Marika Lulay leitet das Tagesgeschäft beim Stuttgarter IT-Dienstleister GFT und ist es gewohnt, ihren Mitarbeitern Zugeständnisse zu machen, zum Beispiel beim Videospielen. Das System empfiehlt sie auch anderen Unternehmen.

Stuttgart - Ihr Lächeln ist verbindlich, ihre Antworten sind zielgerichtet: Marika Lulay (53) gibt selten Interviews, ihr ist die Sache wichtiger als die eigene Person. Vielleicht ist sie auch deshalb als eine der Top-Frauen der deutschen IT-Branche anerkannt. Für den Stuttgarter IT-Dienstleister GFT leitet sie das operative Tagesgeschäft und ist Mitglied des Verwaltungsrats, bereits seit 2002 ist sie im Vorstand. Zuvor hat sie bei der Software-Beratungsfirma Cambridge Technology Partners den rasanten Aufstieg und Fall der New Economy miterlebt. Ihre Augen leuchten, wenn sie davon erzählt. Um Mitarbeiter zu gewinnen, wurde das Gehalt zweimal im Jahr erhöht – zweistellig. Dazu gab es Extras wie Wäscheservice und Massagen. Wie berauscht seien alle vom Erfolg der neuen Software-Industrie gewesen, niemand habe sich dem entziehen können. Gleichzeitig habe sie sich wie eine Getriebene gefühlt, weil auch die Erwartungen exorbitant gestiegen seien. Sie strahlt noch immer, sie wolle dennoch nichts missen, es sind ihre prägenden Jahre. Auch dem Branchenabsturz kann sie gute Seiten abgewinnen: Er habe sie geerdet. Und ein besseres Gefühl für die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter gegeben. Darum soll es zuerst im Gespräch gehen.

Frau Lulay, Sie bezeichnen Ihre IT-Mitarbeiter als „Primadonnen“. Wie muss man mit ihnen umgehen?
Es ist schwieriger, Mitarbeiter zu führen, die überall einen Job haben könnten. Das unterscheidet uns von vielen Branchen. Unsere Mitarbeiter wollen eine sinnstiftende Arbeit und coole Projekte. Da muss man ihnen manchmal auch klarmachen, dass es banale Aufgaben gibt.
Was gönnen Sie Ihren Mitarbeitern?
In den Pausenräumen gibt es zum Beispiel Video- und Computerspiele. Das wird hemmungslos genutzt – egal, ob ich den Raum betrete. Es ist völlig in Ordnung, dass sie das auch in ihrer Arbeitszeit machen. Programmieren ist Kopfarbeit – da müssen sie sich auch ablenken, um erfolgreich zu sein.
Was können andere Branchen von IT-Unternehmen lernen?
Wir haben eine positive und vor allem aktive Bereitschaft, mit Risiken umzugehen. In der IT machen sie nichts ein zweites Mal – egal wo auf der Welt. Sie müssen schon beim ersten Wurf sehr gut sein, weil sie kaum eine Chance bekommen nachzubessern. Trotzdem müssen Sie auch immer etwas riskieren, um den Kunden zu begeistern. In dieser Hinsicht ist die IT-Industrie der amerikanischen Wirtschaft nahe. Wer sein Unternehmen digitalisieren will, muss diese Haltung annehmen und eine Fehlerkultur etablieren.
Was ist dabei die größte Herausforderung?
In Branchen wie dem Automobil- oder Maschinenbau steht die Sicherheit und das Bekannte für Mitarbeiter an erster Stelle – Neues sorgt oft für Unbehagen. Je größer ein Unternehmen ist, desto stärker sichern sich die Entscheider ab. Sie dürfen keinen Fehler machen oder genauer: Er darf ihnen nicht nachgewiesen werden. Niemand will negativ auffallen. Das gilt besonders für die mittlere und untere Führungsebene, also das Rückgrat eines Unternehmens. Bei solch einer Kultur werden es vor allem nur Ideen schaffen, die andere auch haben.
Wie lässt sich das ändern?
Wandel geht immer nur von oben nach unten. Wenn die Chefetage nicht mitspielt, ist keine Veränderung möglich, auch wenn die Mitarbeiter es wollten. Die oberste Führungsebene muss den unteren Führungsebenen glaubhaft vorleben und unter Beweis stellen, dass sie auch Fehler machen dürfen. Zwar wollen viele Manager Neues schaffen – das nötige Risiko dafür wollen sie aber nicht eingehen.

Oft spricht Marika Lulay davon, dass man in der IT-Branche auch Verantwortung abgeben müsse, ein „Democracy Business“ nennt sie das. Manche Unternehmensberater sagen, diese Art zu führen, falle Frauen leichter – und führen dies als ein Argument für die Frauenquote ein. Lulay nervt das Thema Quote. Sie möchte nicht nach ihrem Geschlecht kategorisiert werden. Eine heikle Frage:

Frau Lulay, nur wenige Frauen haben eine so herausgehobene Führungsposition wie Sie. Führen Frauen anders als Männer?
Das ist schwierig. Es gibt eine weibliche und eine männliche Seite von Führung, die nichts mit dem Geschlecht zu tun haben muss. Ich glaube, dass man diese Seiten bei der Führung in Balance bringen muss. Man sollte also das eher weibliche Zuhören und Hineinfühlen mit eher männlichen Eigenschaften wie dem Machen und Umsetzen verbinden. Sonst ist man zum Scheitern verurteilt.

