Die Kriminächte erinnern auch an Orson Welles in dem Film „Der dritte Mann“ Foto: Mauritius

Die Stuttgarter Kriminächte stellen vom 6. bis zum 18. März wieder Mordgeschichten an ungewöhnlichen Lesungsorten vor. Dieses Jahr erinnern zwei Veranstaltungen an Romane, aus denen große Filmklassiker entstanden sind.

Stuttgart - Das neue Stadtmuseum im Wilhelmspalais hat schon vor seiner Eröffnung viele Sympathien eingesammelt – und wird es gerade darum ganz schön schwer haben, wenn es sich am 14. April erstmals selbst präsentiert, dann unter dem Namen Stadtpalais – Museum für Stuttgart. Denn die Stuttgarter haben sich längst an die schöne Großzügigkeit gewöhnt, mit der sich das noch nicht fertig eingerichtete Haus für eine Zwischennutzung nach der anderen als dringend benötigter Multifunktionsort der Stuttgarter Kulturszene anbot. Von diesem Dienstag an wird es noch einmal für knapp zwei Wochen zum Krimipalais, zum Zentrum der wie jedes Jahr über viele Veranstaltungsorte verteilten Stuttgarter Kriminächte.

Dieses Literaturfestival mit Pfiff und Dünkelfreiheit schaut immer auch ein wenig über die Buchseiten hinaus. Und so treffen zur Auftaktveranstaltung um 20 Uhr Kino, Roman und auch ein wenig Theater aufeinander. Der Hamburger Schauspieler Jens Wawrczeck liest aus „Immer Ärger mit Harry“ des nicht nur hierzulande schmählich missachteten Briten Jack Trevor Story (1917–1991), Natalie Böttcher begleitet ihn am Akkordeon. Storys Roman ist ganz hinter der gleichnamigen – und großartigen – Verfilmung durch Alfred Hitchcock verschwunden, gründlicher jedenfalls, als es dem Personal der Geschichte gelingt, eine lästige Leiche zu verstecken.

Wawrczeck ist überzeugt, dass das im Februar 2018 erstmals in deutscher Übersetzung erschienene Buch ein Schätzchen für sich sei. Überhaupt spürt der auch als Hörbuchsprecher viel Beschäftigte gerne den vergessenen Texten hinter Hitchcocks Filmen nach. Sein Projekt „Hitch und ich“ umfasst in Hamburg auch noch Abende zu dem Roman „Vertigo“ des französischen Autorenduos Boileau und Narcejac und zu Cornell Woolrichs Geschichte „Das Fenster zum Hof“.

Das Krematorium auf dem Pragfriedhof gehört zur Folklore des Festivals

Bis zum 18. März folgt bei den Kriminächten wieder eine Vielzahl von Lesungen, unter anderem mit Zoë Beck (7. März, 19.30 Uhr, Stadtteilbibliothek Bad Cannstatt), Monika Geier (8. März, 20 Uhr, White Noise) und Christian von Dittfurth (17. März, 16 Uhr, Wilhelmspalais). Das Schwergewicht liegt wie immer auf deutschsprachigen Autoren, aber auch ausländische Krimimacher stellen sich vor: die Australierin Candice Fox (12. März, 19.30 Uhr, Kanzlei Ebner Stolz) und der Israeli Dror Mishani (15. März, 20 Uhr, Israelitische Religionsgemeinschaft).

Noch immer gelingt es den Organisatoren, originelle Lesungsorte zu finden. Die wurden früh ein Markenzeichen des Festivals, das so signalisieren wollte: Die Kriminächte sind nicht einfach eine dichte Ballung dessen, was die Buchhandlungen auch ohne uns das ganze Jahr über anbieten. Einige der Leseorte sind darum für die Stammbesucher auch nicht mehr originell, sondern geliebt und vertraut, fester Teil der Folklore des Krimimarathons. In diese Kategorie fällt ganz sicher das Krematorium auf dem Pragfriedhof, wo Leonhard F. Seidl am 10. März um 20 Uhr im Gespräch mit dem Journalisten Wolfgang Niess seinen Roman „Fronten“ vorstellen wird.

Der außergewöhnlichste, so vielleicht nie wieder buchbare Veranstaltungsort in diesem Jahr dürfte der Kriegsbergtunnel sein, eine der aktuellen S-21-Baustellen der Bahn. Um 19.30 am 13. März treffen sich die Interessierten im Turmform am Hauptbahnhof, von dort bringt sie ein Shuttlebus in Stuttgarts Unterwelt. Im Tunnel servieren der Schauspieler Gregor Seberg („Soko Donau“) und der Jazzgitarrist Jo Ambros eine vermutlich sehr atmosphärische Kostprobe aus Graham Greenes Roman „Der dritte Mann“, dessen Verfilmung durch Carol Reed aus dem Jahr 1949 regelmäßig sehr weit vorne auf den Listen der besten Filme aller Zeiten landet. Orson Welles hatte hier einen seiner bekanntesten Auftritte, die auf der Zither gespielte Titelmelodie wurde zum ewigen Ohrwurm.

Wolfgang Schorlaus neuer Roman „Der große Fall“

Die Geschichte spielt zum Teil in der Kanalisation Wiens, man kann also zwei ungewöhnliche Orte, den im Buch und den der Lesung, auf ihre Ungemütlichkeitswerte hin abklopfen. Im Anschluss an die Veranstaltung findet für Interessierte noch eine Tunnelführung statt.

Da es in Stuttgart einige literaturaffine Menschen gibt, die das Bahn-Projekt S 21 für kriminell jenseits biederer Krimiproportionen halten, und andere Menschen, die das fortgesetzte Protestieren gegen S 21 als Verbrechen wider die staatsbürgerliche Vernunft ansehen, könnte dies bei entsprechendem Besuchermix eine Veranstaltung mit hoher Eigendynamik werden. Empfindsame seien vorgewarnt.

Nun gibt es viele Arten Krimileser. Die einen empfinden Mordgeschichten als freundliche Fantasien, als angenehme Ablenkung vom Alltag – als sei die reale Welt generell friedlich und bedrohungsfrei. Andere dagegen sehen den Krimi als Röntgengerät der Realität, das Verborgenes zum Vorschein bringt – als seien Krimis eine höhere Form des Journalismus.

Zu letzterer Gruppe zählen die Fans des Stuttgarter Autors Wolfgang Schorlau, dessen Romane um den Privatdetektiv Georg Dengler immer neue Problemzonen der Wirklichkeit erkunden. Am 14. März um 20 Uhr stellt Schorlau im Kursaal Bad Cannstatt seinen neunten Dengler-Krimi „Der große Fall“ vor. Diesmal geht es um die große Wirtschaftskrise in Griechenland, um die gigantischen Beträge, die zur Rettung des dortigen Finanzwesens und damit der des Euro bereitgestellt wurden, sowie um die Frage, wo dieses Geld gelandet ist.

Trotz solcher ernster Themen sei an die Worte des großen Kritikers und Büchermachers Otto Penzler erinnert: Krimihelden, schrieb der, seien trotz ihrer gelegentlichen Fehler die Nachfolger der romantischen Helden: Figuren, wie wir sie nur zu gerne auch im Leben kennen würden.