Stuttgarts Schauspielchef Armin Petras (51) spricht nach seiner Vertragsverlängerung bis 2021 über seine Pläne und junge Talente, Demokratie und Terror.
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Stuttgart – - Herr Petras, was hat Sie bewogen zu bleiben?
(Lacht) Gute Frage. Ich habe abgewogen. Es gibt ja zwei Varianten: freischaffend weiter zu arbeiten oder noch ein paar Jahre an einem großen Haus weiterzumachen. Wenn ich jetzt die Intendanz aufgebe, weiß ich nicht, ob in einem höheren Alter noch einmal meine Kraft und Lust reicht, so ein Haus zu leiten. Wir haben hier in Stuttgart einfach eine Menge angeschoben, Arbeiten mit Frank Castorf und Jossi Wieler etwa oder jetzt ganz neu mit dem berühmten Choreografen Wim Vandekeybus, mit dem wir eine Kooperation mit Tänzern und Schauspielern planen. Das sind Verabredungen, die nicht kurzfristig zu machen sind.
Sie haben auch gesagt, Sie wäre nicht geblieben, wenn Sie nicht so tolle Intendantenkollegen hätten. Nur: die gehen 2018.
Aber Marc-Oliver Hendriks bleibt. Er ist ein sehr wichtiger Mann, gibt uns großen Rückhalt, und er ist ein kluger, kräftiger Denker. Reid Andersons Nachfolger Tamas Detrich kenne ich auch schon, und uns verbindet eine tolle Zusammenarbeit. Von Anderson und ihm kam heute aus Tokio ein Glückwunsch – so etwas erleben Sie nicht an jedem Haus. Und Jossi Wieler hoffe ich als Regisseur noch öfter für unser Haus zu gewinnen.
Zu Beginn Ihrer Intendanz sagten Sie, die Region hier sei Ihnen besonders fremd. Ist sie noch fremd genug, um sie weiter zu erkunden?
Ich finde die Region immer noch unglaublich spannend. Es gibt, habe ich kürzlich erfahren, so etwas wie das Europa der vier Motoren – hoch entwickelte Regionen in Spanien, Deutschland, Frankreich und Italien. Das interessiert mich, die Frage, was ist denn heute Europa? Es gibt nicht nur die schrumpfenden Städte, über die ich auch schon Stücke gemacht habe, sondern auch prosperierende Regionen. Und man kann sich fragen,was passiert denn da? Ich habe in Stuttgart mehr Roma als in Rumänien gesehen, wo ich zuletzt inszeniert habe. Wir fragen uns, wie sich Europa verändert, und machen dazu ein großes Projekt. Auch mit Flüchtlingen.
Dann bedienen Sie jetzt auch den Trend, Flüchtlinge erzählen zu lassen. Was erfährt man da, das man nicht auch in Reportagen in Zeitungen und im Fernsehen erfährt?
Wir machen das, weil wir uns allen Dingen stellen, die passieren. Wenn wir uns dafür öffnen, glaube ich, dass das für die Demokratie eine große Rolle spielt.
Haben Sie nicht einmal gesagt, Kunst ist keine demokratische Veranstaltung?
Das stimmt. Doch wenn sich unsere Künstler dazu verhalten wollen, werde ich sie nicht entmutigen. Wir haben auch im Sommer schon ein Terrorismus-Projekt gemacht, auch wenn die Zuschauerauslastung nicht 100 Prozent betrug und wir dafür einige Kritik eingesteckt haben.
Findet dieses internationale Festival eine Fortsetzung – angesichts der Terroranschläge in Paris? Werden Sie Ihr Terrorismus-Stück „5 morgen“ wieder häufiger spielen?
Nein. Gerade deshalb jetzt nicht. Das hat etwas grundsätzlich mit Theater zu tun. Theater ist nicht in erster Linie tagesaktuell, wir behandeln Menschheitsthemen. Die können allerdings manchmal erschreckend aktuell werden. Meine „Nathan“-Inszenierung ist in Rumänien einen Tag nach Paris gespielt worden. Unser Bühnenbild ist eine zerstörte Hotellounge, doch die Arbeit ist ja schon vor einem halben Jahr entstanden. Und das „Terrorismus-Festival“ ist für uns sehr wichtig gewesen im Sinne einer starken Auseinandersetzung mit dem Publikum und mit anderen Theatern. Wir bereiten in der Tat bereits ein Nachfolgefestival vor.
