Foto: Max Kovalenko/PPF

Die meisten von ihnen sind Feierabendpolitiker. Dafür sind die Piraten derzeit recht erfolgreich. Am Wochenende haben sich die Stuttgarter Mitglieder auf die Bundestagswahl 2013 eingestimmt.

Stuttgart - Im dritten Stock des Bürgerzentrums Ost herrscht gelöste Stimmung. Laptops werden aufgeklappt, ein schwarz-weiß gescheckter Mops hoppelt durch den Raum, ab und an ertönt Babygeschrei. Neben der Eingangstür des Saals stärken sich die Mitglieder der Stuttgarter Piratenpartei mit Nudelsalat und Brezeln.

OB-Kandidat Harald Hermann lehnt derweil lässig auf dem Deckel eines schwarzen Klaviers. „Das Update für Stuttgart“ lautet der Slogan des Wahlplakats, wie es derzeit auch an den Laternenpfählen der Landeshauptstadt prangt. Die Botschaft ist klar: Der Kandidat ist unser Star. Wenn es denn so etwas bei den Piraten überhaupt gibt.

Denn die Partei, die sich als „echte sozial-liberale Alternative“ versteht und in den vergangenen Wahlkämpfen vor allem mit den Themen Bürgerbeteiligung und Datenschutz punkten konnte, gilt als unkonventionelle politische Gruppierung.

In Stuttgart zählt man 314 Piraten

Und sie wächst rasant: Mit bundesweit über 33 000 Mitgliedern ist sie aktuell, gerade mal sechs Jahre nach ihrer Gründung, die größte der nicht im Bundestag vertretenen Parteien. In Stuttgart zählt man immerhin 314 Piraten. Doch von denen haben am Wochenende nur rund zwei Dutzend den Weg auf den Parteitag gefunden.

Die Anzahl der Stühle im Saal verrät, dass dies keine allzu große Überraschung ist. „Wir gehen von zehn Prozent aktiven Mitgliedern aus“, sagt Sören Fischer, der seit dem Rücktritt des Vorsitzenden vor zwei Monaten die Geschicke der Piraten leitet. Die Partei hat ordentlich die Werbetrommel gerührt, sogar Briefe wurden verschickt. In einer Partei, die sich derart über das Medium Internet definiert, ist das schon fast ein Tabubruch. Zufrieden sei er mit der Resonanz nicht, räumt Fischer ein und zuckt mit den Schultern. „Aber was soll man machen?“

Dabei gibt es an diesen Tagen Wichtiges zu beschließen: Die Direktkandidaten der beiden Stuttgarter Wahlkreise für die Bundestagswahl im nächsten Jahr sollen gekürt werden. Und ein neuer Vorsitzender muss her, nachdem Fischer nicht wieder antritt.

Ein paar Minuten nach Beginn kommt dann doch noch der echte Harald Hermann hereingeschlendert. Er murmelt einen Gruß in die Runde, setzt sich und sucht sein blaues Stimmkärtchen. Starrummel ist ihm fremd, OB-Wahl hin oder her. Zumal es sich bei den Piraten durchweg um „Feierabendpolitiker“ handelt, wie Hermann schmunzelnd erklärt. Zwischen den Parteigenossen wird stets das freundliche Du gepflegt, vielleicht ist es auch ein Erbe der Ur-Piraten, die sich Anfang des Jahres 2006 formierten – in Schweden, dem Mutterland des Duzens. Der Ikea-Katalog lässt grüßen.

Für Wahlkreis I stehen zwei Kandidaten zur Auswahl

Basisdemokratie ist bei den Piraten Trumpf. Über jede vermeintliche Kleinigkeit wird abgestimmt, vor den Wahlgängen werden die Urnen stets geschwenkt, um zu zeigen, dass sie auch wirklich leer sind. Das Miteinander auf Augenhöhe zieht dabei nicht mehr nur junge, männliche Computerfreaks an. Judith Böhm ist mit ihrer neun Monate alten Tochter auf den Parteitag gekommen. „Es war mein guter Vorsatz fürs neue Jahr, mich aktiv politisch zu engagieren“, sagt die 32-jährige Werbetexterin. Sie habe schon länger mit der Partei sympathisiert, das Thema Internet-Zensur liege ihr am Herzen. Sie hofft, dass es in Zukunft mehr Piratinnen geben wird. Deshalb hat sie auch einen Frauenstammtisch gegründet.

IT-Berater Günther Flaig ist auf seine alten Tage doch noch in eine Partei eingetreten. „Ich bin ein alter 68er“, erklärt er, der im März Mitglied geworden ist. „Die Piraten haben ähnliche Ziele“, sagt der 63-Jährige. „Aber sie versuchen, sie nicht gegen die Gesellschaft, sondern mit ihr umzusetzen.“

Dafür braucht die Partei jedoch Mandate. Die Bewerberzahl für die beiden Wahlkreise ist auf dem Parteitag allerdings überschaubar: Für Wahlkreis I stehen zwei Kandidaten zur Auswahl, für den anderen nur ein einziger. Christian Thomae und Jürgen Martin entscheiden das Rennen für sich, machen sich aber keine Illusionen, was ihre Chancen bei der Direktwahl angeht. Über die Landesliste könnten es die Stuttgarter Piraten 2013 dennoch in den Bundestag schaffen.