Die Stuttgarter Philharmoniker haben unter Reinhard Goebel ein Violinkonzert von Franz Clement ausgegraben.
Stuttgart - Er ist ein Mann der klaren Ansagen. Es sei, hat Reinhard Goebel erst unlängst geschimpft, der Kopf, der die Musik mache, nicht das Instrument, und so reist er, der heute 65-jährige Gründer und langjährige Leiter des einstigen historischen Pionier-Ensembles Musica Antiqua Köln, weiter als eine Art Fitnesstrainer für Musik des Barock und der Klassik durch die Welt der modernen Orchester und Instrumente. Am Donnerstag hat er nicht nur bei den Stuttgarter Philharmonikern Station gemacht, sondern – auch das gehört zu den Qualitäten des einstigen Geigers – eine ziemlich unbekannte Partitur mitgebracht, nämlich die des ersten Violinkonzerts von Franz Clement. Der war zu Beethovens Zeit Orchesterdirektor und Konzertmeister, also Geiger, im Theater an der Wien – und ergänzte als Veranstalter die erste öffentliche Aufführung der „Eroica“ 1805 mit seinem eigenen Werk sowie mit der Ouvertüre, die Luigi Cherubini (übrigens Beethovens großes Vorbild!) kurz zuvor für seine Oper „Anacréon“ geschrieben hatte.
Zu erleben war jetzt also die Rekonstruktion eines ganzen Konzertabends, und dass diese nicht nur für Liebhaber des Unbekannten überaus spannend war, lag auch an der Art ihrer Präsentation. Goebel forderte dem Orchester sehr forsche Tempi ab, und das zeitigte zwar immer wieder kleinere Kollateralschäden zumal bei der Tempo-Koordination, sorgte aber für Frische, Elan, gebündelte Energie und Konzentration. Cherubinis Ouvertüre mit ihrem sich reizvoll nach und nach auffächernden Klangkolorit wirkte wie eine kleine Orchesterkunde. Dann legte sie den Grundstein für den theatralischen Impetus eines Abends, den Beethovens dritte Sinfonie mit einem Finalsatz beschloss, dessen dynamische Kontraste und rhythmisch-metrische Widerhaken der Dirigent fein herauspräparierte (der Trauermarsch zuvor war nicht nur betont nüchtern, sondern auch ein wenig flach gewesen).
Glänzend: Alina Pogostkina
Dass Franz Clements Violinkonzert nichts weniger als eine glänzende Rehabilitierung erlebte, lag mit an der russischen Solistin Alina Pogostkina – und sicherlich auch daran, dass diese als einstige Studentin Goebels die Stilistik und Sensibilität historisch informierten Musizierens tief verinnerlicht hat. Zu hören war ein Werk, das mit großer Eleganz glänzt und deutlich auf die Virtuosität seines Komponisten verweist. Ein begnadeter Melodiker war Clement zwar nicht – manche Linien wirken kurzatmig, manche Strecken so additiv, als hätte der Komponist seinen eigenen Ideen nicht genug Kraft für längeres Verweilen zugetraut. Auch Beethovens unbedingter Wille zum Durchkneten des Materials geht Clement ab. Es sind eher starke Momente, musikalische Szenen, die zwischen den von Alina Pogostkina sehr beweglich dargebotenen vielen kleinen Noten in den Vordergrund treten. Clement hätte mehr Zuwendung im Konzertalltag verdient. Und Goebel, fanden die Zuhörer wie die lächelnden Musiker, soll unbedingt wiederkommen.