Zurück zu Ihrer Verlängerung. „Ungewöhnliche künstlerische Handschriften brauchen Zeit, um sich beim Publikum durchzusetzen“ – hieß es in der Begründung für Ihre Verlängerung. Müssen wir uns wirklich an Handschriften wie die von Martin Laberenz gewöhnen, der künstlerisch schwache Inszenierungen wie „Die Möwe“ oder „Der Idiot“ präsentiert?
Müssen muss man gar nichts – außer sterben. Was wir machen, sind Vorschläge. Martin Laberenz ist ein weiterer Nachwuchsregisseur, der demnächst ans Burgtheater – also ans renommierteste größte Sprechtheater – wechselt und deshalb hier nicht mehr arbeiten wird. Und Robert Borgmann, mit dem ich schon in Berlin gearbeitet habe, hat uns zum Theatertreffen gebracht. Das sind junge Menschen, die brauchen Zeit, sich zu entwickeln.
Dennoch setzen Sie jetzt wieder auf arrivierte Regisseure – Frank Castorf, Stephan Kimmig, Sebastian Baumgarten, Jossi Wieler. Tun Sie dies auch, um die Auslastung wieder zu erhöhen?
Natürlich bekommt man mit „Cats“ oder einer „Rocky Horror Picture Show“ eine höhere Auslastung, aber ich möchte immer mutig bleiben. Wobei mir durchaus bewusst ist, dass wir für die Stadt da sind und angenommen werden müssen. Es ist ein Balanceakt. Allerdings liegen wir mit einer Auslastung von 77 Prozent nicht unter dem Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre. Wir waren einfach nach der ersten Saison mit fast 90 Prozent Auslastung sehr verwöhnt.
Es gab nach der enttäuschenden zweiten Saison Kritik, dass Sie als Hausherr zu viel andernorts inszenieren. Ist die Verlängerung ein Ansporn, wieder mehr im Haus zu sein?
Ich habe vergangene Spielzeit zwei Koproduktionen gemacht, „Nathan der Weise“ in Sibiu, Rumänien und „Buch (5 ingredientes de la vida)“ an den Münchner Kammerspielen, die beide in Stuttgart zu sehen sein werden beziehungsweise bereits zu sehen sind. Diese Spielzeit ist es nur eine Arbeit, und auch dabei handelt es sich um eine Koproduktion mit der Schaubühne in Berlin, wo ich Frank Witzels „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969“ inszenieren werde. Auch dieses Stück wird in der kommenden Spielzeit in Stuttgart zu sehen sein. Es ist wichtig, hier zu sein und ich merke, dass ich meine Kraft gern aufs Ensemble konzentriere.
Was ist bis 2021 zu erwarten?
Wir werden weiter auf die Stadt und die Region zuzugehen, ein tolles Ensemble kreieren und weiterentwickeln. Und wir möchten auch, wie am 21. November mit „Pünktchen und Anton“, mehr für Kinder und Jugendliche da sein. Zudem wollen wir uns internationalisieren und überregional wahrgenommen werden. Wir hatten schon 22 Gastspiele in neun Ländern – auch wenn es mindestens noch einmal 18 Jahre dauern wird, bis wir so weit sind wie Reid Anderson.
ZUR PERSON:
1964 in Meschede/Sauerland geboren, wächst Armin Petras von 1969 an in Ostberlin auf.
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1985-1987 Regiestudium an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Ostberlin.
1988 Übersiedelung nach West-Berlin und Beginn der Theaterarbeit in Frankfurt und München.
Unter dem Pseudonym Fritz Kater verfasst er Stücke wie „Zeit zu Lieben Zeit zu sterben“(2003) oder „We Are Camera/Jasonmaterial“ (2004), die zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurden und für die er vom Fachblatt „Theater heute“ jeweils zum Dramatiker des Jahres gewählt wurde.
2006-2013 Intendant des Berliner Maxim-Gorki-Theaters.
Seit 2013 Intendant des Schauspielhauses Stuttgart. In den zwei Spielzeiten wurden Tschechows „Onkel Wanja“ und Vinterbergs „Das Fest“ zum Berliner Theatertreffen eingeladen.
Am 11. Dezember feiert Armin Petras’ Inszenierung von Shakespeares Drama „Der Sturm“ Premiere im Schauspielhaus Stuttgart. (StN)