Auch in Deutschland sehen US-Amerikaner dem Ergebnis der Stimmenauszählung – hier in Portland – mit Spannung entgegen. Foto: dpa/Paula Bronstein

Am Dienstagabend hat die Stimmauszählung in den USA begonnen. In Stuttgart lebende US-Amerikaner sehen vor allem die Schwierigkeit, das gespaltene Land wieder zu vereinen.

Stuttgart - „Ich habe geschlafen wie vor einem Examen, zwischendurch hatte ich Angstzustände!“, erzählt Elena Fort, US-Amerikanerin, die sei 2016 in Stuttgart lebt und als selbstständige Englischlehrerin tätig ist. Sie habe stundenlang die Nachrichten verfolgt, sei zwischendurch eingenickt, und habe sich um 5 Uhr morgens schließlich dazu entschieden, den Fernseher auszuschalten. Der Grund für den gemeinsamen Umzug mit ihrem deutschen Ehemann: die Wahl von Donald Trump zum Präsidenten im Jahr 2016. „Damals dachte ich wirklich, Trump wird niemals gewinnen“, sagt sie und lacht ernüchtert. Die diesjährige Wahl vom Ausland aus zu beobachten, fühle sich seltsam an. „Da ich in Deutschland bin, zerbreche ich mir nicht um meine eigene Zukunft den Kopf, sondern um die meiner amerikanischen Freunde. Ich mache mir zum Beispiel Sorgen um deren Grundrechte, viele von ihnen gehören zur LGBTQ-Gemeinschaft“, so Fort. Zum Zeitpunkt, da sie das sagt, lässt das Ergebnis noch auf sich warten, Trump allerdings beansprucht den Wahlsieg bereits für sich und will gerichtlich verhindern, dass weitere Briefwahlstimmen ausgezählt werden. „Überrascht hat mich das nicht. Das ist das Etikett eines diktatorischen Präsidenten, der vor allem Angst machen will“, kommentiert Fort. Ähnlich die Amerikanerin Cindy Halbert-Seger, die durch ein NATO-Stipendium nach Stuttgart kam: „Trump stellt alles in Frage, was wir bisher gekannt haben. Nichts gilt mehr. Das verursacht sehr viel Chaos und Misstrauen.“

Auslandsamerikaner blicken auf hitzige Wahlkampfmonate zurück

„Trump war aggressiver, Biden höflicher, um zu zeigen, dass er das Gegenteil ist. Strategisch hat das für beide geklappt“, kommentiert Pedro Jimenez, der in Chicago, Illinois aufgewachsen ist und vor 17 Jahren bei einem College-Austausch seine heutige deutsche Frau kennengelernt hat. Dass Trump an Corona erkrankt war, habe ihm geholfen, denn er habe die schnelle Genesung gut vermarktet. Hatteras Hoops, ein anderer in Stuttgart lebender Amerikaner, teilt seine Enttäuschung über die Wahlkampfduelle mit: „Es wäre eine Farce zu sagen, dass die Duelle Debatten waren. Die Kandidaten haben nicht über Politik geredet, sondern sich mit höhnischen Bemerkungen beworfen!“

Biden als „Wundpflaster“ für die nächsten vier Jahre

Auf Trumps Präsidentschaft zurückblickend, meint Hoops, dass diese sein Leben in Deutschland deutlich erschwert hat. Er mache sich als Auslandsamerikaner Sorgen um die deutsch-amerikanischen Beziehungen. Die Stuttgarterin Natalia Rankine-Galloway, die vor zweieinhalb Jahren aus Virginia emigrierte, habe schon in ihrer Kindheit Berührungspunkte mit dem damaligen Unternehmer gehabt „Ich bin in New York zur High School gegangen. Damals war Trump eine richtige Persönlichkeit in der New Yorker Szene. Mit meinem Vater bin ich ins Football-Stadion gegangen und von weit weg konnte man seine Haare sehen“, sagt sie und lacht. Ein paar Menschen hätten sich vor 2016 ausgeschlossen gefühlt, er hätte ihnen Würde zurückgegeben, so erklärt sich Rankine-Galloway die erste Wahl Trumps. Bei der diesjährigen Wahl hat jeder der fünf Interviewpartner Biden gewählt, teils aus Überzeugung, teils als Übergangskandidaten, als „Wundpflaster“, wie Jimenez formuliert. „Viele Menschen meiner Generation, also die Millennials, empfinden Biden als Notlösung“, meint Jimenez.

Land so gespalten wie nie zuvor

Was die Zukunft betrifft, wäre für Hoops das Albtraumszenario, wenn die Menschen sich weigerten, das Ergebnis zu akzeptieren. „Und ich glaube, das wird gerade Realität”, meint Hoops. Cindy Halbert-Seger sieht es ähnlich dramatisch: „Das Land ist so gespalten, wie noch nie zuvor. Das ist nicht mehr das Land, in dem ich aufgewachsen bin.“ Polarisierung spürt auch Natalia Rankine-Galloway. Freunde hätten einander gesagt: „Wenn du Biden wählst, können wir keine Freunde mehr sein.“ Für die Zukunft wünsche sie sich, dass die Menschen wieder zur Menschlichkeit zurückfinden.