Wolfgang Müller ist nah dran an einem Ausbruch auf dem Ätna. Foto: Wolfgang Müller

Sein Schutzengel leistet Überstunden. Als Rennfahrer landete er im Baumwipfel, als Vulkanforscher stand er im Brockenhagel und in Flammen. Wolfgang Müller scheut kein Risiko.

Stuttgart -

Guten Tag Herr Müller, oder soll ich sagen Katastrophen-Müller oder Vollgas-Müller?
Ich habe viele Spitznamen gehabt in meinem Leben. PS-Müller, Rallye-Müller, Renn-Müller, so haben sie mich genannt. Und natürlich Vollgas-Müller und Katastrophen-Müller.
Weil Sie nichts ausgelassen haben?
Ich war mein ganzes Leben lang unwahrscheinlich risikobereit. Ich habe Grenzerlebnisse gesucht und gefunden. Und ich habe immer gebrannt wie ein Vulkan.
Doch Ihr Schutzengel musste Überstunden machen.
Allerdings. Ich bin ein Glückspilz sondergleichen. Das ging in meiner Jugend los, als mich ein Laster überrollte und ich ein Jahr im Krankenhaus lag, über meine Rennen, wo ich beim ersten Versuch das Auto in einen Baumwipfel schleuderte, bis zu meinen Erlebnissen auf den Vulkanen. Ich stand auf Montserrat mitten in einer Glutwolke und habe überlebt.
Bleiben wir zunächst beim PS-Müller. Sie waren Ingenieur beim Daimler.

Das Auto und der Motor, das war meine Welt. Ich war Versuchsingenieur beim Daimler und zuständig für motorische Verbrennung. Also alles, was in den Motor reinkommt, Luft und Kraftstoff, und das, was hinten rauskommt; dieser ganze Prozess war meine Arbeit. Entsprechend war mir auch klar, was für ein Dreck zum Auspuff rauskommt.

Das hat Sie damals nicht gestört?
Nein. Zudem war ich ein fanatischer Autofahrer. Meine Probefahrten waren berüchtigt. Und 1970 hat mich der Rennwagenhersteller Fuchs an den Hockenheimring eingeladen, der hat seinen neuen Formel V getestet. Ich bin noch nie in einem Rennwagen gesessen und war neugierig. Ich komme also da hin, und da testen Le-Mans-Sieger Günter Steckkönig und Rolf Wütherich.
Der Rolf Wütherich, der mit James Dean im Auto verunglückte?
Genau der. Er hat schwer verletzt überlebt, Dean starb. Ich habe mit ihm zusammengearbeitet, und wir sind Freunde geworden. Aber er war gezeichnet von dem Unfall und war depressiv. Immer wieder verfiel er in düstere Phasen. Aber zugleich war er auch voller Tatendrang und Begeisterung.
Und gab Vollgas?
Ja. So wie am Hockenheimring. Wütherich und Steckkönig haben das Auto getestet. Und dann bin ich gefahren. Als ich bei der fünften Runde an den Boxen vorbeikam, da ist der Fuchs wie so ein Kasperle rumgehüpft und hat gewinkt. Ich fahre also in die Box, steige aus, und da springt der mich an, umarmt mich und sagt: Sie haben einen neuen Rundenrekord gefahren, eine Zehntelsekunde besser als die beiden Superstars. Und so kam ich zum Rennenfahren.
Gleich am nächsten Wochenende?
Ja, das lief auch alles gut. Ich überhole einen nach dem anderen. Ich bin gut, hatte ich den Eindruck. Und dachte, an dieser lang gezogenen Bergabkurve, die müsste man eigentlich Vollgas fahren können. Von wegen. Da bin ich rausgeflogen, den Abhang hinunter, mein Auto ist in die Krone eines Baumes geschossen. Das war mein erster Renneinsatz. Ich habe dann später selbst alte vergammelte Rennwagen gekauft, repariert, einen neuen Motor gebaut und bin gefahren.
Und haben 1976 aufgehört. Warum?
Letztlich ging meine Vulkan-Geilheit so weit, dass sie über die Rennerei gewachsen ist. Ich habe dreimal Rennen sausen lassen, weil ich zu den Vulkanen bin. Einmal läutete um 23 Uhr das Telefon. Mein Freund, der Hotelbesitzer Pepe, war dran und sagte: Der Ätna ist ausgebrochen! Ich frage meine Frau Helga: Fahren wir? Sie sagt: Wir fahren! Also ging es in einem Rutsch runter nach Sizilien.
Wann begann Ihre Begeisterung für Vulkane?

1967 waren wir auf Italien-Rundfahrt. Und man kann sagen, der Ätna hat mich wach gerüttelt. Als ich hochgelaufen bin, habe ich mich als Macher gefühlt, runter kam ich als ganz kleines demütiges Menschlein. Mir wurde klar: Wir haben ein Lebensrecht auf der Welt, aber eine Anpassungspflicht.

