Die Eltern vieler Viertklässler müssen in den nächsten Wochen entscheiden, wohin sie ihre Kinder im nächsten Schuljahr schicken. Foto: Oksana Kuzmina/Adobe Stock

Demnächst erhalten die Viertklässler ihre Grundschulempfehlung. Gymnasium oder nicht – das ist für viele Familien eine schwierige Entscheidung. Holger zur Hausen, der geschäftsführende Schulleiter der Stuttgarter Gymnasien und Leiter des Zeppelin-Gymnasiums, erklärt, auf was es wirklich ankommt.

Stuttgart - Demnächst erhalten die Viertklässler ihre Grundschulempfehlung. Am 21. und 22. März sind die Anmeldetermine für die weiterführenden Schulen. Gymnasium oder nicht – das ist für viele Familien eine schwierige Entscheidung. Holger zur Hausen, der geschäftsführende Schulleiter der Stuttgarter Gymnasien und Leiter des Zeppelin-Gymnasiums, erklärt, worauf es dabei wirklich ankommt.

Herr zur Hausen, was sollten Eltern bei der Entscheidung für die weiterführende Schule beachten?
Eltern sollten dabei beachten, dass sie das ganze Verfahren, das ihnen die Grundschule in der Beratung anbietet, ernst nehmen, annehmen und sich daran nach Möglichkeit halten.
Welche Voraussetzungen sollte ein Kind fürs Gymnasium mitbringen?
Drei Grundvoraussetzungen braucht ein Kind fürs Gymnasium: erstens Neugierde auf Wissen, zweitens eine altersgerechte Organisationsfähigkeit und drittens die entsprechenden kognitiven Voraussetzungen, damit es sich bei dem Schulwechsel schnell zurechtfinden kann.
Können Sie den Begriff kognitive Voraussetzungen konkreter fassen?
Ich würde da auf die Langzeitbeobachtungen der Grundschulen verweisen: Es sollten gute Grundschulnoten und eine gesicherte Gymnasialempfehlung sein. Die Grundschullehrer sollten zur Einschätzung gelangt sein, dass das Kind genügend Kapazitäten hat, auch den vielfältigen Fächerkanon mit zunehmend abstrahierten Inhalten zu erfassen.
Woran können Eltern merken, dass ihr Kind besser nicht aufs Gymnasium sollte?
Das fängt schon beim Lernverhalten an. Wenn Eltern zu Hause feststellen, dass sie ihr Kind schon in der Grundschule zum Lernen triezen müssen. Dass das Kind sich schwertut, Inhalte zu erfassen. Ein ganz schlimmes Zeichen wäre, wenn sie merken, dass schon in der Grundschule Nachhilfe erforderlich wäre. Oder wenn sie merken, dass es im Vergleich zu Mitschülern hinterher ist, langsamer ist – dann sollten Eltern eine andere Schulart bevorzugen.
Seit 2011 dürfen Eltern entscheiden, auf welcher Schulart sie ihr Kind anmelden – unabhängig von den Noten. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?
Im Gespräch mit mehreren Schulleitungen haben wir übereinstimmend festgestellt: Es gibt Eltern, die sich einfach schwertun, sich im Dschungel der Vielfalt an Bildungsangeboten der weiterführenden Schulmöglichkeiten zurechtzufinden. Es ist sehr ehrenwürdig, zu sagen, die Eltern sollen entscheiden. Aber man stellt schon fest, dass manche Eltern mit dieser Entscheidung überfordert sind, wenn sie denn losgelöst von der Erfahrung und Routine der Grundschule getroffen wird.
Was bedeutet das für den Schulalltag?
Das bedeutet, dass manche Eltern sicherlich meist in bester Absicht nach dem Motto entschieden haben, Gymnasium ist das Höchste, was ich meinem Kind bieten kann. Aber das kann dazu führen, dass das Höchste auch das Überfordernste ist und dass diese Entscheidung falsch ist. Wenn man dann im Gespräch empfiehlt, die Entscheidung zu revidieren und die Schulart zu wechseln, stellt man manchmal fest, dass wenig Wissen über die Schullandschaft da ist.
Zum aktuellen Schuljahr mussten in Stuttgart 338 Schüler das Gymnasium verlassen, weil sie den Anforderungen nicht gewachsen waren. Was bedeutet das für so ein Kind?
Für das einzelne Kind ist das, wenn die Entscheidung schließlich getroffen ist, zu wechseln, eine echte Erlösung. Endlich wieder in einem Umfeld zu sein, wo es mitkommt, wo es Fortschritte macht, wo es psychisch-emotional gesund wachsen kann, indem es Erfolgserlebnisse hat. Wenn das Kind die Schule verlassen muss, weil es in der fünften und dann in der sechsten Klasse noch mal wiederholen musste, bedeutet das eine massive Belastung. Einzelne Kinder reagieren darauf, indem sie die Schule verweigern, auffallend viel krank sind und sämtliche Ausreden ziehen, warum die Hausaufgaben nicht gemacht sind. Das ist echt schwierig.
Vom kommenden Schuljahr an muss die Grundschulempfehlung bei der Anmeldung an der weiterführenden Schule wieder vorgelegt werden. Was erwarten Sie davon?
Da sind wir uns innerhalb der Schulleitungen nicht einig. Wir gehen davon aus, dass es einzelne Eltern dazu bringen wird, der Empfehlung eher zu folgen – während man sie vorher ja versteckt halten konnte. Aber ich denke nicht, dass es einen durchschlagenden Erfolg hat dahingehend, dass jetzt auf einmal wieder 95 oder gar 100 Prozent die richtige Schulart wählen. Es wäre natürlich wünschenswert, dass sich durch das Beratungsgespräch, das Schulleiter bei einer abweichenden Empfehlung anbieten können, sich möglichst viele Eltern Alternativen aufzeigen lassen, die besser sind. Zum Beispiel Realschule plus sechsjähriges berufliches Gymnasium oder Gemeinschaftsschule. Manche Eltern kennen diese Möglichkeiten, zum Abitur zu kommen, schlichtweg nicht.
Was werden Sie Eltern sagen, deren Kind keine Gymnasialempfehlung hat und ihr Kind bei Ihnen anmelden wollen?
Es wird die Frage im Raum stehen: Warum? Warum denken sie, es ist für ihr Kind die richtige Schule, obwohl die Grundschule nach vierjähriger Langzeitbeobachtung sagt: Das ist nicht die richtige Entscheidung. Dann werden die Eltern sicher Gründe anführen. Dann muss man gemeinsam übereinkommen, ob es den Versuch wert ist. Wenn die Begründung ist, „wir wollen es mal versuchen“, ist das inhaltlich dünn. Natürlich sage ich den Eltern, dass es ihre Entscheidung ist, ob sie das Kind hier anmelden, aber in so einem Fall rate ich ihnen zugleich auch eindringlich davon ab. Wenn Gründe dafür sprechen, es im Gymnasium zu versuchen, dann ist die Beratung im Blick auf Fördermaßnahmen wichtig, die gleich in Klasse fünf ansetzen sollten.
Was passiert, wenn Eltern so ein Beratungsgespräch ablehnen?
Ich gehe ganz fest davon aus, dass jeder Elternteil, jede Familie, der so ein Gesprächsangebot unterbreitet wird, das auch annimmt. Ich halte das auch für eine erzieherische Pflicht. Wir Gymnasien erwarten übrigens einen großen Schülerzuspruch. Und wir werden alle Eltern im Sinne einer gelingenden Schullaufbahn beraten.