Tshamala Schweizer und sein Verein Afrokids schult Kinder und Fachkräfte beim Thema Alltagsrassismus und Diskriminierung. Oft ist er auf Raumsuche. Foto: Gottfried Stoppel

Circa 130 Kulturvereine von Stuttgarter Migranten führen mangels Räumen ein Vagabundenleben. Einige schildern hier, welchen Vorteil ein Haus der Kulturen für sie und für die Stadt hätte.

In der Landeshauptstadt leben Menschen aus 185 Nationen. Der Anteil der Bürgerinnen und Bürger mit Migrationshintergrund liegt bei rund 44 Prozent, unter den Jugendlichen hat sogar jeder zweite ausländische Wurzeln. Mit gelungener Integration wirbt die Stadt für sich und verweist stolz darauf, dass das sogar der „New York Times“ einen lobenden Artikel wert war. Doch die rund 130 aktiven Migrantenvereine haben bislang kein zentrales Zuhause. Aktuell wird um einen möglichen Standort hinterm Rathaus oder hinterm Bahnhof gerungen.

„Die Vereine sind oft nur in den Außenbezirken aktiv oder in der Stadt als Bittsteller um Räume unterwegs“, sagt Gari Pavkovic, der Abteilungsleiter für Integrationspolitik.

Vereinsbüro im Wohnzimmer

Tshamala Schweizer kann ein Lied davon singen. „Seit 30 Jahren betteln wir um Räume“, sagt der ehrenamtliche Geschäftsführer von Afrokids International. „Meistens haben wir von der Kirche einen Raum bekommen, aber manchmal passt das von der Zeit her nicht.“ Afrokids schult Kinder und Fachkräfte bei Fragen zu Alltagsrassismus und Diskriminierung, berät, fördert und vernetzt Jugendliche und Menschen, die Rassismus erfahren haben.

Sein Vereinsbüro habe er in seinem Wohnzimmer aufgeschlagen. „Vor einer Woche ist uns ein Raum im Stuttgarter Süden vermittelt worden. Das ist toll. Aber wir würden trotzdem gern ins Haus der Kulturen kommen“, sagt Tshamala Schweizer. Das sei der „Platz für Kulturbündelung, es macht die kulturelle Vielfalt sichtbar, für jeden“.

Geschichten befördern Integration

Der Verein Ars Narrandi ist die meiste Zeit auf Achse, um seine vielen Kooperationspartner zu besuchen: Schulen, Kitas, Bibliotheken, das Welthaus, Museen oder Unterkünfte für Geflüchtete. Immer geht es darum, das lebendige Erzählen zu fördern – bei Kindern, Erwachsenen und auch Lehrern. „Dazu braucht es Aus- und Weiterbildung im Erzählen, auch zum mehrsprachigen Erzählen“, sagt Odile Néri-Kaiser von Ars Narrandi. In Untertürkheim habe man einen Raum dafür, für den allerdings Miete gezahlt werden müsse. Außerdem sei der Mietvertrag befristet. „Das Zusammentreffen mit anderen Leuten in der Stadt dagegen hätte einen großen Vorteil: Integration verändert sich positiv, wenn man seine Geschichte erzählt. Das Haus der Kulturen hätte dafür ein großes Potenzial.“

Der Verein Mongolischer Akademiker hätte sicherlich einige Geschichten auf Lager, zum Beispiel die über den Volkssport Knöchelchenschnipsen, bei dem kleine Tierknochen auf ein bestimmtes Ziel geschnipst werden. „Aber wir sind unsichtbar“, sagt Dolgor Guntsetseg. Den Verein gibt es seit 2009 in Stuttgart. „Man wirft uns gelegentlich vor, wir würden nur für unsere Community arbeiten, aber was sollen wir machen? Wir laden zu Veranstaltungen ein, aber es kommen nur wenige Gäste. Könnten wir uns im Haus der Kulturen präsentieren, würden viel mehr Menschen auf uns aufmerksam.“

