Depressionen können (fast) jeden treffen. Foto: /Victoria Bonn-Meuser

Sebastian Keck gerät in eine schwere Lebenskrise. Von heute auf morgen fühlt er nur noch Angst. Wir haben den Stuttgarter in den letzten Jahren immer wieder getroffen. Vor allem seine Tochter hat seine Welt verändert.

In Sebastian Kecks Leben hat es Tage gegeben, da hat ihn ein Yogakurs total fertig gemacht. Die zu laute Musik, „eine wilde Mischung aus Techno und esoterischem Gedudel“, und die „kalten Kommandos“ einer überstrengen Yogalehrerin – danach sei er zu Hause „gereizt“ gewesen. So gereizt, dass der heute 45-Jährige aus dem Stuttgarter Westen ein Beruhigungsmittel gebraucht hat.

 

Mehrere Jahre leidet Keck an einer Depression mit starken Ängsten. Kurz nach der Geburt seiner Tochter ist er in eine schwere Krise gestürzt. So schwer, dass er fast sechs Monate in einer psychiatrischen Klinik verbringen muss. Er nimmt seitdem ein Antidepressivum und geht immer noch regelmäßig zur Therapie. Er probiert mit seinem Psychiater neue Methoden wie eine transkranielle Magnetstimulation aus. Mit Magnetfeldern werden dabei Gehirnareale stimuliert, was bei Depressionen helfen kann. Alles hilft ihm, wieder ins Leben zu finden, aber am meisten hilft ihm seine Tochter.

Er will zeigen: Jeder kann Depressionen bekommen

Bevor er in die Klinik kommt, hat er nie geweint. Dort weint er fünf Monate lang jeden Tag. „Ich bin als Mann so erzogen worden, dass man keine Gefühle zeigen darf“, sagt Keck in einem Café im Stuttgarter Westen. In der Krise wird er plötzlich überflutet von Gefühlen. Er beginnt, seine Gedanken und Gefühle in einem Tagebuch aufzuschreiben. Nach der Klinik veröffentlicht er den ersten Teil unter dem Titel „Meine beschissene Angst und ich“ – auch, um Ängste und Depressionen das Stigma zu nehmen.

Während der Coronapandemie geht er neben der Arbeit boxen, ins Yoga und meditiert täglich. Damit kann er seine Gedanken besser steuern, sagt Keck. Aber da ist immer noch viel Chaos um ihn herum. Seine Frau und er streiten häufig. Als die Tochter knapp drei Jahre alt ist, trennen sich die beiden.

Sebastian Keck hat in der Klinik angefangen, Tagebuch zu schreiben. In Kürze erscheint der zweite Teil als Buch. Foto: privat/PR

Vor der Trennung habe er die Beziehung zu seiner Tochter nicht so tief gespürt. Erst als er nun häufig mit ihr allein ist, wird die Beziehung viel intensiver. An den Tagen, an denen Ella bei ihm ist, muss er sich allein um sie kümmern. Da ist plötzlich nicht mehr seine Frau, die zur Not einspringt. Die neue Verantwortung verändert für ihn viel.

Das Leben im Hier und Jetzt

Aber das ist es nicht allein. Seine Tochter kann etwas, das er verlernt hat. Ella lebt immer im Hier und Jetzt. Während seine Tochter in einem kleinen Haus aus Ästen im Wald sitzt und mit dem Hund von Kecks Freundin den Waldboden erforscht, sitzt er anfangs noch „strunzdumm“ daneben und raucht. „Ich versuche so sehr, in eure faszinierende Welt einzutauchen, aber schon kurz unter der Oberfläche bekomme ich keine Luft mehr, schweife ab und kann mich nicht mehr konzentrieren“, schreibt Keck im zweiten Teil seines Tagebuches („Der Coach aus dem Kinderzimmer“), das Anfang März erscheint.

In der Klinik, so erzählt es Keck im Gespräch, würden die Therapeuten versuchen, ihren Patienten genau das wieder beizubringen. „Den eigenen Fokus“ wieder ausrichten oder das „innere Kind wieder entdecken“.

Tochter als strenge Lehrerin

Bei Keck ist es seine Tochter, die ihn spielerisch daran erinnert, das zu tun. Sie ist eine strenge Lehrerin. Sie merkt, wenn ihr Vater wieder „so in die Luft starrt“ und grübelt. „Papa, du hast wieder den Termin mit dem Leben vergessen“, sagt sie dann. Anfangs hat er gar nicht verstanden, was Ella damit meint. „Was meinst du mit dem Leben?“, fragt er sie. „Na, das alles hier, Papa, das Leben, die Schule, deine Arbeit, alles eben, du weißt doch.“

