Doch erst mit seiner zweiten Frau Susanne fand er dort eine Heimat. Sie arbeitet als Deutschlehrerin, er als Fremdenführer und Sprachlehrer für Touristen. Ihr gemeinsamer Sohn Baltasar wächst somit zweisprachig auf – „Na, eigentlich dreisprachig“, korrigiert sich Heilmair. Portugiesisch, deutsch und schwäbisch.

Das Treppensteigen wird belohnt. Oben angekommen liegt einem Lissabon zu Füßen. Miradouros heißen diese Aussichtspunkte im Portugiesischen, die einen schönen Blick versprechen. Doch wer dem ausgestreckten Arm von Heilmair folgt, sieht auch die Löcher und die Fadenscheinigkeit des in dem aus der Ferne so prächtig aussehendem Häuserteppich, der sich bis zum Tejo ausbreitet. Alles Ergebnisse einer fehlorientierten Sparpolitik.

Sie wirkt sich auf die alten Häuser aus, die längst renoviert gehören. Doch dann stockt der Geldfluss und damit auch die Bauarbeiten. Statt einem neuen Dach gibt es einen Hut aus Wellblech. Ein Provisorium auf Zeit, das sich irgendwann ganz selbstverständlich in das Stadtbild einfügt. Anderswo verfallen die Häuser vollends: Gras wächst aus den Fugen. Damit die skelettierten Überreste nicht einstürzen, sind die Fenster zugemauert. Teils steckt dahinter Kalkül: Weil sich mit den Mieten kaum was verdienen lässt, warten viele Besitzer ab, bis das Haus sich nicht mehr renovieren lässt, um es dann ganz abzustoßen. Denn Bauplätze bringen hier noch Geld. Teils ist es aber auch die langwierige Bürokratie der Stadtverwaltung, die renovierungswillige Hausbesitzer resignieren lässt. Auch Heilmair schüttelt den Kopf und wendet sich ab.

Das Bruddeln und Schimpfen, das hat sich Heilmair ebenso bewahrt, wie sein breites Schwäbisch. „O saco“, wie auf portugiesisch die Tüten genannt werden, ist bei ihm „a Gugg“ (also eine Tüte). Und die ehrwürdige Electrico, die kleine gelbe Tram, ist für ihn „d’Stroßaboah“. Mit ihr hat er schon zu seiner Studentenzeit die Stadt entdeckt: „Anfangs bin ich alle Linien abgefahren – bis ich alle Viertel in und auswendig kannte.“ Noch heute sind die Busse und die Metro, die Straßenbahnen und die Elevadores, die den Weg bergauf erleichtern, sein Hobby. Nur mit der Pünktlichkeit nimmt es die portugiesische Variante des ÖPNV nicht ganz so genau wie in der schwäbischen Heimat. In vier Minuten soll der Bus kommen, der zum Fährhafen fahren soll. Nach zehn Minuten ist er immer noch nicht da. Heilmair beruhigt – wie alle Portugiesen: „Há-de chegar“, er wird schon bald kommen.

In Almada, drüben auf der anderen Seite des Tejos, ist vom geschäftigen Treiben der Hauptstadt wenig zu spüren. In dem ehemaligen Werftarbeiter- und Fischerstädtchen zeigt sich diese Flussseite eher so wie der Tejo selbst: Gemächlich. Dass die Portugiesen aber auch durchaus anders können, zeigt sich an den Straßenschildern, wie etwa dem der Rua Cândido Capilé: Zu Ehren des gleichnamigen Kommunisten, der beim Arbeiteraufstand in den 60er Jahren ums Leben kam, ziert das Schild nun Hammer und Sichel. „Die Leute kämpften damals für bessere Arbeitsbedingungen“, sagt Heilmair.

Die Protestkultur der Portugiesen gehört zu seinen Lieblingsthemen. Umso mehr mag er Almada und seine Bewohner, die meist aus der südportugiesischen Provinz Alentejo stammen. Die Geschichte der Landarbeiter, die im Faschismus unterdrückt wurden, dann in landwirtschaftlichen Zusammenschlüssen das Land bebauen durften und seit den 80er Jahren nun mitansehen mussten, wie das Land mehr und mehr von großen ausländischen Agrar-Unternehmen übernommen wurde, erzählt Heilmair gern und ausführlich. Auf seinen Touren darf daher ein Abstecher in das Kultur- und Vereinshaus Casa de Alentejo in der Lissaboner Altstadt nicht fehlen. In dem alten neo-maurischen Palast treffen sich die Auswanderer aus dem Süden, veranstalten Ausstellungen, Lesungen und singen die alten Lieder. In Stuttgart würde man Lonha, wie Heilmair in Schwaben und Portugal genannt wird, wohl im Waldheim Gaisburg antreffen. Hier engagiert er sich in der Arbeiterpartei PCP für ein sozialeres Lissabon. Er gehört nicht zu der Gruppe deutscher Auswanderer, die den schlechten wirtschaftlichen Zustand Portugals zwar hautnah erleben, aber nicht unmittelbar davon betroffen sind. Er zeigt zwar Fremden, wie das wahre Lissabon ist. Er möchte es aber verändern, damit es nicht so bleibt. Denn er will bleiben. „Hier ist mein Zuhause.“ Hier bewohnt er mit seiner Familie eine Mietwohnung am Cemitério do Alto de São João, dem größten Friedhof Lissabons. Das Haus hat einen winzigen Garten, in dem man sich mit den Nachbarn trifft, um über Politik, Fußball oder die Arbeit zu reden.

Ob man es schade gefunden hätte, keine Museen oder Kirchen von innen gesehen zu haben fragt Heilmair nach dem Stadtspaziergang? Das Kopfschütteln quittiert er mit seinem verschmitzten Lächeln. „Das steht ja auch in jedem Reiseführer.“

Info: Hans-Peter Heilmair bietet seine Stadtspaziergänge Lissabon über das soziale Netzwerk Facebook an. Kontaktaufnahme auch per E-Mail möglich: susonha@sapo.pt

Die Stuttgarter Nachrichten beteiligen sich am Austauschprojekt „Nahaufnahme“ des Goethe-Instituts. Die portugiesische Redakteurin Maria João Guimarães war bereits in unserer Redaktion zu Gast. Im Moment arbeitet unsere Redakteurin Regine Warth in Lissabon bei der Zeitung „Público“.