Irmgard Tinz ist von Beruf Wachsbildnerin. In ihrer Werkstatt in Weilimdorf stellt sie Wachsmodel her, die sie auf dem Weihnachtsmarkt verkauft. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Irmgard Tinz steht seit 1974 jeden Winter auf dem Stuttgarter Weihnachtsmarkt und verkauft ihre selbst gebackenen Springerle und Wachsmodel. Das traditionelle, schwäbische Festtagsgebäck erfährt derzeit eine Renaissance.

Stuttgart - Er sei ein „großer Springerle-Fan“. „Leider backt meine Frau mir mein Lieblingsgebäck schon lange nicht mehr“, gesteht der ältere Herr am Stand von Irmgard Tinz auf dem Stuttgarter Weihnachtsmarkt. Der Grund? „Wir haben uns immer darüber gestritten, ob die Füßle zu groß waren oder nicht.“ Den Streit hat er wohl nicht gewonnen. „Jetzt kauf ich die Springerle jedes Jahr hier“, sagt er und zieht mit seiner Tüte weiter.

 

Irmgard Tinz, 71, ist eine Institution auf dem Weihnachtsmarkt, seit 1974 hat sie ihren Stand am Schillerplatz gegenüber vom Alten Schloss und verkauft dort Wachsmodel mit zig verschiedenen Motiven.

Die gebürtige Bayern hat in ihrer Heimat Altötting eine Ausbildung zur Wachsbildnerin absolviert. Das sei ein Handwerksberuf, den es außerhalb von Bayern eher selten gebe. Der Liebe wegen kam sie vor 50 Jahren nach Stuttgart. Inzwischen ist sie hier heimisch geworden, hat sechs schwäbische Enkelkinder. „Aber am Markt red i bairischer“, sagt sie und lacht. Ihre Kunden mögen das.

Eigentlich sind die Wachsbilder als Dekoration gedacht

Die Vorweihnachtszeit ist ihre Hochphase im Jahr. Meistens beginnt sie schon im Sommer in ihrer Werkstatt in Weilimdorf unter Hochdruck mit der Produktion für den Weihnachtsmarkt. Tinz stellt alles, was sie an ihrem Stand verkauft, noch nach alter, traditioneller Handwerkskunst her. Eigentlich sind die Wachsbilder gedacht, um sie an die Wand zu hängen, als Dekoration. „Meine Kunden haben aber schon vor über 20 Jahren herausgefunden, dass man mit denen hervorragend Springerle backen kann“, erzählt Tinz begeistert. Seitdem backt sie morgens und abends Springerle und verkauft sie.

Elf Stunden steht sie täglich auf dem Weihnachtsmarkt. „Angestellte kann ich mir nicht leisten“, sagt die 71-Jährige. Ihre Formen verkauft sie sonst nur im Internet. Reich werde sie auf dem Weihnachtsmarkt nun auch nicht gerade. „Ich mache das aus Freude und wegen den vielen schönen Begegnungen hier.“

Springerle sind ein traditionelles Festtagsgebäck aus einem Anis-Eierschaumteig, weil es dafür nicht viel brauchte: Nur Eier, Zucker, Mehl und etwas Hirschhornsalz als Backtriebmittel. Tinz fügt immer noch Anis für den Geschmack dazu.

Vor allem im süddeutschen Raum hat das Gebäck schon eine jahrhundertelange Tradition, anfangs gab es die Springerle an den kirchlichen Feiertagen wie Ostern, Pfingsten und Weihnachten, später auch bei Familienfeiern wie Hochzeiten oder Taufen mit jeweils entsprechenden Bildmotiven. „Meine Oma hat immer Springerle gebacken“, erzählt Tinz. Es rühre sie, dass junge Menschen das Gebäck nun auch wieder selbst herstellen. „Auch Männer!“, fügt die Wachsbildnerin hinzu.

Wie bekommen Springerle die richtige Konsistenz?

