In Stuttgart fand der Rettungsdienst-Tag statt. Foto: Lichtgut/Ferdinando Iannone

Beim Stuttgarter Rettungsdienst-Tag haben alle an der Notfallrettung beteiligten Hilfsorganisation und Institutionen verschiedene Szenarien trainiert. Ziel: eine enge Vernetzung unter den Einsatzkräften zur Bewältigung besonderer Einsatzlagen.

Die Babypuppe liegt allein am Boden, gebettet auf eine verwurstelte Decke. Um den lebensechten Dummy herum sind allerhand Notfalltaschen geöffnet, Schläuche und andere medizinische Utensilien liegen herum. Der Raum ist abgedunkelt, erhellt wird er nur durch ein unaufhörlich blinkendes Blaulicht. Im Simulationszentrum auf dem Malteser-Gelände in Stuttgart-Wangen hat soeben eine Übung stattgefunden – unter möglichst realistischen Bedingungen. „Wir können auch Martinshorn abspielen“, sagt Sebastian Spindler, der zuständige Leiter.

Das angenommene Szenario: Ein Säugling ist bei Dunkelheit aus dem zweiten Stock gestürzt. Die Verletzungen sind schwer. Eine Lungenseite ist kollabiert, außerdem hat das Baby ein Schädel-Hirn-Trauma und innere Verletzungen. „Davor hat jeder Angst“, sagt Christian Zagskorn vom Verein InsideTeam zur Förderung des Rettungswesens und seiner Schnittstellen im Land beim Blick auf den kleinen Körper. Zagskorn ist Leitstellendisponent, Feuerwehrmann und Notfallsanitäter. Verunglücke ein Kind, sei das emotional besonders belastend. Aber nicht nur das ist problematisch. „Der Metabolismus des Körpers ist ganz anders. Das muss man spezifisch trainieren“, sagt Sebastian Spindler.

Mehr als 70 Personen beteiligt

Training ist das erklärte Ziel an diesem Samstag beim Stuttgarter Rettungsdienst-Tag, einer Veranstaltung aller an der Notfallrettung beteiligten Hilfsorganisationen und Institutionen in der Landeshauptstadt. In diesem Jahr findet die Fortbildungsveranstaltung nach einer längeren Corona-Pause zum fünften Mal statt, und die Liste der Mitwirkenden ist lang: ASB, DRK, Malteser, Johanniter, unterschiedliche Abteilungen mehrerer Krankenhäuser, die Branddirektion der Stadt und die Bosch-Werkfeuerwehr. Mehr als 70 Personen sind interdisziplinär beteiligt. Den ganzen Tag über gibt es Workshops unter der Koordination von InsideTeam. Ziel: eine enge Vernetzung unter den haupt- und ehrenamtlichen Einsatzkräften zur Bewältigung besonderer Einsatzlagen.

„Großschadenslage, das klingt abstrakt, kommt aber häufiger vor, als man denkt“, erläutert Matthias Ott, Arzt im Department für Notfallmedizin am Klinikum Stuttgart. Ein sogenannter MANV, ein Massenanfall von Verletzten, „beginnt ab fünf bis zehn Personen“, sagt der Mediziner. Das könne ein Stadtbahnunfall sein. „Das ist eine alltägliche Situation“, sagt er. Die Explosion des Wohnhauses an der Köllestraße Anfang März, die Krawallnacht im Juni 2020, „oder denken Sie an ein Szenario auf dem Wasen“: Ad-hoc-Lagen, in denen urplötzlich viele Beteiligte zusammenkommen, gab und gibt es immer wieder. „Sie erfordern viel Struktur und Training“, sagt Matthias Ott.

Geübt werden die verschiedensten Situationen

Standardisierte Abläufe seien unter Umständen lebenswichtig. Gebe es beispielsweise viele Opfer, sei die Triagierung wichtig, das rasche Herausfiltern, wer besonders schnell Hilfe benötige. „In der Landeshauptstadt gibt es für alles bestehende Konzepte, aber die funktionieren nur, wenn man sie regelmäßig trainiert“, betont er.

Geübt werden an diesem Samstag die verschiedensten Situationen. An der einen Ecke des weitläufigen Geländes sind zum Schein zwei Autos frontal zusammengestoßen, von denen eines Gefahrstoffe an Bord hatte, an der nächsten Station sind zwei Lastwagen kollidiert. Ein Mann ist auf der Ladefläche eines Lasters verletzt worden. Durch die erhöhte Lage muss das Unfallopfer in einer Schleifkorbtrage mit der Feuerwehr-Drehleiter geborgen werden.

Doch auch das wird an diesem Tag behandelt: das Aufeinandertreffen am Einsatzort mit einem Hund. Damit sind die Retter häufig konfrontiert, etwa, wenn sie in die Wohnung eines Hundehalters gerufen werden. „Jeder dritte, vierte Einsatz hat mit Tieren zu tun“, sagt Christian Zagskorn, und hier sei wichtig, dass man sich selbst schütze, etwa wenn ein Hund aggressiv reagiere. „Es geht in erster Linie darum, Hunde lesen zu lernen“, erklärt der Polizei-Hundeführer und Rettungssanitäter Marcel Barz, der den Kurs leitet. Anschauungsobjekt ist Balu, ein altdeutscher Hütehund. Gewappnet sein müsse man immer, denn „der Hund ist gestresst, wenn das Herrchen gestresst ist. Hunde sind wie Spiegel“.

Im Notfall richtig reagieren

Verhalten
 Passiert ein Unfall, ist Zeit entscheidend. „Damit Opfern schnell und präzise geholfen werden kann, gilt es daher, beim Absetzen des Notrufs die sogenannten fünf Ws zu nennen“, erklärt der Leitstellendisponent Christian Zagskorn.

Wo
„Das ist das Elementarste“, sagt er. Je genauer der Unfallort lokalisiert werden kann, desto besser, möglichst mit Straßennamen und Hausnummer.

Was
Ist jemand gestürzt, ist ein Autounfall geschehen, wurde geschossen? Davon hängt ab, wer nach der Alarm- und Ausrückeordnung ausgesandt wird.

Wie viele
Mit welcher Zahl von Patienten ist zu rechnen?

Wer
Welche Person ist der Ansprechpartner vor Ort, und wo müssen die Rettungskräfte klingeln? „Es wäre nicht schlecht zu buchstabieren“, sagt Christian Zagskorn.

Warten
Wer den Notruf absetzt, soll an Ort und Stelle bleiben. Womöglich sind auch Erste-Hilfe-Maßnahmen notwendig, im Zweifelsfall mit Hilfe der Leitstellen-Mitarbeiter am Telefon.