Die Sängerin Thabilé mit Band im vergangenen Jahr bei einem Auftritt im Stuttgarter Theaterhaus. Foto: Bimsum Production

Die Grenzen sind dicht, aber die Verbindungen sind intakt: Wie vier Stuttgarterinnen und Stuttgarter mit Migrationshintergrund in Zeiten von Corona Kontakt mit den Menschen in ihrer alten Heimat halten, erzählen sie hier.

Stuttgart - Sie leben seit vielen Jahren in Deutschland. Aber der Kontakt zur alten Heimat ist nie abgebrochen. Schon deshalb nicht, weil der regelmäßige Besuch bei Verwandten und Freunden zum jährlichen Ablauf gehörte. Doch wie läuft das jetzt, da die Grenzen in Zeiten von Corona dicht sind? Vier Stuttgarterinnen und Stuttgarter mit Migrationshintergrund erzählen ihre Geschichten:

Jacopo Mancabelli, Italien

Ich sitze gerade daheim im Homeoffice. Wir wechseln uns im Forum der Kulturen ab, zweieinhalb Tage bin ich im Büro, zweieinhalb Tage meine Kolleginnen. Mir persönlich geht es gesundheitlich gut, aber das ist natürliche keine einfache Zeit, vor allem, wenn ich an meine Familie und meine Freunde in Italien denke. Ich komme aus der Lombardei, einer der am stärksten von der Pandemie betroffenen Regionen. Die Situation dort ist wirklich heftig und nicht mit der hier in Deutschland zu vergleichen. Es herrscht eine komplette Ausgangssperre, das heißt, die Leute dürfen wirklich nur zum Einkaufen aus dem Haus, und auch nur zum nächstgelegenen Lebensmittelgeschäft. Normalerweise besuche ich mehrmals im Jahr meine Familie, das ist auch ein Grund dafür, weshalb ich hier in Süddeutschland arbeite, da kann ich mal für ein verlängertes Wochenende heim. Aber daran ist natürlich derzeit nicht zu denken. Meine Familie und meine Freunde hatten bisher Glück. Ein Familienangehöriger war zwar an Corona erkrankt. Er musste einige Tage ins Krankenhaus, ist inzwischen aber genesen. Anfangs habe ich mir überlegt, runterzufahren, aber dann wäre ich nicht mehr zurückgekommen. Mit Italienern aus Stuttgart und Freunden Italiens sammeln wir für Ass. Vol. Croce Casalese, eine Art Rotes Kreuz, in der Stadt Lodi Geld. Um die 8000 Euro kamen bisher zusammen. Für eine große Stadt wie Mailand hätte das nichts gebracht, aber in einer kleinen Stadt kann man mit dem Geld etwas bewirken. Zum Glück scheint sich die Situation in Italien seit ein, zwei Wochen leicht zu entspannen.

Linda Murphy-Baisch, USA

Uns geht es nicht schlecht, weil wir im Gegensatz zu Amerika ein Gesundheitssystem haben, das funktioniert, und eine Regierung, die einigermaßen normal ist. Für mich hat sich als Familienmitglied vielleicht am wenigsten verändert, wenn man davon absieht, dass mein Mann Roland jetzt halt mehr daheim ist und wir gemeinsam kochen und spazieren gehen. Neulich hat er mit einem Hip-Hop-Musiker ein Countryvideo aufgenommen, das kommt auch nicht alle Tage vor. Unser Sohn Sam, der noch bei uns wohnt, ist leicht gefrustet. Mit seinen Rikas musste er eine 40-tägige Tour und Sommerfestivals absagen. Jetzt schreibt er Songs. Nicht einfach ist die Situation für unserer Tochter Vanesa Lee, die als Artistin etwas durchhängt. Sie lebt in Berlin und muss trainieren, kann aber nicht auftreten. Aber das ist alles nichts, wenn ich die Situation vieler Freunde in den USA betrachte. Gerade vorhin habe ich mit meiner Schwester telefoniert. Da erfährst du unglaubliche Geschichten. Er erzählte von einer Fleischfabrik, die zwei Millionen Menschen versorgt und nicht mehr liefern kann, weil das Verpackungsmaterial fehlt. Eine Freundin ist Grafikdesignerin bei einem Buchverlag. Sie macht Kurzarbeit und betet, dass ihr nicht gekündigt wird, sonst fliegt sie aus der Krankenversicherung raus. Auf dem Land geht es den Menschen vielleicht noch am besten. Die Stimmung vieler meiner amerikanischen Freunde ist gedrückt, zum einen, weil das Land keine gute politische Führung hat. Zum andern, weil die Medien sich mit Horrormeldungen überbieten. Etliche Amerikaner sprechen vom deutschen Wunder. Die beneiden uns um Angela Merkel.