Springerle so zu backen, damit sie die perfekte Konsistenz haben, ist eine Kunst. Schnell werden sie zu hart. Die Springerle von Irmgard Tinz haben die perfekte Konsistenz. Ein Geheimnis hat sie jedoch nicht: „Es ist ein bisschen Gefühlssache. Auch bei mir ist die Backzeit unterschiedlich. Man lernt das nur aus Erfahrung“, sagt Tinz. Früher seien die Familien immer zusammen vor dem Backofen gesessen und hätten gespannt gewartet, ob das Gebäck gelungen sei.

Vom Backprozess leitet sich wohl auch der Name Springerle ab. Beim Backen geht der Teig auf, er „springt“ hoch und es bilden sich die sogenannten Füßchen. Weil die Springerle kein Fett enthalten, sind sie theoretisch jahrelang haltbar. „Sie werden aber halt steinhart“, sagt Tinz und lacht. „Aber dann kann man sie noch als Christbaumschmuck verwenden.“ Ihren Enkelkindern wiederum mögen am liebsten die harten Springerle. „Das schlotzt sich so schön“, sagt sie. Für die „echten“ Schwaben sei es ebenfalls egal. „Die tunken es in ihren Kaffee“, so hat sie gelernt.

In der Kinderspielstadt vermittelt sie ihre Handwerkskunst

Den Zulauf auch bei jungen Menschen erklärt sich Irmgard Tinz mit dem allgemeinen Do-it-yourself-Trend und mit der Rückbesinnung auf Traditionen: „Junge Menschen kommen zu mir und fragen nach den Springerle-Formen, mit denen ihre Oma früher buk.“ Und: „Springerle-Backen ist ein sehr meditatives Tun.“ Das Springerle-Gebäck gehe traditionell auf drei historische Berufsgruppen zurück, die alles verarbeiteten, was von der Biene kam. Der Wachszieher fertigte Kerzen aus dem Bienenwachs, der Modelstecher schuf Formen daraus und der Lebzelter verarbeitete den Honig. Im Springerle-Gebäck werden Fertigkeiten aus allen drei Berufsgruppen vereint.

Ihr ist es wichtig, dass diese Handwerkskunst nicht ausstirbt. „Deshalb finde ich es so schön, dass die jungen Leute die Springerle wieder entdecken“, sagt Tinz. Natürlich trägt sie auch selbst dazu bei. Oft sei sie bei der Kinderspielstadt Stutengarten und backe mit den Kindern Springerle. „Da bin ich über meine Enkel dazu gekommen“, erzählt sie.

Das Springerle-Rezept von Irmgard Tinz

Zutaten 4 Eier Größe M (weiße Eier), 500 g Puderzucker, 1 Messerspitze Hirschhornsalz, 1 Esslöffel Kirschwasser, 500 g Mehl Typ 405. Zutaten vor der Zubereitung des Teigs über Nacht in einen warmen Raum stellen.

Anleitung Die Eier schaumig rühren, den gesiebten Puderzucker esslöffelweise zugeben, circa 30 Minuten zusammenrühren, bis eine dickschaumige Masse entstanden ist. Hirschhornsalz im erwärmten Kirschwasser auflösen und dazugeben (Alternative ohne Alkohol: mit warmem Wasser). Das gesiebte Mehl esslöffelweise unterrühren, den Teig in einem kalten Raum mindestens zwölf Stunden ruhen lassen. Kleine Portion abschneiden, nochmals durchkneten. Auf eine mit Mondamin bemehlte Arbeitsfläche 8 mm dick auswellen. Die Wachsmodel innen leicht mit Mondamin bestäuben, Teigoberfläche nicht zu sparsam mit Mondamin bestäuben. Model in den ganz eben und gerade ausgewellten, bemehlten Teig drücken und die fertig gemodelten Springerle mit einem Messer oder einer Ausstecherform in Form bringen. Die Springerle auf ein Holzbackbrett (!) setzen und bei mäßiger Raumtemperatur 24 Stunden trocknen lassen. Blech mit Backpapier belegen, Anis darauf streuen. Backofen vorheizen und 15 bis 20 Minuten bei circa 140°C backen. Achtung: Es kommt auf die Menge und Dicke der Springerle an, eventuell muss variiert werden.