Marika Lulay über Nerds und Frauenquoten

Was halten Sie von der Frauenquote?
Nichts. Ich kann es mir aber auch leisten, gegen die Frauenquote zu sein. In unserem Kulturkreis wird man als Frau nicht wesentlich benachteiligt. Wenn Sie Ihren Minderheitenstatus dauernd betonen, dann reizen Sie die anderen nur und bewirken eventuell sogar das Gegenteil. Das Ziel, mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen, unterstütze ich voll und ganz, denn eine gute Mischung bereichert jedes Unternehmen. Und da schließt sich der Kreis: Eine ehrliche Unternehmenskultur mit allen Farben und Facetten ist das A und O für den Erfolg in einer dynamisch wachsenden, digitalen Welt.

Sie möchte nicht weiter darüber reden, also zurück zur Sache: Mit GFT versucht Lulay, für Banken neue digitale Geschäftsmodelle zu entwickeln. Banken entwickelten sich immer mehr zu „IT-Unternehmen mit angeschlossenem Schalter“, wie Lulay es nennt. Das wissen auch IT-Konkurrenten wie Apple, die mit eigenen Bezahlsystemen den Banken zunehmend Konkurrenz machen.

Frau Lulay, wie müssen sich Banken in Zukunft verändern?
Die Banken müssen ihre Kundendaten stärker nutzen, um den Kunden zusätzliche Angebote zu machen. Die Kunden vertrauen einer Bank mehr als Apple oder Facebook. Sie könnten ein sicherer Hafen sein nicht nur für Geldanlagen, sondern auch im Sinne einer Daten-Bank. Entscheidend wird sein, dass die Banken die Kundendaten auswerten können. Das wird künftig die Kernkompetenz sein.
Haben Sie ein Beispiel?
Banken sind künftig auch Händler, weil sie die Kundendaten zum Vorteil der Kunden nutzen – natürlich nur, wenn diese einverstanden sind. Die Bank weiß dann zum Beispiel, was der Kunde gerne einkauft. Wenn er dann beim Einkauf an einer Buchhandlung vorbeikommt, was sein Smartphone durch die Satellitenortung verrät, könnte die Bank einen Rabatt für das Buch des Lieblingsautors anbieten. Die Bank wiederum könnte dafür eine Provision des Buchhändlers einstreichen.
Was ist noch möglich?
Sie könnte natürlich auch den passenden Kredit anbieten, wenn der Kunde beim Autohändler ist – noch bevor der Kunde überhaupt nach einem Kredit gefragt hat, also proaktiv. Kunden bekommen künftig jederzeit das passgenaue Angebot, wenn sie es wollen. Die Banken werden künftig mit viel mehr handeln als nur mit Geld.
 

Es werde Geschäftsmodelle geben, die man sich noch gar nicht vorstellen könne, sagt Lulay. Früher habe man Telefonate nach Wochentag und Tageszeit abgerechnet – ein Flatrate-Modell habe sich keiner vorstellen können. Wieder leuchten ihre Augen, es ist zu spüren, wie sie sich für den technischen Wandel begeistert.

Frau Lulay, sind Sie eigentlich ein Technikfreak – ein Nerd?
Manchmal schon – und da bin ich auch stolz drauf. Ein Nerd kann hoch konzentriert, analytisch und versunken an einem Thema arbeiten und dabei die Zeit vergessen.
Beim Informatikstudium haben Sie fast nur Männer als Kommilitonen gehabt. Hat Sie das nachhaltig geschädigt?
(Lacht.) Dadurch war ich eine Exotin und musste immer wieder erklären, warum ich ausgerechnet Informatik studiere. Ich musste mich viel stärker als andere für meinen Beruf entscheiden.
 

Kurzbiografie von Marika Lulay

Kurzbiografie von Marika Lulay

Marika Lulay wird 1962 in Heidelberg geboren. Nach ihrem Informatikstudium in Darmstadt gründet sie unter anderem die Bistec GmbH, einen Softwarehersteller für das Baugewerbe.

1990 bis 1996 arbeitet sie für die Software AG in Deutschland und von 1996 bis 2002 für die Cambridge Technology Partners in Europa. Von 2002 bis August 2015 ist Lulay Mitglied des Vorstands der GFT Technologies AG und seit August Mitglied des Verwaltungsrats und geschäftsführende Direktorin der GFT Technologies SE.

Die GFT Technologies SE hat ihre Zentrale in Stuttgart und erzielte im Geschäftsjahr 2014 mit 3300 Mitarbeitern in elf Ländern einen Gesamtumsatz von 365 Millionen Euro (inklusive des veräußerten Geschäftsbereichs emagine).

Lulays Lieblingsleitsatz heißt „Fail fast, adopt and change“ – übersetzt: „schnell scheitern, annehmen und ändern“. (dag)