Die Tempo-30-Regelungen in den Wohngebieten will Stuttgarts Stadtverwaltung verteidigen. Foto: dpa

Die Kritiker von Tempo 40 auf Stuttgarts Straßen haben Auftrieb erhalten: weil der Schadstoffausstoß der Autos nicht unbedingt mit dem Tempo sinkt. Doch an Steigungsstrecken kann es sinnvoll sein, bestätigen Messungen. Das sorgt für Zwist über die Verkehrspolitik der Stadt.

Stuttgart - Die Bedenken, dass Tempo-30 oder Tempo-40-Regelungen für den Autoverkehr die Luftqualität nicht verbessern können, sind am Dienstag im Stuttgarter Rathaus bestätigt worden. Der Experte Sebastian Scheinhardt von der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz (LUBW) berichtete auf Antrag der Freien Wähler von entsprechenden Gutachtenergebnissen. Die Fraktionen im Gemeinderatsausschuss für Umwelt und Technik sowie die Stadtverwaltung waren sich über die Konsequenzen für die städtische Tempopolitik trotzdem nur stellenweise einig.

Auch Tests mit drei modernen Euro-6-Fahrzeugen in Stuttgart hätten gezeigt, dass durch niedrigere Geschwindigkeiten nicht per se weniger Stickoxide (NOx)ausgepustet würden als bei Tempo 50, sagte Scheinhardt. Die höchsten Emissionen ergäben sich bei ständigem Halten und Wiederanfahren wie im Stau. Je mehr Dynamik und Beschleunigung stattfinde, desto höher sei der NOx-Ausstoß. Bei Straßensteigungen von sechs Prozent habe Tempo 40 positive Wirkung. Verbesserungen seien beispielsweise auf der Hohenheimer Straße nachgewiesen worden, wo auch mit zeitweisen Parkzeitbeschränkungen auf der rechten Fahrspur für stetigeren Verkehrsfluss gesorgt wurde. Vor der Einführung von Tempobegrenzungen müsse man die Folgen in jedem Einzelfall prüfen, riet Scheinhardt.

Bürgerlich-konservatives Lager übt Kritik

Jürgen Zeeb (FW) folgerte, die „Verherrlichung von Tempo 30“ sei somit falsch. Alexander Kotz (CDU) fand, „die Maxime muss sein, der Verkehr muss fließen“. Manche Fußgängerüberführung über große Straßen müsse noch einmal überdacht werden. Fußgänger müsse man eben auch mal zehn Sekunden länger warten lassen. Björn Peterhoff (Grüne) erinnerte daran, dass die Stadt schon bisher „differenziert vorgegangen“ sei, indem sie sich auf Steigungsstrecken konzentriert habe. Im Übrigen gehe es bei der städtischen Verkehrspolitik nicht nur um Luftqualität, sondern auch Lärmreduzierung und Sicherheit. Martin Körner (SPD) forderte denn auch, die Einrichtung von sicherheitsbedingten Tempo-30-Zonen vor Schulen zu forcieren, weitere Tempo-40-Regelungen an Steigungsstrecken noch einmal genauer zu betrachten.

Christoph Ozasek (Die Linke) verteidigte das Ziel der Fraktionsgemeinschaft SÖS/Linke-plus, den Verkehr in Stuttgart zu entschleunigen und um 50 Prozent zu verringern. Dagegen meinte Eberhard Brett (AfD), in der Stadt von Porsche und Mercedes sei es nicht sinnvoll, immer langsameres Autofahren durchsetzen zu wollen und „Pferdewagen“ zu fördern. Michael Conz (FDP) zweifelte an, dass all die Blitzer notwendig seien, deretwegen Autofahrer bremsen und dann wieder beschleunigen. Das Gleiche gelte für „Rufampeln“, an denen Fußgänger Grün anfordern können. Der Stadtist Ralph Schertlen sprach sich – wie das bürgerlich-konservative Lager – für Ringstraßen um Stuttgart herum aus.

Stadtverwaltung verteidigt ihre Linie

Städtebaubürgermeister Peter Pätzold (Grüne) lehnte den Bau solcher Straßen ab, weil der Durchgangsverkehr in Stuttgart „nicht relevant“ sei. Der Stadtklimatologe Ulrich Reuter erinnerte an die seit Jahren verfolgte Linie der Verwaltung: „Tempo 30 und 40 auf ebenen Strecken sind kritisch. Auf Steigungsstrecken bringt Tempo 40 Vorteile – und ein stetiger Verkehrsfluss ist das i-Tüpfelchen oben drauf.“

Susanne Scherz vom städtischen Ordnungsamt wies wie Pätzold den Vorwurf der Freien Wähler zurück, dass im Maßnahmenplan der Verwaltung Chaos herrsche und OB Kuhn Ordnung schaffen müsse. Man habe klare Ziele und „wir stellen die Tempo-30-Zonen nicht zur Disposition“, die mittlerweile auf 1000 von 1500 Straßenkilometern in Stuttgart ausgewiesen seien. Denn da handle es sich um Wohngebiete, sagte Scherz. Und Ordnungsbürgermeister Martin Schairer (CDU) wurde ganz deutlich: Maßnahmen aus Gründen von Luftreinhaltung, Lärmminderung und Sicherheit seien „nicht ins Belieben der Politik gestellt“. Hier gehe es um „ermessensgebundene Entscheidungen der Verwaltung“. Sprich: Die Stadträte haben praktisch nichts zu sagen.