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Am Tag nach der ersten Runde der OB-Wahl hat sich das Bewerberfeld sortiert. Die von der SPD unterstützte Bettina Wilhelm kündigte ihren Rückzug an – und die SPD empfiehlt deren Wählern offiziell, ihre Stimme dem Grünen Fritz Kuhn zu geben.

Stuttgart - Auf den ersten Wahlgang folgt die Analyse. Diese fällt je nach politischem Lager höchst unterschiedlich aus.

SPD

Wenn die Farbe der Kleidung etwas über den Gemütszustand der Träger aussagt, liegen Bettina Wilhelm und ihr Wahlkampfleiter Hans H. Pfeifer richtig. Zur Pressekonferenz am Montag tragen beide Grau. Das passt. Die SPD geht nach nur 15,1 Prozent für die zwar parteilose, aber von ihr nominierte Wilhelm in Sack und Asche.

Die 48-jährige Erste Bürgermeisterin aus Schwäbisch Hall streicht in der Zentrale der SPD am Wilhelmsplatz ein Blatt zurecht. Vor dem ersten Satz braucht sie einen Schluck Wasser. „Es war ein enttäuschendes Ergebnis für mich“, sagt Wilhelm. Dann kommt sie zur Sache: „Ich werde meine Kandidatur zurückziehen.“ Fotoapparate klicken. SPD-Kreischef Dejan Perc, der Wilhelm auswählte, sitzt abgerückt von ihr. Pfeifer ist der Verliererin näher.

In ihrem letzten Auftritt sagt Wilhelm, sie wolle „keine Empfehlung für eine bestimmte Person abgeben“. Ihre Rede aber ist ein Plädoyer für den Grünen Fritz Kuhn und gegen den um zwei Prozentpunkte hinter Kuhn (36,5 Prozent) liegenden Sebastian Turner, der auf dem Ticket der CDU antritt. „Die Wähler sind mündig“, sagt Wilhelm, und dass ihre Kandidatur eine ernsthafte gewesen sei.

Am späten Abend zeigt die SPD dann klare Kante gegen Turner. „Der Kreisvorstand hat sich nach sehr intensiver Diskussion dafür ausgesprochen, Fritz Kuhn zu unterstützen. Wir empfehlen seine Wahl“, sagt Perc. Die Debatte dauerte zwei Stunden. In den letzten 16 Jahren sorgte die Rivalität zwischen SPD und Grünen dafür, dass Wolfgang Schuster (CDU) OB wurde. Trotz rechnerisch klarer Mehrheit im rot-grünen Lager. Die SPD hat dazu gelernt. Unterstützen heiße nicht, dass man Geld gebe, sagt Perc. Man habe keins. Inhaltlich stimme man in wichtigen Punkten mit Kuhn überein. Das zähle.

Grüne

Nein, sagt Fritz Kuhn (Grüne), bei seiner ersten Pressekonferenz nach dem ersten Wahlgang sei nichts inszeniert. Man habe das Café Künstlerbund „einfach ausgewählt“. Soll heißen: Wer hinter dem Ort des Geschehens eine kleine Gemeinheit an die Adresse von Sebastian Turner vermutet, liege falsch. CDU-Kreischef Stefan Kaufmann hatte an gleicher Stelle im Januar den parteilosen Turner als seinen Wunschkandidaten präsentiert. Die Parteibasis war erst kurz zuvor informiert worden und daher verschnupft.

Ein dreiviertel Jahr später knöpft sich Kuhn im selben Café Turner und dessen Unterstützerlager aus CDU, FDP und Freien Wählern vor: Den Slogan „Genug vom Streit?“ plakatieren zu lassen, sei nett angesichts der jüngsten Verleumdungen gegen seine Person, sagt Kuhn. Beispiel eins: der Vorwurf, er werde als OB die Steuern erhöhen. In 40 Podiumsveranstaltungen habe er erklärt, „dass man die Gewerbe- und die Grundsteuer nicht erhöhen darf“, da sonst Mieten steigen und Unternehmen ins Umland abwandern würden. Beispiel zwei: die City-Maut. „Als OB werde ich sie in Stuttgart nicht einführen“, sagt Kuhn, weil sich mit Parkraummanagement ein „viel effizienteres Instrument“ anbiete. Gleichwohl hält Kuhn es für richtig, „wenn die Bundesregierung die Maut-Möglichkeit eröffnet“.

