Als der Marktplatz noch ein Parkplatz war. Foto: Sammlung Wieczorek

Der Stuttgarter Markplatz soll von Herbst 2020 an umgestaltet werden. Endlich. Bisher ist es ein Marktplatz der ungenutzten Möglichkeiten, findet Lokalchef Jan Sellner.

Stuttgart - Viele Stuttgarter sind überzeugt: Der Schlossplatz ist der schönste Platz der Stadt; manche meinen sogar Europas. Und welches ist der Unansehnlichste? Gleich nach dem Joseph-Süß-Oppenheimer-Platz am Rande der Königstraße fällt einem der Marktplatz ein. Nach Meinung mancher Kritiker ist es der „hässlichste Marktplatz Deutschlands“ (immerhin nicht Europas). Mehr Hof als Platz.

In Kurzform kann man Stuttgarts Marktplatz so beschreiben: viel Stein, viel Grau, viel Tristesse. Oder umgekehrt: wenig Grün, wenig Wasser, wenig Aufenthaltsqualität. Bis heute kann der Marktplatz nicht verbergen, dass er nach dem Krieg ein Parkplatz war. Denn genau so sieht er immer noch aus – nur ohne Autos. Das scheint überhaupt das Gestaltungsprinzip zu sein: dass er nichts hat. Der Stuttgarter Marktplatz ist ein Marktplatz ohne alles. Ohne Charme, ohne Gastronomie – und damit auch ohne Menschen. Übrigens auch ohne Geschichte: nirgendwo ein öffentlicher Hinweis auf die Historie dieses Platzes, die immerhin bis ins 14. Jahrhundert zurückreicht. Im alten Griechenland spielte der Marktplatz, die Agora, eine herausragende Rolle für das Zusammenleben in der Gemeinschaft. Von solchen Überlegungen hat man sich in Stuttgart frei gemacht: reduzierter als der Marktplatz der Landeshauptstadt ist ein solcher Ort kaum denkbar.

Alles in dieser Stadt dauert

Immerhin: Dreimal pro Woche, wenn Wochenmarkt ist, erwacht der Marktplatz zum Leben und erinnert jeweils für einen halben Tag an seine Ursprungsfunktion. In größeren Abständen beleben Großveranstaltungen den Platz: das Weindorf, der Weichnachtsmarkt, das Sommerfestival der Kulturen und die CSD-Hocketse. Gelegentlich ist er auch Versammlungsort – wie am Freitag, wenn Schüler für Klimaschutz demonstrieren. Der vorherrschende Eindruck dieses Platzes ist jedoch der einer ungenützten Chance, was deshalb besonders ärgerlich ist, weil dieser Eindruck schon so lange besteht. 2005 wurde der erste Wettbewerb zur Neugestaltung des Marktplatzes ausgeschrieben. Ein zweiter folgte – passiert ist nichts. Jetzt endlich soll der Platz aufgemöbelt werden. Auch das dauert wiederum Zeit – wie eigentlich alles in dieser Stadt. Zwei volle Jahre lang soll rund um den Marktplatz gearbeitet werden, soll der Belag ausgetauscht, der Brunnen angehoben, Bänke aufgestellt und Wasserspiele integriert werden. Hoffentlich kommen Formate wie das Sommerfestival in dieser Phase nicht unter die Räder.

Wird das Urteil über den Marktplatz hinterher anders, gnädiger ausfallen? Das Fragezeichen hinter diesem Satz bleibt bis auf Weiteres stehen. Formulieren wir es positiv: Der Stuttgarter Marktplatz ist ein Marktplatz der Möglichkeiten. Höchste Zeit, dass sie beherzt ergriffen werden.

jan.sellner@stzn.de