Was hat Sie so beeindruckt?
Da oben ist mir bewusst geworden: Unsere Erde ist gar nicht statisch, unsere Erde lebt. Die entwickelt sich weiter, es wird ständig eine neue Erde geboren. So ist die Natur in mein Motorenleben eingetreten. Das war für mich eine Geschichte, die mich sehr zum Nachdenken angeregt hat. Dann kam 1973 die erste Ölkrise, und mir wurde klar, dass wir wahnsinnig viele Ressourcen für die Automobilisierung der gesamten Welt verbrauchen. Und was wir für Umweltverschmutzer sind.
Also haben Sie gekündigt?
Ich habe den Absprung nicht geschafft. Ich bin ich doch Rennen gefahren, das hat so viel Spaß gemacht, ich konnte meine eigenen Motoren machen. Ich habe vielerlei versucht, bin mit dem VW Käfer in den Iran gefahren, um mit einem Freund ein Geschäft aufzubauen, war in Patagonien, um eine Pistazienfarm zu gründen, habe Sahara-Touren angeboten. Aber letztlich war das alles nichts. ich blieb beim Daimler.
Bis Sie doch gingen?
Ja. 1979 habe ich es endlich geschafft. Da ließ mich der Vorstandsvorsitzende für Technik und Entwicklung rufen und fragte mich: Wie können wir Sie halten? Wir steigen in die DTM ein, und da möchten wir Sie für die Motoren haben. Wenn ich den Job angenommen hätte, hätte ich dick über eine Million Mark gehabt im Jahr. Ich machte aber einen Gegenvorschlag.
Welchen?
Ich habe ihm vorgeschlagen, ein Auto mit drei bis fünf Liter Verbrauch zu bauen. Ich hatte mit Formel-1-Leuten in England Kontakt gehabt wegen eines Leichtbau-Chassis und auch im Kopf, wie der Motor aussehen müsste. Da sagt der Mann mir tatsächlich: Wenn eine Mercedes-Tür zufällt, muss das klingen wie bei einem Panzer.
Also ging es an den Stromboli?
Ja. Meine Frau und ich haben dort ein Häuschen renoviert. Wir hatten etwas gespart. Und wieder kam mir der Zufall zu Hilfe. Ich hatte eigentlich gedacht, ich könnte mich an der Hafenmole aufbauen und als Vulkanführer für Touristen anbieten. So wollte ich Geld verdienen. Doch dann lernte ich noch in Stuttgart einen Geophysiker kennen. Und der bot mir an, für die Uni Stuttgart auf dem Stromboli und auf dem Ätna zu forschen. Für 1000 Mark im Monat. Mein Herz ist beinahe aus der Brust gehüpft. ich konnte bei meinen geliebten Vulkanen sein.
Die Sie aber beinahe auch umgebracht hätten?

Zigmal habe ich gedacht: Hier kommst du nicht mehr runter. Ich habe manchmal einfach zu viel riskiert. Und habe das erst gemerkt, wenn die Brocken dann doch dichter gesät waren als gedacht. Auf dem Ätna bin ich im Steinhagel mit einer Motocross-Maschine den Berg runtergerast.

Sie sind auch in eine Spalte gefallen?
Ja, auf Hawaii war das. Auf dem Ätna bin ich sogar in einen Krater reingerutscht. Ich bin ran, um zu fotografieren. Da fängt die Asche plötzlich an zu rutschen und nimmt mich mit. Ich merke also, ich rutsche da rein, klar, da verrecke ich. Was also tun? Dann bin ich in drei Stunden Zentimeter um Zentimeter auf dem Rücken rausgerobbt. Den Po ein bissel angehoben, dann mit den Füßen nach, so ging’s raus. Doch das größte Glück hatte ich auf Montserrat.
Inwiefern?
Da habe ich Glutwolken studiert auf Montserrat auf der Karibik. Diese Glutwolken haben 70 Prozent der Insel zerstört. Ich war mitten in der Schussbahn und habe gefilmt und das beobachtet. Und dann dreht das in meine Richtung. Ich mittendrin in der 800 Grad heißen Glutwolke. Mein Helm und mein Rennanzug haben es ausgehalten. Aber die Klamotten waren angesengt.
Wie viele Vulkane haben Sie besucht?
Ungefähr 50. Überall auf der Welt. Mittlerweile zieht es mich aber nur noch zum Ätna und nach Hawaii. Dort darf ich am Institut im Nationalpark arbeiten.
Haben Sie eigentlich Kinder?
Nein. Da bin ich meiner Frau zutiefst dankbar. Wir wollten auch mal Kinder, als wir uns kennenlernten. Aber nach einem Jahr sagte meine Frau, du bist so ein verrückter Kerl, ich will keine Kinder mit dir. Ich werde nicht daheimhocken und die Kinder erziehen, während du große Abenteuer erlebst.
Sie bereuen nichts?
Nein. Ich kenne keinen, der ein so fantastisches Leben leben durfte wie ich.