Das Vertrauen in die Medien ist derzeit nicht das beste, sagen Umfragen. Beim Hate Slam haben Redakteure in Zeiten der „Lügenpresse“-Rufer die bösesten Leserbriefe verlesen.

Stuttgart - Die Stuttgarter Nachrichten (StN) hassen Senioren. Das ist zumindest die Meinung eines Lesers, der die Berichterstattung zu Verkehrsunfällen kritisierte, weil sie eine Statistik aufgriff, die sagt, dass ältere Menschen überproportional daran beteiligt seien, wenn es im Straßenverkehr kracht. „Sie Seniorenhasser!“, fuhr er den verantwortlichen Redakteur in einem Leserbrief an. Was im Redaktionsalltag ärgerlich, wenn man es mit Humor nimmt auch mal belustigend ist, hat den Stuttgarter Nachrichten beim dritten Stuttgarter Hate Slam in den Wagenhallen zum ersten Mal den Sieg gebracht.

StN gewinnt „Arsch mit Ohren“

Dort buhlten neben den Stuttgarter Nachrichten die „Frankfurter Rundschau“ und das Stuttgarter Stadtmagazin „Lift“ mit den bösesten Leserbriefen um Lacher und die Gunst der Publikumsjury, wobei Namen der Absender natürlich nicht genannt wurden. Die Redakteure Almut Siefert und Simon Rilling nahmen für die StN die Trophäe „Arsch mit Ohren“ entgegen.

Dass in Zeiten, in denen lautstark „Lügenpresse“ gerufen wird, viele ein Herz für die häufig geschmähten Redakteure haben, hat der ungemeine Andrang auf den diesjährigen Hate Slam gezeigt. Etwas über 500 Besucher konnten empfangen werden, dann war aus Kapazitätsgründen Schluss. „Es tut mir sehr leid für alle, die wieder gehen mussten“, entschuldigt sich Hilmar Pfister, ehemaliger StN-Redakteur, der den Hate Slam nach Stuttgart gebracht hat.

„Versiffte Homo-Faschisten“

Pfister ist wichtig, dass der Stuttgarter Hate Slam nicht als politisch motivierte Veranstaltung, sondern als Unterhaltung verstanden wird. Kein ganz leicht zu erfüllender Anspruch, gänzlich auf politische Töne zu verzichten einen Tag vor der Landtagswahl. So konnte sich Entertainer Michael Gaedt, Gründungsmitglied der Comedygruppe „Die kleine Tierschau“, der durch das Abendprogramm führte, den Brückenschlag zur fremdenfeindlichen Pegida-Bewegung nicht verkneifen. Und so war es auch nicht verwunderlich, dass gleich der erste, von der „Frankfurter Rundschau“ verlesene Brief, die Empfänger als „links-grün-versiffte Homo-Faschisten“ bezeichnete.

Aber auch Personen, die politisch mutmaßlich dem linken Spektrum näherstehen, schreiben Leserbriefe. So attestierte ein nach Selbstauskunft als Psychologe tätiger Leser einem Redakteur der StN eine „massive Persönlichkeitsstörung“ und wünschte ihm, selbst Flüchtlingserfahrungen zu machen, weil er auf Probleme in Zusammenhang mit dem Flüchtlingsstrom hingewiesen hatte.

Doch nicht nur Zeitungen, sondern auch Stadtmagazine bekommen bizarre Post. Einer, der ganz und gar nicht schwulenfeindlich sein will, bezeichnete das „Lift“ als „Schwulen-Magazin“ und drohte mit Abokündigung, sollte er im Veranstaltungskalender weiterhin auch auf Partys hingewiesen werden, die sich an Homosexuelle richten.

Bewertet wurden die Hasstiraden in fünf Kategorien – von „böse“ über „originell“ bis hin zu „Freistil“. Besonders letztgenannte Kategorie hat ganz neue Dimensionen angenommen, weil dort auch Korrespondenzen mit Lesern in sozialen Netzwerken erlaubt waren. Und diese Leserkommentare fallen oft noch etwas reaktionärer aus und gehen noch etwas tiefer unter die Gürtellinie als bei einem klassischen, womöglich etwas besser durchdachten Leserbrief. „Online-Kommentare sind oft noch etwas härter“, sagt auch Veranstalter Hilmar Pfister.

Der Saal johlt

Zum Schaden der Veranstaltung sollte das nicht sein. Die Jury vergab an alle drei Wettbewerbsteilnehmer hohe Punktzahlen, der Saal johlte. So erreichten die StN 63, die "Frankfurter Rundschau" 61 und das "Lift" 51 von insgesamt 75 möglichen Punkten.

Veranstaltungen wie den Hate Slam gibt es nicht nur in Stuttgart, die erste vergleichbare fand in Berlin statt und wurde von der „Tageszeitung“ (taz) organisiert. Damals allerdings deutlich politischer motiviert: Redakteure, deren Namen auf Wurzeln außerhalb von Deutschland hinweisen, lasen vor allem rechtsradikal motivierte Beschimpfungen vor, die sie empfangen hatten. Sie sollten nicht die letzten sein.