OB Nopper befeuert mit seinem missglückten Interview die Diskussion über die Bürgerservices. Unsere Datenauswertung zeigt den Andrang in den Bürgerbüros – und legt erstmals offen, wie viele Menschen mit Termin aufs Amt kommen.
Die SWR-Doku „Amt am Limit“ ist wegen OB Frank Noppers (CDU) abgebrochenem Interview in aller Munde. Doch die Stuttgarter Stadtverwaltung tritt dort nicht nur in Gestalt des verärgerten Chefs auf – das Filmteam traf auch drei Bürgerbüro-Mitarbeiterinnen, begleitete ihren (stressigen) Arbeitsalltag und fragte, wie es inzwischen in den Büros angesichts knappen Personals und langer Schlangen läuft. Eine Datenauswertung unserer Redaktion gibt erstmals Einblicke, wie oft online gebuchte Termine in den Bürgerbüros aufgerufen werden – und ob der Andrang weiter so groß ist wie im vergangenen Jahr.
Ein Knackpunkt in der Diskussion, den auch der SWR-Film in den Fokus rückt: die digitale Ausstattung der Verwaltung. Nur in sechs großen Bezirksbürgerbüros und dem Einarbeitungs- und Ausbildungsbüro in der Stadtmitte lassen sich online Termine buchen. Diese sind jedoch schwer zu bekommen – und machen in der Praxis nur den kleineren Teil aus. Nur etwa jede fünfte Wartemarke, die in den sechs Büros in Bad Cannstatt, Mitte, Ost, West, Vaihingen und Zuffenhausen aufgerufen wird, gehört zu einem vorher gebuchten Termin. Die allermeisten Menschen kommen ohne Termin, ziehen eine Wartemarke – und müssen dafür oftmals Schlange stehen. Das zeigen Daten, die der Stuttgarter Softwareentwickler Marc Höfling seit Oktober 2023 gesammelt und die unsere Redaktion ausgewertet hat.
Höchststand im Frühjahr
Demnach lag der Anteil der aufgerufenen Wartemarken mit Termin über ein Jahr hinweg jede Woche konstant bei etwa 21 Prozent. Die Grafik zeigt die wöchentlich aufgerufenen Wartemarken in Prozent – mit einem Klick auf „Absolut“ und „Prozent“ wechseln Sie zwischen den relativen Anteilen und den Gesamtzahlen. In absoluten Zahlen schwanken die aufgerufenen Wartemarken von Woche zu Woche. Feiertage und Ferienzeiten führen immer wieder zu Einbrüchen. Im Frühjahr wurde mit mehr als 3500 Marken in einer Woche der Höchststand erreicht.
Seit dem 5. September ist das Bürgerbüro Bad Cannstatt wegen Umbau geschlossen, die Zahlen gingen entsprechend zurück. Die dortigen Angestellten verstärken laut der Stadt so lange Bürgerbüros in benachbarten Bezirken, für die jedoch keine Daten zu den aufgerufenen Marken vorliegen. Auf Nachfrage teilte eine Stadtsprecherin mit, man erhebe selbst keine Zahlen über den Anteil der Kunden mit und ohne Termin in den Bürgerbüros. Zwar soll im nächsten Jahr eine neue Software für die Terminbuchung eingeführt werden, an die mehr Bürgerbüros angeschlossen werden und die kurzfristigere Termine ermöglicht. Doch laut der Stadt gibt es kein Ziel für den künftigen Terminanteil. Die gute Nachricht: Der Andrang ist im Vergleich zum Sommer 2023 zurückgegangen. Während im Juli und August 2023 viele Bürgerbüros bereits kurz nach der morgendlichen Öffnung die Wartemarkenausgabe stoppen mussten, weil schon zu viele Menschen vor der Tür standen, liefen die diesjährigen Sommermonate deutlich besser. Das zeigt unsere Auswertung der Online-„Warteampel“, die auf der städtischen Webseite die Echtzeitauslastung der Bürgerbüros meldet.
Im Schnitt aller Büros zeigte die Ampel im Sommer erst mehr als zwei Stunden nach Öffnung „Keine Wartemarken mehr verfügbar“ an, im Oktober lag der Wert bei etwa zweieinhalb Stunden. Die folgende Grafik zeigt im Zeitverlauf, wie schnell die Wartemarkenausgabe im Schnitt aller Bürgerbüros morgens geschlossen werden musste – im Juli 2023 und Mai 2024 sank der Wert auf etwa eine Stunde nach Öffnung. Dass der Andrang im September wieder größer war, erklärt die Stadt nicht mit der Schließung von Bad Cannstatt, sondern mit drei Fortbildungstagen, wegen der die Büros geschlossen waren – mit entsprechend höherem Andrang an den übrigen Tagen.
Insgesamt läuft es besser als im Vorjahr – als die Stadt und OB Nopper bereits Verbesserungen versprochen hatten. Die aktuelle Entwicklung liegt laut der Stadt an den erfolgreichen „intensiven Bemühungen um mehr Personal“. Im Unterschied zum Vorjahr sind inzwischen die Bürgerbüros Degerloch und Plieningen wieder geöffnet. Im September öffnete zudem das Bürgerbüro Untertürkheim wieder – parallel zur Schließung im benachbarten Bad Cannstatt.
Daten und Methodik
Wartemarken
Die Zahlen zu den aufgerufenen Marken basieren auf den Anzeigetafeln der Bürgerbüros, auf denen die Wartemarkennummern aufgerufen werden. Sie sind im Internet verfügbar und wurden laufend abgefragt. Nicht jede aufgerufene Marke entspricht jedoch zwingend einem bedienten Kunden – ob dem Aufruf tatsächlich eine Person gefolgt ist, lässt sich nicht sagen. Ob in Einzelfällen Personen das Warten vorzeitig aufgeben oder Termine verstreichen lassen, geht aus den Daten nicht hervor.
Echtzeitampel
Die Stadt stellt auf ihrer Webseite eine „Warteampel“ zur Verfügung, die den Andrang in den Bürgerbüros live anzeigt und Bürger darüber informieren soll, ob die Wartemarkenausgabe bereits vorzeitig geschlossen werden musste. Die Daten dieser Ampel fragt der Softwareentwickler Marc Höfling ebenfalls automatisiert ab.