Bei der Stuttgarter OB-Wahl lag der Grüne Fritz Kuhn im ersten Anlauf vorn. Das besagt noch gar nichts. Trotzdem liegt es nahe, mal nach Tübingen, Freiburg und Konstanz zu blicken. Die Städte haben reichlich Erfahrung mit grünen Oberbürgermeistern.
Bei der Stuttgarter OB-Wahl lag der Grüne Fritz Kuhn im ersten Anlauf vorn. Das besagt noch gar nichts. Trotzdem liegt es nahe, mal nach Tübingen, Freiburg und Konstanz zu blicken. Die Städte haben reichlich Erfahrung mit grünen Oberbürgermeistern.
Tübinger Fahrradparadies
Wenn es denn wahr ist, dass die Leserbriefspalten einer Lokalzeitung die wirklichen Sorgen der Bürger spiegeln, dann gönnen sich die Tübinger gerade ein paar Luxusprobleme: Nichts erhitzt die Gemüter mehr als rüpelhafte Radler, die durch die beschaulichen Gassen rasen, und Autofahrer, die keinen Parkplatz finden.
Auch die Frage, ob es genügend Clubs für Nachtschwärmer gibt, provoziert seit Wochen Rede und Gegenrede. Kürzlich beklagte sich doch tatsächlich eine Leserin über die nächtliche Szenerie am Marktbrunnen: „Es war so sauber, so aufgeräumt, so behäbig.“
Boris Palmer, Tübinger Oberbürgermeister. dpa
Nein, ernste Herausforderungen muss man rund um den Hölderlinturm derzeit nicht bestehen. Dafür lesen sich die wirtschaftlichen Kennziffern auch viel zu solide. „Den letzten Haushalt in Tübingen haben die sieben Fraktionen des Gemeinderats einstimmig beschlossen. Dennoch bin ich mir sicher, dass Euch gefallen wird, was darin steht“, schrieb Oberbürgermeister Boris Palmer kürzlich an die Delegierten des Bundesparteitags der Grünen, wo er sich demnächst wieder um einen Sitz im Parteirat bewirbt.
Tübingen blüht, seine Elite-Uni zieht moderne Firmen an, und die akademisch geprägte Bürgerschaft ringt tagtäglich darum, gutes Leben mit gutem Gewissen in Einklang zu bringen – was meistens gelingt. Über allem thront ein Oberbürgermeister, der dies wohlgefällig als Frucht seiner Arbeit betrachtet.
Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Denn die vermeintlich so läppischen Leserbriefe spiegeln einen ernsthaften Konflikt: Hinter der Klage über vergrämte Autofahrer steckt der Unmut über eine Verkehrspolitik, die Tübingen zum Radler-Paradies machen will. Vor allem der Einzelhandel wehrt sich gegen Bestrebungen, Straßen zu sperren und das Parken zu verteuern. Als Palmer unlängst die alte Idee einer City-Maut hervorkramte, bliesen 170 Händler zum Widerstand. „Wir lassen jetzt nicht mehr locker“, sagt Sabine Lüllich, die in der City ein Strumpffachgeschäft besitzt und für die CDU im Gemeinderat sitzt. „Oh ja, wir spüren die grüne Handschrift“, antwortet sie gallig auf die Frage, ob Palmer der Stadt seinen Stempel aufdrücke.
Wie gefährlich der OB diese Diskussion mittlerweile einschätzt, zeigt sein Einlenken bei den berühmten Tübinger Strafzetteln. Auf deren Rückseite belehrt er nämlich die Verkehrssünder milde darüber, wie sie das Knöllchen hätten vermeiden können: indem sie „Bahn, TüBus und Rad gefahren“ wären. Diese Predigt will er künftig nicht mehr halten – vorausgesetzt natürlich, die Altbestände sind aufgebraucht.
Gerechterweise muss man sagen, dass der Verkehrskonflikt der einzige ist, bei dem sich konservative Tübinger vor ihrem Grünen-OB erschrecken. Ansonsten spricht er ganz ihre Sprache. „Palmer versteht es meisterhaft, auch im bürgerlichen Lager zu punkten“, bekennt neidlos die örtliche SPD-Landtagsabgeordnete Rita Haller-Heid.
Dort hat man auch wohlgefällig registriert, dass er nicht mal vor der eigenen Parteijugend zurückschreckt, wenn es darum geht, Tübingen sauberer und sicherer zu machen. Palmer wirbt nämlich vehement dafür, dass Städte öffentliche Sauf-Exzesse mit einem Alkoholverbot unterbinden dürfen. Wie sehr dieses Problem drängt, ist allerdings umstritten. Einige Jugendliche fragten kürzlich interessiert nach, wo denn die nächtlichen Gelage in Tübingen stattfänden. Sie wollten nämlich auch dorthin.
Freiburger Lebensgefühl
Freiburger Lebensgefühl
Freiburgs OB Dieter Salomon weiß genau, wo in seiner Stadt die Post abgeht. Die nächtlichen Gelage am Augustinerplatz sind unschwer zu überhören, weshalb auch er auf ein Alkoholverbot drängt. Die Breisgaustadt hat sich in den vergangenen zehn Jahren zur führenden Partyzone im Dreiländereck entwickelt – was sich natürlich rein zufällig mit seiner Amtszeit deckt.
Einen Zusammenhang knüpft Salomon schon eher bei der wirtschaftlichen Karriere Freiburgs. Aus dem provinziellen Beamtenbiotop ist eine pulsierende 230 000-Einwohner-Stadt mit modernen Dienstleistungsjobs geworden. Und mit dem Anspruch, Ökometropole zu sein. Komplette Stadtteile sind neu entstanden, darunter das berühmte Vauban-Viertel, wo Grün keine Partei, sondern Lebensgefühl ist.