Wirtschaftskompetenz, die Turner plakatiert, spricht Kuhn seinem Konkurrenten ab, weil der mit Mitte 40 als „Privatier“ unterwegs sei. Kein Mittelständler würde wie Turner seine Firma verkaufen, sagt Kuhn. Er hält nichts von der CDU-Strategie, Wähler in Lager einzuteilen. „Das taugt nicht als Schema, um Politik zu erklären.“ In den zwei Wochen bis zum entscheidenden Wahlgang will Kuhn – abgesehen von einem Duell mit Turner nächsten Montag im Theaterhaus – „unter die Leut’ gehen“. Ein Besuch der montäglichen Demonstration der S-21-Gegner sei aber nicht vorgesehen. Wahlempfehlungen von Bewerbern, die ihre Kandidatur zurückziehen, spielen keine entscheidende Rolle, glaubt der Favorit.

Angesprochen auf Andreas Renner (CDU) verteilt Kuhn noch einen letzten Seitenhieb Richtung Turner: Renners Kandidatur „wäre für mich schwieriger gewesen, weil er vom Fach ist, Herr Turner nicht“. Der Singener Ex-OB Andreas Renner war im März bei der CDU-internen Kandidatenkür durchgefallen. Am Sonntag tauchte er bei Kuhns Wahlparty in der Kneipe Schlesinger auf. „Ich war nicht mehr da, weiß nicht, was ihn zu mir getrieben hat“, merkt Kuhn süffisant an.

CDU/FDP

Bei der CDU ist man hin- und hergerissen. Turner stimmt die Stuttgarter auf eine Richtungsentscheidung ein, bei der es um die Verhinderung einer Politik der Verteufelung des Autos gehe. Um die Sicherung von Arbeitsplätzen. Turners Wahlkampfleiter Stefan Kaufmann erklärt, Turner habe „große Zugewinnchancen“. Das zeige eine Wahlkampfanalyse. „Die Wahl ist noch nicht entschieden, wenn wir es geschickt anstellen“, sagt Turners Sprecher Stephan Schorn. Doch der Presse stellen sie sich an diesem Tag nicht – sie ziehen die Schriftform vor.

Hinter den Kulissen rumort es. Der Plan, dass Turner in alle Wählergruppen eindringe, sei nicht aufgegangen, sagt ein Kommunalpolitiker, der ungenannt bleiben will, unserer Zeitung. Der Verlust des OB-Sessels für die CDU sei kaum mehr abzuwenden. Dann befinde sich die Partei im freien Fall. Turner polarisiere eher, als ein Miteinander zu schaffen. Und das Argument, dass er anders als Kuhn 16 Jahre wirken könnte, sei ein zweifelhaftes Versprechen, wenn die Qualitäten des Kandidaten in neun Monaten nicht zu vermitteln gewesen seien.

Am Abend kommt im Kreisvorstand hinter verschlossenen Türen davon kaum was zur Sprache. Man beschwört, dass man Nichtwähler und konservative SPD-Wähler erobern werde. Ein neuer Flyer und neue Plakate sind geplant. Der Vorstand beschließt, weitere 70.000 Euro bereitzustellen. 280.000, die aus Spenden eingenommen worden sein sollen, waren schon bewilligt. 400.000 Euro insgesamt hat der Unterstützer-Vereins aus CDU, FDP und Freien Wählern angepeilt.

CDU-Landeschef Thomas Strobl warnt nach einer Sitzung von Landesvorstand und -präsidium, die Grünen würden „alles tun, um Stuttgart 21 teurer zu machen“. Auch Kuhn akzeptiere den Ausgang der Volksabstimmung nur mit einem großen „Aber“. In der City werde über Jahre hinweg ein Bahnhofstorso stehen. Wenn Kuhn OB werde, sei Stuttgart 21 tot. Gleichzeitig gibt Strobl Durchhalteparolen aus: „Nichts ist verloren.“ Auch FDP-Landeschefin Birgit Homburger sieht für Turner noch eine Chance. Bestätigt fühlt sich Strobl durch die OB-Wahl in Konstanz. Dort habe CDU-Kandidat Uli Burchardt die Grünen-Kandidatin im zweiten Wahlgang überholt.