Während er oft am Handy hängt, innerlich mit all seinen Ängsten ringt, lebt seine Tochter mit dem Hund im Hier und Jetzt, sagt Keck. „Wenn Ella draußen ein Tier beobachtet, könnte neben ihr ein Meteorit einschlagen, sie würde es nicht merken.“ Und das will Keck auch wieder lernen. Sich nicht mehr von seinen endlosen Gedankenschleifen im Kopf dominieren lassen, sondern die kleinen Dinge wieder bewusst wahrnehmen. Bevor seine Tochter auf die Welt gekommen ist, lebt Sebastian Keck für seinen Beruf und seine Band. Er hat eine Werbeagentur im Stuttgarter Westen und spielt in einer Gruppe. Er hat damals gerade einen Großkunden angenommen. Dass er nachts kaum noch schläft, unter ständigem Brechreiz und Panik leidet, ignoriert er lange. Er habe so ein klassisches, klischeehaftes „Manager-Leben“ geführt, sagt er heute. Viel weggedrückt, nur funktioniert, Gefühle ignoriert.

Jeder vierte Deutsche erfüllt laut der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde die Kriterien einer psychischen Krankheit. Menschen mit einer generalisierten Angststörung neigen zum ständigen Gedankenkreisen. Sie fürchten sich in der Regel nicht vor bestimmten Dingen, sondern machen sich permanent Sorgen. Häufig verlieren sie sich in Katastrophenszenarien. Je häufiger die Ängste auftreten, desto mehr ist das Leben der Betroffenen eingeschränkt.

Er macht sich viele Sorgen um seine Tochter

Auch Keck gelingt es oft nicht, seine Gedanken zu kontrollieren. Vor allem Veränderungen in seinem Leben sind es, die wieder gedankliche Katastrophenszenarien auslösen. Nach der Scheidung hat seine Ex-Frau einen neuen Partner, sie bekommen ein Baby. Ella wohnt hauptsächlich in der neuen Familie. Keck sieht seine Tochter nun nicht mehr jeden Tag, weshalb er das Gefühl hat, er lässt sie im Stich. „Meine Tochter muss immer mit den Gegebenheiten zurechtkommen. Das ist unfair. Sie hat sich das nicht ausgesucht“, schreibt er in seinem Buch. Sicher, sie sei damals drei Jahre alt gewesen, vieles habe sie sicher nicht so intensiv und bewusst mitbekommen.

Aber dann seien Umzüge dazu gekommen, eine neue Wohnung, die ihr nicht so gut gefiel, der neue Mann in ihrem Leben, das neue Geschwisterchen. Er habe oft Angst gehabt, dass seiner Tochter dadurch das ‚Urvertrauen‘ fehlen könnte und sie später im Leben dadurch Verlustängste entwickelt, sagt Keck. Und was, wenn die Tochter durch die neue Familie ihn nicht mehr braucht? Er gar keine Rolle mehr in ihrem Leben spielt, sondern der „neue“ Vater wichtiger ist für sie?

Die Sorgen hat er heute nicht mehr. Jedes zweite Wochenende ist Ella nun bei ihm. Zweimal die Woche holt er sie nachmittags von der Schule ab. Er hat sich anfangs alle möglichen Bücher mit Titeln wie „Glückliche Scheidungskinder“ gekauft. „Ich habe mich damals total verrückt gemacht“, erzählt er heute.

Als die Therapeutinnen ihm vor Jahren in der Klinik Ratschläge gibt wie: „Seien Sie wieder wie ein Kind, berühren Sie die Bäume draußen“, hat sich Keck noch gedacht: „Sind die eigentlich bescheuert?“

Viel Zeit in der Natur

Heute weiß er, was sie gemeint haben. Ella ist nun acht Jahre alt. Mit ihr und dem Hund verbringt er sehr viel Zeit draußen in der Natur. Und Keck tut etwas, wofür er früher in seinem hochfunktionalen Leben keinen Platz gehabt hat: Er lässt sich auf die Fantasiereisen seiner Tochter ein, reist mit ihr in einem imaginären Flugzeug in andere Länder und hört ihre Erklärungen an, dass das Gras reden ja würde. Dabei sind es nur Grillen, die zirpen.

Heute fühlt er sich „gesund“: „Also alles im normalen Bereich.“ Dabei hat ihm seine Tochter geholfen, sie ist nun „sein kleiner Guru“, sagt Sebastian Keck.

Zur Person

Leben
Sebastian Keck, geboren 1978, war Mitglied der Hip-Hop-Band „Freidenker“. Seit 2006 ist er Inhaber und Geschäftsführer einer Werbeagentur im Stuttgarter Westen. Kecks Tochter wurde 2017 geboren. In diesem Jahr begann sein Leidensweg mit Depressionen und Angststörung. Er lebt mit seiner Tochter in Stuttgart.

Bücher
Sein erstes Buch erschien „Meine beschissene Angst und ich“ erschien im Jahr 2019. Der zweite Teil „Der Coach aus dem Kinderzimmer – Wie ich durch meine Tochter lernte, die Angst zu verlieren und im Moment zu leben“ erscheint im März 2025 im Patmos Verlag. (nay)