Stadtverwaltung und Teile des Waldbeirates haben unterschiedliche Vorstellungen vom Umgang mit dem Wald. Foto: imago/BeckerBredel

Während die Stadtverwaltung von einem Paradigmenwechsel schwärmt, reißt die Kritik am neuen Konzept im Waldbeirat nicht ab. Nicht nur die Bürgerinitiative Zukunft Stuttgarter Wald bemängelt, dass die neuen Ziele nicht gemeinsam entwickelt wurden.

Stuttgart - Der Streit über die Zukunft des Stuttgarter Stadtwaldes geht in die nächste Runde. Wie geht man mit den rund 2700 Hektar in den nächsten zehn Jahren um? Unter anderem sollte diese Frage in dem im Februar 2019 neu gegründeten Waldbeirat diskutiert werden, der im Nachgang zu massiven Bürgerprotesten ins Leben gerufen wurde. Viele Stuttgarter gingen damals auf die Barrikaden, nachdem an verschiedenen Stellen im Wald Holzeinschläge durchgeführt wurden. Die Rede war teilweise von einem Bild der Verwüstung – von einem Kahlschlag, von tiefen Furchen, welche die großen Baum-Erntemaschinen im Wald zurückgelassen haben. Zum großen Teil seien sehr alte Bäume gefällt und viele Wege und Pfade unbegehbar gemacht worden, schrieb unter anderem Jörg Noetzel unserer Zeitung damals. Der Botnanger setzt sich seit diesen Erlebnissen vehement dafür ein, dass die Stadt ein neues Konzept für den künftigen Umgang mit ihrem Wald erstellt. Die Bürgerinitiative Zukunft Stuttgarter Wald wurde gegründet, die auch im Waldbeirat vertreten ist. Die Ziele sind unter anderem, dass der Boden bei der Baumernte mehr geschont, der Altbaumbestand erhalten und die Walddichte erhöht wird. Das Stichwort lautet Naturwald – wie es auch das Lübecker Modell vorsieht.

Doch in der zehnten und jüngsten Sitzung des Waldbeirates machte die Stadtverwaltung um Bürgermeister Dirk Thürnau (SPD) nun noch einmal klar, was sie von Diplom-Forstwirt Lutz Fähser und seinem Lübecker-Modell hält. „In Stuttgart wird Wein verkauft, in Lübeck Marzipan“, sagte Thürnau. Man könne dieses Konzept in der Landeshauptstadt nicht einfach umsetzen. „Wir wenden immer den aktuellen Stand der Forschung an“, ergänzte Claudia Kenntner, Leiterin der Dienststelle Stadtwald und Untere Forstbehörde. Und aktuell gebe es eben wenig Befürworter der Theorien und Hypothesen von Fähser. Zudem habe er auch im Nachgang seines Referats im Stuttgarter Waldbeirat gesagt, dass er Großstadtförstern empfehle, den Wald nach den Wünschen der Bevölkerung zu pflegen. Dass Kenntner diesen Vorschlag überhaupt nicht nachvollziehen kann, wurde am Ende der Sitzung mehr als deutlich als einige der insgesamt 29 Mitglieder des Waldbeirats kritisierten, dass über die neue Waldstrategie in den vergangenen zwei Jahren überhaupt nicht richtig diskutiert worden sei. „Es war gar keine Zeit für eine Zielbildentwicklung im Sinne einer nachhaltigen Waldstrategie oder ähnliches vorgesehen“, bemängelte Noetzel auch im Nachgang der Sitzung. „Das steht bedauerlicherweise ganz im Gegensatz zum enormen Zeitaufwand, der für das sogenannte Freizeitkonzept mit Beauftragung einer professionellen Moderation mit zahlreichen Sitzungen aufgewendet wurde.“ Dazu stellte Kenntner fest: „Beim Freizeitkonzept geht es um Menschen. Da ist wenig Fachwissen gefragt.“ Deshalb sei da auch eine Bürgerbeteiligung sinnvoll gewesen. Das sei bei der neuen Forsteinrichtungsplanung für die Jahre 2023 bis 2032 anders. Hier mache so eine Bürgerbeteiligung keinen Sinn, denn es brauche „viel viel mehr Wissen“.

Der Ausschuss für Klima und Umwelt befasst sich nun mit dem Thema

Dass auch der Waldbeirat dieses Wissen nicht habe, stand für Bürgermeister Thürnau außer Frage. Er betonte in der Sitzung mehrfach, dass der Waldbeirat nur ein beratendes Gremium sei und die Stadtverwaltung die Vorlagen für den Gemeinderat erstellt – und eben nicht die Mitglieder des Waldbeirats, in dem elf Vertreter aus der Bevölkerung, elf aus der Politik und sieben aus der Verwaltung Platz nehmen. „Eine ernst gemeinte Beteiligung der Bevölkerung ist normalerweise von Respekt und beidseitiger Kommunikation und Wertschätzung geprägt. Das war hier, insbesondere gestern Abend, leider nicht durchgehend der Fall“, sagte Noetzel einen Tag nach der Sitzung. Der gestrige Abend habe leider nur dazu gedient, die von der Forstverwaltung vorgegebenen Ziele zu erklären, aber nicht zu diskutieren. „Auch eine zumindest nach unserer Wahrnehmung sehr bemerkenswerte Interpretation von Abstimmungsergebnissen durch das Forstamt war Gegenstand der Diskussionen.“

Noetzel spielt dabei unter anderem auf den zweiten von insgesamt 13 Punkten an, über den im Rahmen der Sitzung teilweise vehement diskutiert wurde. Am 30. November hatten die Mitglieder des Waldbeirats über Zielformulierungen abgestimmt. In diesem speziellen Fall ging es um die Stilllegungsflächen im Wald, die derzeit bei acht Prozent liegen. 13 der 24 abgegebenen Stimmen votierten dafür, künftig zehn Prozent „anzustreben“. In der Beschlussvorlage, die dem Ausschuss für Klima und Umwelt nun am 25. Februar zur Vorberatung vorgelegt wird, heißt es aber: „Die Forsteinrichtung erhält den Auftrag zu prüfen, ob weitere Flächen stillgelegt werden können.“ Zu wenig für Puls-Stadtrat Christoph Ozasek: „Ich wundere mich etwas über das Abstimmungsergebnis und das, was Sie daraus gemacht haben.“ Und Grünen-Stadträtin Gabriele Munk stellte klar: „13 Stimmen sind die Mehrheit.“ Das Zehn-Prozent-Ziel solle doch bitte in die Vorlage genommen werden. Das sah Bürgermeister Thürnau anders: „Wir sind mit den acht Prozent gut unterwegs. Zehn bis elf Prozent sind schwer zu erreichen. Das ist die Meinung der Fachverwaltung und des technischen Referats.“ Wenn die Stadträte die zehn Prozent wollen, dann sollten sie einen Antrag dazu stellen. Damit war die Diskussion beendet.

Letztendlich wurden alle Vorschläge und Änderungswünsche in der jüngsten Sitzung des Waldbeirates abgelehnt. Ob das neue Waldkonzept aber so verabschiedet wird, wie sich das die Stadtverwaltung vorstellt, ist noch nicht abschließend geklärt. Der Gemeinderat hat am 10. März das letzte Wort.