Gerhard Janoschke mit seinem Stuttgart-Motiv in Holzfurnier gelasert. Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Er hat mehr zu bieten als nur Glühwein und Bratwurst. Der Weihnachtsmarkt hat sich seine Ursprünge als Jahrmarkt bewahrt. Er ist immer noch ein Gemischtwarenladen. Ein Spaziergang.

Stuttgart - Es gibt nicht viele solcher Tage, da man sich in Stuttgart fühlt, als wohne man am Polarkreis. Des Morgens kann man Eisblumen an den Fenstern betrachten und die Luft ist nicht nur von Feinstaub durchzogen, sondern mit Schnee gezuckert. Die Finnen in ihrem Weihnachtsdorf auf dem Karlsplatz mögen darüber lachen, aber als Kesselbewohner braucht man bei diesen Temperaturen Winterstiefel, Handschuhe, Schal und Mütze. Und einen Glühwein, natürlich.

Adolf Weeber kommt seit 72 Jahren auf den Weihnachtsmarkt

Das sorgt für Frohlocken bei den Beschickern auf dem Weihnachtsmarkt. Die Rechnung ist nicht kompliziert, sogar ein Klippschüler kann sie machen: Je kälter es ist, desto mehr Glühwein wird getrunken. Das freut den alten Fahrensmann Adolf Weeber (77) um so mehr, da heuer nur 25 Tage Zeit bleibt, Geld zu verdienen. Weil der Heilige Abend auf den vierten Advent fällt, ist der Weihnachtsmarkt kürzer denn je. Doch wie sagt Weeber, im Nebenberuf wie jeder Schwabe Philosoph, dazu: „Es ist halt wie es ist.“ Seit 72 Jahren steht er auf dem Weihnachtsmarkt, „da bringt einen so leicht nichts mehr aus der Ruhe“, sagt Weeber, „letztes Jahr hatten wir um die Zeit 15 Grad, da wollte keiner Glühwein.“

1945 war er erstmals zum Helfen auf dem Weihnachtsmarkt. Mit der Oma lief er von Gaisburg her, in Strohschuhen. Mit Bezugsmarken hatten sie Zucker beschafft, gebrannt und zu Zuckerstangen geformt. Die Tante klopfte als Trümmerfrau nebenan Mörtel von den Steinen. Der Klapptisch war vor der Ruine des Alten Schlosses aufgebaut, fast genau da, wo er heute seinen Stand hat. Anekdoten hat er haufenweise zu erzählen. Wer bei ihm einen Glühwein kauft, kauft auch eine Reise in die Vergangenheit. Und doch geht er mit der Zeit. Spickzettel hat er hinterm Tresen, darauf hat er notiert, wie seine Waren heißen auf Italienisch, auf Chinesisch, auf Japanisch. Notiert in Schriftzeichen und Lautschrift. So preist er seine Germknödel als Mochi an. Das sind eigentlich Knödel aus Reismehl, die gerade bei deutschen Gourmets als der neueste Schrei gelten. Die Japaner ihrerseits seien begeistert von der deutschen Variante, sagt Weeber. Vielleicht löst er gerade einen neuen Essenstrend aus: Die Dampfnudel erobert Japan.

Die Verfrorenen kaufen warme Einlegesohlen

Doch bleiben wir in der Heimat. Und gehen wir weiter zu Thomas Kritz. Der freut sich auch am Winter, er macht Geschäfte mit kalten Füßen. Im Frühling und Sommer lässt er Boxautos fahren, beim Weihnachtsmarkt verkauft er Hausschuhe und Einlegesohlen. Die Einnahmen von den Rummelplätzen reichen nicht mehr aus, um im Winter über die Runden zu kommen. Also sind die Schausteller seit einigen Jahren auf den Weihnachtsmärkten präsent. Kritz bietet Hausschuhe aus Bad Urach an. Viele Stammkunden hat er, „die kommen alle zwei Jahre, um ein neues Paar zu kaufen“. Manche auch nur, um nur zu erzählen, dass das alte Paar noch gut sei und man keine neuen Schuhe brauche. Und dann gibt’s die Verfrorenen, die auf die Schnelle warme Einlegesohlen erstehen. Kritz: „Die alten drücken sie mir dann die Hand, die kann ich gleich wegschmeißen.“

Er ist einer von 280 Händlern, viele verkaufen Glühwein und Bratwurst, aber Socken, Kerzen, Mode und Spitzendecken gibt es immer noch. So wie vor Jahrhunderten. 1835 etwa kaufte man englische Nähnadeln, türkische Schlafröcke, Basler Konfekt, marinierte Heringe und echte Vanille auf dem Weihnachtsmarkt. Angefangen hatte alles aber mit Ochs und Esel. Sie standen an der Krippe, als Jesus geboren wurde. Und sie waren da, als der Weihnachtsmarkt im 16. Jahrhundert aus der Taufe gehoben wurde. Der begann nämlich als Viehmarkt.

Hennes der Geißbock als Holzfurnier

Ochs und Esel gibt’s nurmehr als Krippenfiguren. Dafür haben zwei Frauen aus dem Rheinland einen Ziegenbock entdeckt. Hennes, Maskottchen des 1. FC Köln. Gerhard Janoschke verkauft Windlichter aus Holzfurnier, die seine Frau Sieglinde daheim in Öhringen macht. Darauf kann man die Silhouetten etwa von Stuttgart, Wien, Paris erkennen. Und von Köln, samt Hennes.

Tiere gibt’s auch gegenüber. Aber Obacht. Im Tigerbalsam ist kein Tiger drin und in der Pferdesalbe kein Pferd. Aber in der Murmeltiersalbe ist Murmeltier. Susanne Schleif verkauft Salben und Tinkturen. Besonders mögen die Leute Murmeltiersalbe. „Das hilft gegen Arthrose und Rheuma“, sagt sie. Die Salbe wird aus dem Fett der Tiere gewonnen, das Cortison enthält. Man jage die Tiere, sagt Schleif, um den Bestand im Rahmen zu halten. Die Pferdesalbe heißt übrigens so, weil man früher damit die Pferde eingerieben hat, damit sie länger schaffen konnten. Eine Rosskur sozusagen. Ihre Kunden schwören darauf und decken sich alle Jahre wieder damit ein.

Alle Jahre wieder verkauft Esther Weeber-Kirschenlohr etwas ganz Besonderes. Eine Kundin kommt immer an ihren Süßwarenstand, weil sie einen vier Kilo schweren Schoko-Nikolaus erwirbt. Nicht für sich selbst – sie schenkt ihn einem Kinderheim.