Dieter Salomon, Freiburger Oberbürgermeister. dpa
Das macht das Regieren allerdings nicht leichter. Denn im Haus der Freiburger Alternativen gibt es viele Zimmer und Nischen. Und so tummelt sich im Gemeinderat eine Vielzahl von Fraktionsgemeinschaften. Vom „Flohzirkus“ wie in den Anfangstagen spricht Salomon zwar nicht mehr, doch die Mehrheiten fallen je nach Thema unterschiedlich aus – gern auch mit den Christdemokraten. Die haben Salomon vor zwei Jahren bei der Wiederwahl glatt durchgewinkt.
Und wo ist an der Dreisam seine Handschrift erkennbar? Großprojekte wie die Stadtbahn, das Konzerthaus oder den Stadtteil Rieselfeld hatte bereits sein Vorgänger Rolf Böhme (SPD) eingetütet. Grüne Akzente sind eher in der Energiepolitik erkennbar: Der örtliche Versorger Badenova zum Beispiel wurde von Salomon ganz auf Öko getrimmt. Auch mit seinem Bürgerhaushalt, in dem die Bevölkerung Sparvorschläge macht, hat er Maßstäbe gesetzt. Und das Betreuungsangebot ist weit besser als in vergleichbaren Städten.
Als größten Erfolg hält sich der OB die Konsolidierung des Haushalts zugute. Noch vor wenigen Jahren wäre Freiburg wegen der hohen Schuldenlast fast unter staatliche Kuratel gekommen. Doch ein konsequenter Sparkurs und die Entspannung an der Steuerfront entschärften die Lage.
Das frühere Haushaltsfiasko hat Salomon allerdings auch die schwerste Schlappe seiner bisherigen Amtszeit eingetragen, denn er glaubte, das Defizit lasse sich nur durch den Verkauf von Tausenden städtischen Wohnungen decken. Die Schwarz-Grün-freie Mehrheit im Rathaus hatte er zwar hinter sich, nicht aber die Bevölkerung, die den Verkauf in einem Bürgerentscheid ablehnte. „Die Freiburger gehen sehr kritisch mit ihrem OB um“, sagt die SPD-Landtagsabgeordnete Gabi Rolland. Salomon hat das zuletzt bei seiner Wiederwahl vor zwei Jahren erlebt: Mit 50,5 Prozent kam er im ersten Wahlgang knapp über die Hürden – aber er kam drüber.
Konstanzer Dickschädel
Konstanzer Dickschädel
Ein Hauch von Mittelmeer weht über die Promenade, wo gerade der Katamaran „Ferdinand“ anlegt. Tausende flanieren an den Piers entlang, drüben am Einkaufszentrum Lago geht es zu wie im Taubenschlag, ehrfurchtsvoll bestaunt eine Gruppe Schweizer das Konzil: Konstanz steht unter Dampf.
„Ja, die Stadt hat sich gut entwickelt in den letzten Jahren, hier wurde solide gearbeitet“, sagt Jürgen Leipold, der die Kommunalpolitik wie kein Zweiter überblickt: Von 1976 bis 2012 war er Chef der SPD-Fraktion. Das Urteil wiegt umso stärker, als Leipold als schärfster Gegenspieler von Horst Frank gilt: Der OB, 1996 deutschlandweit als erster Grüner in ein solches Amt gewählt, hat die Stadt bis zu seinem Ruhestand im September geprägt.
Horst Frank, Konstanzer Ex-OB. StN
Doch wie stark? Das ist am Bodensee ebenso schwer zu beurteilen wie in anderen Städten. Die Konjunktur zum Beispiel achtet nicht auf Wahltermine. Dass dem OB in schlechten Gewerbesteuerjahren „die Scheiße bergauf lief“, wie ein Parteifreund sagt, kann man ihm ebenso wenig ankreiden wie den Steuersegen der letzten Jahre.
Man kann aber aufzählen, was in Franks 16-jährige Amtszeit fiel: der Bau der Bodensee-Therme zum Beispiel, der Ausbau von Schulen und Kindergärten oder die Umnutzung der Industriebrache am Seerhein. Innovative Unternehmen haben sich hier angesiedelt, zehn Prozent aller Arbeitsplätze entfallen mittlerweile auf die Forschung – auch dank der Exzellenz-Universität.
Frank habe stets versucht, das Vorurteil zu widerlegen, wonach Grüne und Wirtschaft nicht zusammenpassten, sagt Leipold. Das hat seine Grünen-Fraktion bisweilen mehr irritiert als SPD oder CDU. Den Bau des Konzert- und Kongresshauses, Franks Lieblingsprojekt, haben seine Leute jedenfalls nicht mitgetragen. Aber auch die übrige Bürgerschaft senkte den Daumen.
Die Wiederwahl 2004 schaffte er nur knapp. Noch im ersten Wahlgang lag er hinter dem CDU-Kandidaten. „Das lag aber wohl auch an seiner sperrigen Art, er ist ein Konstanzer Dickschädel“, meint der Singener CDU-Abgeordnete Wolfgang Reuther. Ob Frank, wäre er nochmals angetreten, die Wahl gewonnen hätte? Dass die Grünen-Kandidatin Sabine Seeliger bei der OB-Wahl scheiterte, lag jedenfalls nicht an ihrem Parteibuch. Sie gilt als Fundi-Vertreterin, also gerade nicht als Pragmatikerin à la Palmer, Salomon oder Frank.
Mit Uli Burchardt haben die Konstanzer jetzt einen CDU-Mann gewählt. Allerdings einen, der bei Attac mitmischt und auch sonst gut bei der Konkurrenz sein könnte. Ganz kommen die Konstanzer also doch nicht von den Grünen los.