Dan Ettinger dirigiert die Stuttgarter Philharmoniker Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Eine der herausragenden Qualitäten des neuen Chefdirigenten der Stuttgarter Philharmoniker ist sein ­Gespür für Kontraste, für Spannungsaufbau, für das dramatische Potenzial unter der klingenden Oberfläche. Das hat Dan Ettinger am Montagabend in der Stuttgarter Liederhalle unter Beweis gestellt.

Stuttgart - Was für ein Theater! Eine der herausragenden Qualitäten des neuen Chefdirigenten der Stuttgarter Philharmoniker ist sein Gespür für Kontraste, für Spannungsaufbau, für das dramatische Potenzial unter der klingenden Oberfläche. Dan Ettinger ist ein Trüffelschwein, was verborgene Dramen in der absoluten Musik angeht. Spannend war der ganze Montagabend mit Ettinger und seinen Philharmonikern im Beethovensaal: von Beethovens Violinkonzert bis hin zu jener zehnten Sinfonie, in der Dmitri Schostakowitsch im Jahr von Stalins Tod 1953 sein Leiden unter dem Diktator in Töne fasst. Fast penibel akzentuierte das Orchester bei Beethoven, das Larghetto war zuweilen so langsam, dass die Musik zu zerfallen drohte. Umso effektvoller begann das rasche Finale. Der ukrainisch-israelische Geiger Vadim Gluzman, exzellenter Gestalter mit feiner Bogenführung und leichtem, singendem Ton, machte seine Sache gut – abgesehen von kurzen intonatorischen Unsicherheiten und Schlampigkeiten im Schlusssatz.

Im Gedächtnis blieb vor allem die Kadenz, die Alfred Schnittke für den ersten Satz des Konzertes schrieb: Die Takte, in denen Gluzman aus dem mit harmonisch und melodisch Fremdem angereicherten Solo wieder zurückfindet in den klassischen Ton, wirkten wie eine Heimkehr aus der Fremde. Ein weit Gereister öffnet die Tür seines Hauses – und siehe da, auf dem Tisch dampft das Lieblingsessen.

Packend geriet anschließend auch die zehnte Sinfonie Schostakowitschs, für dessen Gegensätze, Grotesken und Grellheiten Ettinger ein besonders gutes Händchen zu haben scheint. Die Spannungssteigerung im ersten Satz, das raffinierte motorische Zuviel im zweiten, dann das zwischen großer Traurigkeit lachend im Walzertakt kobolzende Orchester im rhythmisch vertrackten dritten Satz, schließlich die von exzellenten Solobläsern entfaltete Naturidylle im Finale: Das hatte so viel Schmiss, Idee und Präzision, dass man sich unbedingt ganz bald mehr vom neuen Dream-Team wünschen möchte.