Letzter Blick vom Polizeipräsidium über die Stadt: Kripomann Gutwein Foto: Lg/ Zweygarth

Kaum einer kennt die Räuber besser als er: Der Stuttgarter Kripomann Peter Gutwein ist seit 43 Jahren bei der Polizei, davon war er 20 Jahre lang als Chef der Ermittler bei Raub und Erpressung.

Stuttgart - Man könnte meinen, er würde aufhören, weil den Raubermittlern die Arbeit ausgegangen wäre. Banküberfalle zum Beispiel – seit vier Jahren kein einziger mehr in Stuttgart. Auch die Zahl der Raubstraftaten in der Stadt – mit 400 bis 500 Fällen weitgehend stabil. Doch das täuscht. Peter Gutwein, den man im Stuttgarter Polizeipräsidium den „Räuberhauptmann“ nennt, hätte immer noch genug zu tun. Raub und Erpressung bedeuten intensivste Ermittlungsarbeit: „Wir brauchen jedes Jahr zehn bis 15 Ermittlungsgruppen, um Serien zu klären“, sagt der Mann, der seit 43 Jahren bei Stuttgarter Kripo im Einsatz ist. Zum Jahresende aber ist Schluss für den Kripo-Inspektionsleiter.

Schluss hat seine Truppe zu seinem Abschied auch mit einer Jugendclique gemacht, die für Überfälle auf Tankstellen und einen Supermarkt verantwortlich gemacht wird. „Da hat es so manche Überraschung gegeben“, sagt Gutwein. Da gab es einen 16-Jährigen, der nach einem versuchten Tankstellenraub in Zuffenhausen wie ein Häuflein Elend wirkte.

Er habe nur zufällig mitgemacht, den Komplizen, der entkommen war, kenne er gar nicht richtig. Man muss ihn wieder laufen lassen. Der Staatsanwalt hatte keinen Haftgrund festgestellt. Die Beamten wunderten sich aber, dass ein über den Kopf gezogenes T-Shirt als Maske verwendet wurde. Wie schon ein Monat zuvor bei einem Tankstellenraub in Heslach, am anderen Ende der Stadt. Dort hatte ein Duo mit Pistole und Messer mehrere Hundert Euro erbeutet. Kriminaltechniker führten die Ermittler auf die Spur eines Verdächtigen – zu dem überraschend der 16-Jährige Verbindungen hatte. „Beim Sammeln der Beweise braucht man einen langen Atem“, sagt Gutwein. Schließlich landeten zwei 18 und 19 Jahre alte Männer hinter Gittern. Alle kennen sich von einem Treff der Drogenszene in Zuffenhausen.

Überfall unter den Augen der Polizei

In Gutweins Dienstzimmer, zweiter Stock, Raum 264, liegt ein Helm der Bereitschaftspolizei auf dem Schrank. Dabei ist der 63-Jährige keiner, der mit dem Kopf durch die Wand will. Im Gegenteil: „Ruhe und Besonnenheit sind besonders wichtig“, sagt der Mann, der um die 150 Einsätze des Mobilen Einsatzkommandos befehligt hat. Etwa dann, wenn die Polizei schon vorher weiß, wo ein observierter Verdächtiger das nächste Mal zuschlagen will.

„Dann muss man sich fragen, ob man den Überfall durchlaufen lässt“, sagt Gutwein. Weil es sonst keinen Haftbefehl geben würde. In einem Fall hatte man drei Geschäfte mit Beamten als Verkäufer getarnt – als der Täter sich kurzfristig für einen vierten Laden entschied. Er wurde dennoch gefasst.

Dass man ruhig Blut bewahren muss, hat der gebürtige Forchheimer, der in Böblingen aufwuchs und 1973 gleich als Kriminalanwärter bei der Stuttgarter Polizei anfing, früh lernen müssen. Bei seinem Amtsantritt Chef des Raubdezernats im April 1997 gab es gleich einen Bankraub im Stuttgarter Osten. Der Täter lieferte sich in Hofen auf offener Straße ein Feuergefecht mit der Polizei. Der Täter wurde getötet, ein Beamter lebensgefährlich verletzt.

Stricknadel gegen Serien-Bankräuber

Ja, diese Banküberfälle: Der Bankräuber mit der Gorilla-Maske, 1995 bis 1998, der bis zuletzt seine Unschuld beteuerte. Die Tresenspringer mit den Frauenperücken, die von 1995 bis 2003 bundesweit 20-mal zuschlugen, einer wohnte unauffällig in Stuttgart-Vaihingen. Der Postraub im Hauptbahnhof, der im Jahr 2000 nach sechs Jahren geklärt wurde. Die Serie mit estländischen Bankräubern, die, mit Strickmützen maskiert, den Südwesten heimsuchten, ehe seine Sonderkommission Stricknadel die Hintermänner auffliegen ließ. Mit einem Treppenwitz: Der Drahtzieher hatte sich als Ladendieb einer Mütze erwischen lassen.

Und doch: „Bankraub“, sagt Gutwein, „hat keine Zukunft mehr.“ Zu groß sind die Sicherheitsvorkehrungen, zu gering ist die Beute. Die Juweliere dagegen seien weiter gefährdet, weil Banden weiterhin willige Kriminelle aus Osteuropa rekrutieren können. „Die sind hemmungslos und skrupellos“, sagt der 63-Jährige.

Vergnügungsszene wird zunehmend Brennpunkt

Überhaupt ändert sich das Täterprofil des Räubers. Früher gab es Überfälle im Mittleren Schlossgarten, oft im Drogen- und Strichermilieu. „Diesen Tatort gibt es nicht mehr.“ Vielmehr sieht Gutwein die Verlagerung des Straßenraubs in die nächtliche Vergnügungsszene, mit jungen Tätern, die im Pulk unterwegs sind und ihre Zufallsopfer suchen. Wie im Jahr 2010, als zwei Gruppierungen von 17- bis 21-Jährigen ihre 60 Opfer in Kickboxer-Manier von hinten ansprangen und beraubten. „So etwas wird in den nächsten Jahren zunehmen“, sagt Gutwein.

Dazu kommen neue Formen der Erpressung übers Internet. Doch der Räuberhauptmann muss sich das im neuen Jahr nicht mehr antun. Wenn der Weinliebhaber und Motorrollerfan dann noch mal ins Präsidium kommt, dann zu einem Ereignis, das er vor 16 Jahren ins Leben gerufen hat: Das jährliche Räuberfest.