Boglárka Pap, Ungarn

Wenn man mich in diesen Tagen fragt, ob es mir gut geht, klopfe ich auf Holz. Das ist ein alter Aberglaube, den ich von meiner Oma geerbt habe. Aber ganz im Ernst, es geht uns wirklich gut, sowohl meiner Familie hier in Deutschland, wie auch meinen Eltern, Großeltern und meinen beiden Schwestern in Ungarn. Aber natürlich hat man mit drei Kindern mit den üblichen Herausforderungen des Corona-Alltags zu kämpfen – zwei meiner Kinder gehen in weiterführende Schulen, eines in den Kindergarten. Vor diesem Hintergrund bin ich froh, dass ich einen entspannten Arbeitgeber habe, der mir flexible Arbeitszeiten erlaubt. Und einen Partner, mit dem ich mich abwechseln kann. Mal zieht er sich ins Schlafzimmer an den Computer zurück, mal ich. Aber auch in der achten Woche ist in vielen Abläufen noch keine Routine eingekehrt. Meine großen Kinder arbeiten eigentlich sehr selbstständig, aber gerade in digitalen Dingen brauchen sie von uns oft technische Unterstützung. Aus Ungarn höre ich von meiner Familie, dass die Menschen sehr diszipliniert seien und sich an die Regeln halten würden. Mein Vater hat mir erzählt, dass Schutzmaßnahmen sofort umgesetzt würden. In einem Supermarkt läuft das etwa so, dass zehn Einkaufskörbe zur Verfügung stehen – so viele, wie Leute in den Laden dürfen. Kommt ein Kunde heraus, wird der Einkaufskorb desinfiziert und der nächste Kunde darf rein. Meine Großeltern sind weit über 80, die gehen derzeit nicht mehr aus dem Haus. Sie werden von meinen Eltern versorgt, die fallen zwar auch schon unter die Risikogruppe, aber sie versuchen, vorsichtig zu sein. An Weihnachten waren wir zuletzt in Ungarn, im März wollte uns mein Vater besuchen. Das ging jetzt natürlich nicht, was schade ist, aber dafür videotelefonieren wir fast täglich miteinander – viel mehr als früher, weil wir jetzt ja alle mehr daheim rumhocken. Meine Eltern drehen sogar Videos für meine kleine Tochter: Der Opa liest Märchen vor und die Oma macht Puppentheater. Jetzt fiebern wir dem Spätsommer entgegen und hoffen auf eine Lockerung der Reisebedingungen.

Thabilé, Südafrika

Unserer kleinen Familie hier in Deutschland geht es gut. Mein Mann Steve und ich haben seit sieben Monaten einen Sohn. Ein wunderbares Kind, das sehr süß sein kann, aber auch etwas divenhaft, vor allem, wenn der kleine Mann nicht genug beachtet wird. Dann kann er ganz schön laut werden, aber das ist im Grund ein gutes Signal. Es zeigt, dass er starke Lungen hat. Womöglich hat er das Zeug zum Sänger. Ich komme momentan natürlich weniger zum Singen, zumindest nicht öffentlich. Meine letzten Auftritte waren im Januar und Februar. Da hat sich die Mutter von Steve um unseren Kleinen gekümmert. Mit meiner Mutter, die nach wie vor in Soweto in Johannesburg lebt, beschränkt sich der Kontakt logischerweise aufs Telefonieren. Aber das tun wir fast täglich. Anfangs hatte ich Angst um sie. Ich war mir nicht sicher, ob sie die Sache ernst genug nimmt. Und ob sie daheim allein zurechtkommt, da meine Schwester inzwischen eine Autostunde entfernt wohnt. Dazu muss man wissen, dass der Lockdown in Südafrika viel strenger ist als in Deutschland, was verständlich ist, da die Leute in engeren Verhältnissen leben. Die Polizei und das Militär achten darauf, dass sich die Menschen an die Regeln halten und nicht irgendwelche Partys steigen. In Soweto leben oft mehrere Generationen unter einem Dach. Anders als hier in Deutschland können viele Südafrikaner nicht von daheim arbeiten. Sie müssen aus dem Haus, obwohl das zu manchen Zeiten verboten ist. Die Leute sagen: Wenn du nicht zur Arbeit gehst, hast du nichts zu essen. So einfach ist die Wahrheit. Inzwischen habe ich das Gefühl, dass meine Mutter mit den Beschränkungen ganz gut umgeht. Aber klar, wenn man ein paar tausend Kilometer entfernt ist und ihr nicht unter die Arme greifen kann, ist das ein blödes Gefühl. Letztlich bleibt mir nichts anders übrig, als die Daumen zu drücken. Denn das Schlimmste ist auch in Südafrika noch nicht überstanden.