Auch das weiße Leistenkrokodil Tong sprang nach dem Futter, wenn Tierpfleger Harry Aberle gerufen hat. Foto: © Harald Loeffler/Eye-of-the-Tiger.com/Harald Loeffler

47 Jahre lang arbeitete Harry Aberle als Tierpfleger im Stuttgarter Zoo – und war für die gefährlichsten Reptilien und Amphibien zuständig. Jetzt geht er in den Ruhestand.

Zum Abschied kurz vor dem Ruhestand zeigt Harry Aberle noch etwas Rekordverdächtiges: Das 4,30 Meter große Leistenkrokodil Frederick springt auf das Kommando des Tierpflegers in die Höhe und schnappt sich ein Huhn aus seiner bloßen Hand. „Das sieht man in Europa kein zweites Mal“, sagt Aberle stolz. Warum das sonst niemand macht? „Na, weil die Schiss haben“, lautet die einleuchtende Antwort. Denn das größte Krokodil Deutschlands taucht wie aus dem Nichts auf, wuchtet seine 520 Kilo aus dem Wasser und kommt Aberle mit seinen 64 Zähnen extrem nah. „Man muss eben aufpassen“, lautet das Erfolgsrezept des 64-Jährigen.

Schon als Lehrling mit Giftschlangen hantiert

Aufpassen musste er an jedem seiner Arbeitstage in den vergangenen 47 Jahren, immer zu 100 Prozent bei der Sache sein. Denn Crocodile Harry, wie er in der Wilhelma genannt wird, leitete das Tierpflege-Team im Terrarium, das rund 100 Arten von Reptilien und Amphibien beherbergt. Über die Wilhelma hinaus bekannt wurde er durch verschiedene Fernsehauftritte, zum Beispiel in Zoo-Dokuserien. Außerdem war der Spezialist für Schlangen auch außerhalb des Zoos im Einsatz, um Polizei und Feuerwehr im Umgang mit gefährlichen Tieren zu beraten oder selbst die ein oder andere ausgebüxte Giftschlange wieder einzufangen. „Ich hatte schon als Lehrling mit den giftigsten Schlangen zu tun. Das wäre heute nicht mehr erlaubt“, erzählt er. Damals habe er manchmal noch Angst gehabt, heute bringt ihn selbst die Gabunviper – eine der giftigsten Schlangen der Welt – nicht aus der Ruhe. „Jeder Tag ist bei den Schlangen ein neues Spiel – man weiß nie, wie sie drauf sind.“

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Spektakuläre Fütterungen mit Leistenkrokodil Tong

Doch der Krokodilflüsterer hat für die ihm anvertrauten Tiere ein Gespür. Deshalb ahnte Aberle auch schon nach kurzer Zeit, dass der vor drei Jahren in die Wilhelma gezogene Krokodilbulle Frederick eines Tages auf sein Kommando springen würde.

Zuvor hatte der Tierpfleger schon internationale Bekanntheit erlangt, weil er das kleinere weiße Leistenkrokodil Tong in jahrelangem Training zum Springen brachte – was die Wilhelma-Besucher immer montags bei der Fütterung in Staunen versetzte. Auch in der Natur schnappen sich Leistenkrokodile auf diese Weise Vögel oder sogar Affen, die auf Ästen über dem Fluss sitzen. „Ich hatte das gesehen und wollte es unbedingt ausprobieren“, erinnert sich Aberle. Als die Krokodilhalle 2006 renoviert wurde, plante Aberle bereits die spektakulären Fütterungen – und ließ dafür den Platz über dem Wasser einbauen.

Erinnerungen an legendäres Krokodil „Großer Weißer“

Ohnehin gestaltete er die Gehege der Tiere maßgeblich mit. Eine seiner originellen Ideen sind die Krokodil-Fußspuren am Boden der Halle. Sie stammen von dem „Großen Weißen“, einem mächtigen Krokodilbullen, den Aberle pflegte und der auch vielen Wilhelma-Besuchern noch im Gedächtnis geblieben sein dürfte. Nach dem Tod des legendären Krokodils im Jahr 2000 erhielt der Zoo den Abguss eines seiner Hinterfüße. Damit prägte Aberle die Abdrücke in den frisch modellierten Boden. Noch heute freut er sich, wenn Kinder rufen: „Da ist ein Krokodil gelaufen!“ Außerdem schaffte er so eine bleibende Erinnerung an ein Tier, das ihm ans Herz gewachsen war.

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Die Krokodile beschäftigten ihn sogar in seiner Freizeit – er bereiste die Lebensräume seiner Lieblinge in Sumatra, Borneo oder Sri Lanka. Denn die gefährlichen Reptilien sind Aberles Leben, seine absoluten „Traumtiere“. Er schätzt an ihnen ihre Intelligenz, unterschätzt sie aber niemals, auch wenn sie ihm „wie Hündchen folgen“.

Und so werden ihm auch Frederick und Tong im Ruhestand am meisten fehlen: „Meine Krokodile würde ich am liebsten mitnehmen und in meiner Badewanne halten.“