Platz für Materialien

Der Verein bietet Mongolisch-Unterricht für Kinder in der Samstags- und Sonntagsschule an, zurzeit in Räumen der Karl-Schubert-Schule, und für Erwachsene in der Volkshochschule. „Wir beraten aber auch Studierende und Mitglieder, weil viele deutsche Begrifflichkeiten erklärt werden müssen bei Themen wie Bewerbung, Steuererklärung oder Studienarbeit.“ Allerdings müsse der Verein für die Räume bezahlen, in Schulen pro Termin 50 Euro. „Wir suchen schon länger nach einem Co-Working-Space, damit unsere Leute ihr Material nicht von Ort zu Ort schleppen, sondern dort lassen können. Auch deshalb wäre dieses Haus das Richtige.“

„Die Raumsuche ist das häufigste Anliegen, wenn die Leute uns um Hilfe bitten“, bestätigt Rolf Graser vom Forum der Kulturen, dem Dachverband der Migrantenkulturvereine und interkulturellen Einrichtungen. „In der Regel haben sie nur kleine Räume in Hinterhöfen oder in Garagen. Deshalb braucht man einen Ort, wo was zusammenlaufen und entstehen kann und der bedeutend ist für Stuttgarts Migrationskultur.“ Der Meinung ist auch Adnan Emin von der Kurdischen Gemeinde: „Es wäre ein starkes Symbol für das Zusammenleben in Stuttgart.“

Die nächste Sparwelle droht

Der Wunsch nach einem solchen Ort wird seit 2019 kommunalpolitisch gefördert. Gari Pavkovic räumt mit falschen Bildern auf: „Das soll kein großes Vereinsheim sein und auch keine Wilhelma der Kulturen, sondern ein Platz für Traditionelles und Modernes.“ Die Realisierung hängt momentan noch vom Standort ab. Zuletzt waren vor allem das Kaufhof-Parkhaus in der Steinstraße und eine Fläche auf dem A3-Areal hinterm Hauptbahnhof im Gespräch. Für Gari Pavkovic hätte der erstgenannte mögliche Ort einen klaren Vorteil: Das Haus könnte – wenn alles gut liefe – 2026 schlüsselfertig sein. „Bis ein Haus der Kulturen auf dem A3-Areal gebaut werden könnte, müssten wir wohl wieder mit einer weiteren Sparwelle rechnen.“

Wie das Haus der Kulturen geplant wurde

Politische Entwicklung
Im Oktober 2019 setzt sich erstmals die SPD für ein Haus der Jugendverbandsarbeit ein, kann sich auch die Erweiterung zu einem Haus der Kulturen vorstellen. Zur gleichen Zeit machen sich die Grünen für ein reines Haus der Kulturen stark. 2021 schlägt die Fraktionsgemeinschaft Puls, kurz darauf auch die Linksfraktion des Gemeinderats, als Standort das Breitling-Gebäude am Marktplatz vor. Im Oktober 2021 plädiert die CDU für das A3-Areal hinterm Hauptbahnhof. Als weitere Standorte sind im Gespräch die Alte Bahndirektion, das ehemalige Ambo-Kino am Hauptbahnhof, das ehemalige Allianz-Areal, eine Nachnutzung des temporären Standortes der Feuerwache 1 unter der Paulinenbrücke, das Gelände des Statistischen Landesamts am Erwin-Schöttle-Platz sowie der bisherige Standort der Halleschen Krankenversicherung am Diakonissenplatz. Im März 2022 kommt nach Prüfung mehrerer Standorte laut Liegenschaftsamt nur das Kaufhof-Parkhaus in der Steinstraße in Betracht.

Konzepte
In einem Beteiligungsprozess sind von 2020 bis 2021 das Nutzungskonzept und das Raumprogramm entwickelt worden. Auf dieser Grundlage hat die Agentur asp Architekten eine standortunabhängige Studie zum Raumprogramm erstellt. Für notwendig erachtet werden 7200 Quadratmeter Bruttogeschossfläche, sie könnte notfalls aber auf 5000 Quadratmeter reduziert werden.

Nutzung
Workshops zur Beteiligung und Weiterbildung, Beratung, auch über das interkulturelle Angebot in der Stadt, kulturelle Veranstaltungen, als ein offenes Haus für Flaneure, die schnuppern wollen. Dazu nötig sind Büros, Gruppenräume, kleine Bühnen, ein Festsaal, öffentliche Flächen, Co-Working-Space.