Muslime begehen noch bis Anfang Mai den Fastenmonat Ramadan. Was dieser Monat bedeutet und wie es um die Akzeptanz in der Gesellschaft bestellt ist, spricht der Stuttgarter Ditib-Geschäftsführer Ali Ipek.
Muslime begehen noch bis Anfang Mai den Fastenmonat Ramadan. Was das bedeutet und wie es um die Akzeptanz in der Gesellschaft bestellt ist, darüber spricht Ditib-Geschäftsführer Ali Ipek.
Herr Ipek, welche Bedeutung hat der Ramadan für einen frommen Muslim generell und für Sie persönlich?
Das Persönliche und Allgemeine fallen hier zusammen. Wir Muslime fasten, weil unser Schöpfer das von uns fordert. Das Fasten ist ein wichtiger Bestandteil unserer Religion. Es gehört zu den fünf Säulen des Islam.
Was sind die übrigen vier Säulen?
Hinzu kommen das Glaubensbekenntnis, das Gebet, die Pilgerfahrt und die Almosenabgaben.
Der Ramadan gilt auch als Zeit der Besinnung. Was ist Ihnen dabei wichtig?
Ja, in dem Monat Ramadan sollen wir uns noch stärker auf unsere Gebete konzentrieren und uns tiefer darin versenken. Sei es durch Koran-Rezitationen oder etwa durch einen Rückzug ins Innere. So wird es dann zur Zeit der Besinnung. Zudem soll uns das Fasten durch den Verzicht auf unsere Grundbedürfnisse daran erinnern, dass wir Sympathie und Mitgefühl mit Menschen entwickeln sollen, die hungern müssen.
Macht der Verzicht in dieser Hinsicht sogar Freude?
Ja, wir freuen uns immer auf den Monat Ramadan. Nicht hauptsächlich wegen des Verzichtes, sondern weil wir den Geboten unseres Schöpfers nachkommen können. Abgesehen vom spirituellen Aspekt kommen aber auch eine sehr intensive Gemeinschaft, das Soziale und das Mitmenschliche in diesem Monat dazu.
Es gibt auch Unverständnis
Erleben Sie auch Unverständnis für das Fasten? Etwa in der Arbeitswelt oder im Sport?
Ja, das Fasten stößt an unterschiedlichen Stellen der Gesellschaft auf Unverständnis. Natürlich hören wir auch Witze nach dem Motto: Komm, iss doch! Allah hat die Augen zu und sieht nichts. Aber das Verständnis wächst langsam und schrittweise dafür, dass von Morgendämmerung bis Sonnenuntergang nichts von außen in unseren Körper kommen soll.
In den christlichen Religionen werden die Regeln zu Festen und Riten von den Gläubigen immer weniger streng ausgelegt. Tricksen manche beim Ramadan?
Ja, das ist es halt. Allah macht seine Augen nicht zu. Aber wenn man in diesem Bild bleiben will: Allah hat schon die Augen zu, weil der Islam in vielerlei Hinsicht auch sehr tolerant ist. Nicht alle müssen beispielsweise fasten. Schwangere, stillende Mütter oder Menstruierende müssen ebenso wenig fasten wie Kranke oder Schwerstarbeitende.
Stellen Sie diese Form der Säkularisierung in Lebens- und Glaubensfragen auch in Ihrer Religion fest?
Natürlich. Der Glauben und die Beziehung zum Schöpfer sind eine individuelle Sache. Natürlich gibt es auch bei uns sogenannte Kulturgläubige, die die religiösen Pflichten nicht einhalten oder gar nicht fasten.
Die beiden Amtskirchen in Deutschland beklagen hohe Mitgliederverluste, stellen Sie auch eine Erosion an Verbundenheit und Verbindlichkeit fest?
Unsere Strukturen basieren ja auf Vereinsbasis, aber dort haben wir konstante Zahlen.
Wie haben Sie die Zeit der Einschränkungen bei der Religionsausübung, auch beim gemeinsamen Fastenbrechen am Abend, während der Pandemie erlebt?
Wir und die Gemeinden haben sehr darunter gelitten, dass wir keine Gemeinschaft pflegen konnten. Etwa auch beim Tarāwīh, Gebeten, die im Monat Ramadan täglich mit dem Nachtgebet vollzogen werden und einen wichtigen rituellen Bestandteil des Fastenmonats bilden. Auch wir haben versucht, vieles digital zu kompensieren, aber bei Glaubensdingen sind wir hier immer wieder an Grenzen gestoßen.
Politische Wertschätzung
Bundesinnenministerin Nancy Faeser beglückwünschte zum Beginn des Fastenmonats alle Muslime. Wie empfinden Sie so eine Wertschätzung aus der Politik?
Das ist wirklich eine sehr zu schätzende Geste an die muslimische Bevölkerung in Deutschland.
War Altbundespräsident Christian Wulff visionär, indem er sagte: „Der Islam ist ein Teil von Deutschland?“ Oder gibt es in Sachen Akzeptanz und Integration noch viel zu tun? Wo sehen Sie diesen Prozess?
Noch nicht so weit. Da hapert es in der Politik noch, aber auch in der Bevölkerung. Muslime sind grob seit 1961 in Deutschland. Aus dieser Zeit stammt auch der Spruch: Wir wollten Arbeitskräfte, aber es kamen Menschen. Und Menschen haben nun mal eine religiöse und kulturelle Identität. Diese 60 Jahre kann man nun als eine lange oder eine kurze Zeit für Integration definieren. Aber aus meiner Sicht arbeiten wir noch stark daran, die einfachsten Vorurteile abzubauen. Der Mensch hat eben Angst vor dem, was er nicht kennt.
Wo hapert es hier in der Stadt?
Stuttgart ist eine Multikulti-Stadt. Stuttgart ist eine sehr weltoffene Stadt mit allen Facetten. Darunter wären der Rat der Religionen, der Internationale Ausschuss, das Forum der Kulturen und viele weitere Foren, die etabliert sind und kulturelle sowie religiöse Begegnung ermöglichen. Stuttgart ist in dieser Hinsicht top dabei.
Der Ramadan endet Anfang Mai mit dem Zuckerfest. Was bedeutet dieses Ereignis für Sie?
Es ist, wie wenn Ostern und Weihnachten auf einen Tag fallen.
Zur Person
Ali Ipek
(40) ist Islamwissenschaftler (MA) und Geschäftsführer der Islamischen Religionsgemeinschaft Ditib Württemberg e. V. 1988 ist er mit sieben Jahren als Gastarbeiterkind nach Deutschland gekommen und 2010 von Bötzingen am Kaiserstuhl nach Stuttgart gezogen. In Freiburg studierte er Islamwissenschaften, Neuere und Neue Geschichte. Bis zuletzt war er Koordinator des Rates der Religionen, gab die Aufgabe nun aber turnusmäßig an Susanne Jakubowski ab. Zudem ist Ipek Beiratsmitglied im Zentrum für islamische Theologie in Tübingen und sachkundiges Mitglied Internationaler Ausschuss im Gemeinderat.