Auf einer ganztätigen Stadtbahn-Tour hat sich OB Frank Nopper (li.) vor Kurzem über die SSB und ihre Altlasten informiert. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Das Nahverkehrsunternehmen der Landeshauptstadt sieht den Schaden nach einem Urteil gegen ein ehemaliges Vorstandsmitglied nicht ausgeglichen.

Vor zehn Wochen hat die 31. Kammer für Handelssachen am Landgericht Stuttgart ein früheres Vorstandsmitglied der Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) zu einer hohen Geldstrafe verurteilt. Damit soll Schadensersatz für über eine viele Jahre zu hohe Vergütung von Betriebsratsmitgliedern des städtischen Unternehmens geleistet werden. Nun zeigt sich, dass beide Seiten mit dem Urteil nicht zufrieden sind. Sie haben Berufung beim Oberlandesgericht Stuttgart (OLG) eingelegt. Man führe das Verfahren unter dem Aktenzeichen 20 U 37/23, teilte die Pressestelle des OLG auf Anfrage mit.

 

Kammer sah Grundsätze verletzt

Das Landgericht hatte in dem Fall entschieden, dass der bis zum Ruhestand im Jahr 2015 tätige frühere Arbeitsdirektor Reinhold Bauer 580 000 Euro zahlen müsse. Die Richter begründeten ihr Urteil ausführlich. Sie wiesen auf die sogenannte Legalitätspflicht der Vorstandsmitglieder einer AG hin. Gesetzliche Vorgaben müssten beachtet werden. So dürfte das Arbeitsentgelt von Betriebsratsmitgliedern nicht geringer bemessen werden als das vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung. Es verböten sich sowohl die Begünstigung als auch die Benachteiligung von Betriebsratsmitgliedern wegen ihrer Tätigkeit. Ein Anspruch auf Erhöhung des Entgelts stehe ihnen grundsätzlich nur in dem Umfang zu, in dem das Entgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung steige. Eine Zusatzvergütung für die Wahrnehmung der Betriebsratstätigkeit dürfe der Arbeitgeber nicht gewähren.

Diese Grundsätze sah die Kammer offenbar verletzt. Vorstandsmitglieder hafteten auch dann, wenn sie über die Gewährung von Zulagen oder sonstigen Vergütungsbestandteilen nicht selbst entscheiden würden.

Dann müssten sie durch Einrichtung eines entsprechenden Compliance-Systems und dessen Überwachung unternehmensintern dafür sorgen, dass die gesetzlichen Vorgaben zur Vergütung von Betriebsratsmitgliedern eingehalten würden. Bei der SSB AG habe die tatsächliche Vergütungspraxis teilweise nicht einmal im Einklang mit dem vom Vorstand beschlossenen „Grundsätzepapier“ gestanden. Betroffene Betriebsräte hatten zuvor vor dem Arbeitsgericht gegen die individuelle Rückstufung in niedrigere Entgeltgruppen geklagt und verloren.

Urteilssumme von Streitwert deutlich entfernt

Der Streitwert im Verfahren gegen den früheren Personalvorstand beläuft sich auf 1,9 Millionen Euro. Die SSB sind stark defizitär, verschuldet und benötigen von der Stadt jährlich in der Regel einen zweistelligen Millionenbetrag zum Verlustausgleich. Aus Sicht des Unternehmens gäbe es beim Schadensersatz Luft nach oben. Die Entscheidung zur Berufung, die vorsorglich erfolgt ist, und die Gründe dafür wollten die SSB auf mehrfache Nachfrage unserer Zeitung nicht nennen. Alle Anfragen blieben unbeantwortet. Der ehemalige Personalvorstand wollte sich auf Anfrage zu dem Komplex ebenfalls nicht äußern.

Stuttgarts OB Frank Nopper (CDU) will als SSB-Aufsichtsratsvorsitzender das Kontrollgremium am Dienstag, 19. September, in einer Sondersitzung über die Entwicklung informieren. Dann soll ein formeller Beschluss zur Berufung fallen.