Farhad Alsilo auf dem Dach der Stadtbibliothek Stuttgart. In der Bibliothek hat er sehr viel Zeit verbracht. Foto: LICHTGUT/Zophia Ewska

Der schlimmste Tag in Farhad Alsilos Leben ist bald zehn Jahre her. Den Anblick seines ermordeten Vaters wird der Maschinenbaustudent und Autor nie vergessen. Es ist nicht der einzige Schrecken, der dem jungen Jesiden widerfuhr. Wie lebt man damit?

Ganz oben in der Ecke des Wohnzimmers, in das Farhad Alsilo bittet, hängt ein gerahmtes Bild eines jungen Mannes mit Schnurrbart. Es ist das einzige Bild im Raum. Das sei Ibrahim, sagt Farhad Alsilo, als er auf einem silbrigblau schimmernden, weichen Sofa Platz genommen hat. Ibrahim ist sein 14 Jahre älterer Bruder – und sein großes Vorbild. Obwohl er nie die Schule besucht habe, habe er drei Sprachen gesprochen: Kurdisch, Arabisch und Englisch. Mit seinem Geschäftssinn hat er die Familie vor Jahren aus der Armut geholt. Was wurde aus Ibrahim? Seit einem blutigen Angriff von radikalislamischen Milizen am 14. August 2007 fehlt von dem erstgeborenen Sohn der Alsilos jedes Lebenszeichen. Die Familie weiß nicht, ob er ermordet oder verschleppt wurde. Es sei schwer, mit der Ungewissheit zu leben, sagt der fast 21-Jährige.