Atalla Ayan (links) als Alfreo und Ana Durlovski als Violetta in „La Traviata“ Foto: A.T.Schaefer

Bei „La Traviata“ an der Oper Stuttgart glänzen die Sänger und der Dirigent

Stuttgart - Manchmal spürt man den Staub. Zum Beispiel an Nahtstellen zwischen den Auftritten, bei kleinen Unsicherheiten im Ensemble oder in kurzen Momenten, in denen plötzlich doch mehr (Sänger-)Pose da ist als lebendiges Spiel. Das geht vorbei, aber man erinnert sich daran, dass diese Inszenierung von Verdis trauriger Kurtisanen-Oper „La Traviata“ von einer lange schon verstorbenen Regisseurin stammt und schon gut zwei Jahrzehnte auf dem Buckel hat. Gemessen an ihrem Alter, wirkt Ruth Berghaus’ szenisches Changieren zwischen Stilisierung und Gefühl, Masse und Individuum allerdings insgesamt noch überraschend frisch. „La Traviata“ in Stuttgart ist auch ein Musterbeispiel für gute Repertoirepflege.

Dass die Oper jetzt wieder auf den Jubel des Publikums zählen kann, ist allerdings zuallererst ein Verdienst der Interpreten. Da ist Giuliano Carella am Pult: Der italienische Dirigent, der schon die Ehrenrettung von Rudolf Freys gähnlangweiliger „Nabucco“-Inszenierung besorgte, führt schon in der Ouvertüre mit klugem Spannungsaufbau und einem feinen Sinn für wirkungsvolle Steigerungen das Stuttgarter Staatsorchester zu Spitzenleistungen. Das melancholisch-morbide Streicherweben zu Beginn könnte klarer und zauberhafter nicht klingen. Später gibt es zwar auch Momente, in denen Carella zur Überartikulation neigt, aber emphatische Szenen wie die große orchestrale Steigerung (mit wirkungsvoll gesetztem Paukenwirbel) zu Violettas „Ama me, Alfredo!“ im zweiten Akt sind so gut und so packend, dass sie alle Einschränkungen vergessen lassen.

Im Zentrum der Oper steht Violetta, die Todgeweihte; sie wird in dem Moment sterben, in dem sie endlich glücklich sein darf. Ana Durlovskis Rollendebüt ist hinreißend. Nach leicht zögerlichem Beginn singt sich Stuttgarts Koloratursopransensation, deren Stimme ein wenig dunkler geworden zu sein scheint, mit brillanter Technik, einer Vielfalt an Farben und Gefühlsnuancen durch die Partie. Der Mut (oder das Selbstbewusstsein?) zum Risiko, auch das ganz Hohe ganz leise zu singen, wird belohnt. Man erlebt höchste Kontrolle und Stimmkultur, und angstfrei kann man genießen, wie Ana Durlovski ihre Rolle zunehmend zerbrechlicher gestaltet – bis ihre Stimme im Sterben gänzlich zerbricht.

Neben der Sopranistin singt und leidet als Alfredo ein Tenor ohne Mätzchen: Atalla Ayan hat Schmelz, Glanz und (was für italienische Partien besonders wichtig ist) Geschmack, und auf der Bühne ist er außerdem einfach Everybody’s Darling, ein grundsympathischer Typ. Motti Kastón verleiht der Partie des Vaters Germont, der zu spät merkt, was für ein Mistkerl er ist, viel Nachdruck, und die kleineren Partien sind mit Diana Haller als Flora, Kora Pavelic als Annina, Stuart Jackson als Gastone, Ronan Collett als Douphol, Kai Preußker als d’Obigny und Mark Munkittrick als Grenvil sehr gut besetzt. Dass außerdem der Staatsopernchor auch in dieser „Traviata“ wieder Exzellenz im vokalen und szenischen Agieren beweist, war zwar zu erwarten, darf aber ruhig auch mal wieder gesagt werden.