Immer noch kess und guter Dinge: Elke Twiesselmann Foto: Lichtgut/Jan Reich

Die Stuttgarter Schauspielerin Elke Twiesselmann wird neunzig Jahre alt und denkt noch längst nicht ans Aufhören. Warum auch? Sie bekommt reichlich Aufträge; gerade hat sie an der Landesbühne Esslingen mit einem Solo Premiere gefeiert.

Stuttgart - Ein bisschen ärgert sie es natürlich schon. Sie hätte in Schillers „Wallenstein“ spielen können – am Nationaltheater Mannheim. Nicht nur eine Männerrolle, was zur Abwechslung auch mal interessant gewesen wäre, sondern vor allem eine „Riesenrolle“. Elke Twiesselmann musste absagen, weil sie bereits in Esslingen engagiert war. Zwei Produktionen parallel waren ihr dann doch zu viel.

Elke Twiesselmann ist gefragt – immer noch. An diesem Mittwoch wird die Stuttgarter Schauspielerin neunzig Jahre alt und ist nicht nur quietschfidel, sondern auch noch regelmäßig auf der Bühne zu sehen – ob in Mannheim, Esslingen oder Heidelberg. Am Wochenende hatte ihr Solo „Geschichten aus einer Zeit, als das Wünschen noch geholfen hat“ Premiere an der Württembergischen Landesbühne Esslingen. „Die beste Zeit ist zwischen achtzig und neunzig“, sagt Twiesselmann kess, „vorausgesetzt, man ist gesund und fit.“ Sie ist nicht nur beides, sondern bekommt dazu nach wie vor reichlich Aufträge. Es gebe eben doch Regisseure und Intendanten, die sich nicht vor alten Frauen fürchteten, sagt sie, „die meisten haben Schwierigkeiten mit ihren Müttern, aber nicht mit den Großmüttern.“

Die Familie hatte mit Theater wenig am Hut

Im Grunde gehört sie mit ihren 89 Jahren schon zur Generation der Urgroßmütter. Elke Twiesselmann wurde 1927 in Hamburg geboren, also mitten in den wilden zwanziger Jahren, auch wenn sie von der Dekade nicht mehr viel mitbekommen hat. Mit Theater hat die Familie – „ganz normal bürgerlich“ – wenig am Hut, als Flüchtlinge müssen sie mehrfach umziehen, leben in Straubing, Landshut, Oberstdorf – „da gab es nirgends Theater“.

Deshalb fängt Elke Twiesselmann nach dem Abitur an, Kunstgeschichte und Literatur zu studieren. Da sie immer schon gern Gedichte gelernt hat, besucht sie einen Kurs über Dichtung. Als sie einen Text vorsprechen soll, schickt die Dozentin sie weg: „Geh auf die Schauspielschule, du bist keine Wissenschaftlerin.“ So wurde Elke Twiesselmann Schauspielerin.

Sie spielt an vielen Häusern, in Bochum ist sie zwölf Jahre fest im Ensemble. Ein Engagement am Staatstheater führt sie schließlich nach Stuttgart, wo sie bleibt, weil sie auch an der Schauspielschule unterrichtet und viel für den Hörfunk arbeitet.

Twiesselmann genießt es, wenn die Regie ihr Freiheiten lässt

Eine lange Karriere, in der sich viel verändert hat. „Früher wusste ein Regisseur haargenau, wann wer wo auftritt“, sagt Twiesselmann, „heute hat man viel mehr Freiheiten, etwas selbst zu entwickeln.“ Das kommt ihr entgegen, weil sie sich immer sehr intensiv auf eine Rolle vorbereitet – „damit haben es die Regisseure allerdings ein bisschen schwerer mit mir“.

Die meisten scheint das nicht abzuschrecken. Sie hat viel in den vergangenen Jahren gespielt, mal in der „Soko Stuttgart“, mal in dem Studentenfilm einer jungen Regisseurin, dann wieder in Heidelberg in „Richard III.“, wo sie „eine Riesentreppe zur Musik hochrasen musste. Das hat mir wahnsinnigen Spaß gemacht.“ Sie macht jeden Tag Tai-Chi, geht in die Sauna, fährt Fahrrad, aber ansonsten hat sie wohl einfach die Gene ihrer Großmutter geerbt, die auch über neunzig wurde.

Die Bahn hätte ihr fast den Auftritt verpatzt

Wenn Twiesselmann etwas Sorgen bereitet, ist es also weniger das Alter, als die Bahn, die weniger zuverlässig ist als ihre Gesundheit. Einmal saß sie vier Stunden in Stuttgart in einem stehenden Zug. Sieben Minuten vor acht kam sie endlich in Heidelberg am Bahnhof an, im Theater stülpte sie schnell noch das Kostüm über, jagte raus auf die Bühne und hat gespielt – „von Anfang bis zum Schluss, Hauptrolle“.

Dass Burkhard C. Kosminski Schauspielchef in Stuttgart wird, freut Twiesselmann „wahnsinnig“. Sie schätzt ihn als Intendant und Regisseur gleichermaßen, weil er „sehr einfühlsam und zugewandt“ sei. Twiesselmann besucht nach wie vor gern Ausstellungen, sie geht viel ins Konzert, das Schauspiel Stuttgart reizt sie derzeit aber nicht. „Das ist traurig, weil ich es nicht so verstehe“, sagt sie, „aber sie machen das ja nicht für Alte, das kann man nicht erwarten.“

Vielleicht wird man unter der neuen Intendanz auch wieder die quietschfidele Elke Twiesselmann auf der Bühne erleben. Sie denkt in jedem Fall nicht ans Aufhören und hätte auch gute Lust, mal wieder auf Gastspielreise zu gehen. Vor ein paar Jahren war sie im Iran mit „Bernarda Albas Haus“, in einer Inszenierung von Calixto Bieito. Die Zensoren, die das Stück vorab begutachteten, waren auch bei der alten Dame streng und monierten, dass Haare von ihr zu sehen seien. „Das Schönste an Gastspielen ist aber, dass das Theater alles macht“, sagt Twiesselmann, „und ich mich nicht um den Zug kümmern muss.“

Wenn man gut siebzig Jahre lang Theater gespielt hat, ist es Ehrensache, dass ein so herausragender Geburtstag wie der neunzigste mit der Theaterfamilie gefeiert wird – an der Landesbühne Esslingen. Vor dem Festessen in sehr großem Kreis wird Twiesselmann eine Lesung machen. Wie bei allen Auftritten bereitet sie sich auch hier sehr gewissenhaft vor – „man ist ja nicht mehr achtzig!“.