„Alice“ bringt Spiegelwelten auf die Bühne Foto: Theaterhaus

"Wunderbar – wie seltsam heute alles ist! Und gestern war alles ganz wie gewohnt. Ob ich in der Nacht vertauscht worden bin?“, heißt es in Lewis Carrolls "Alice im Wunderland“. Choreograf Mauro Bigonzetti macht nun für Eric Gauthier und Ensemble das Wunderland als Tanzereignis erlebbar.

„Wunderbar – wie seltsam heute alles ist! Und gestern war alles ganz wie gewohnt. Ob ich in der Nacht vertauscht worden bin?“, heißt es in Lewis Carrolls „Alice im Wunderland“. Choreograf Mauro Bigonzetti macht nun für Eric Gauthier und Ensemble das Wunderland als Tanzereignis erlebbar.

Stuttgart - Lewis Carrolls fiktive Welt, die er in seinem 1865 erschienenen Buch „Alice im Wunderland“ aus der Fantasie erweckt, gehört zu den Klassikern der Weltliteratur. Das Werk lebt ganz von der Sprache, weswegen es häufig in Kunstsparten erlebbar gemacht wird, die durch das Wort dominiert werden. Die Palette reicht von Fernsehserien über Spielfilme und Animationsfilme, und auch in der Oper singt Alice von ihren unterschiedlichen Welten.

2011 stellt der britische Choreograf Christoper Wheeldon mit dem Londoner Royal Ballet den literarisch-metaphysischen Stoff erstmals buchstäblich auf die Füße. Auf dieses Abenteuer lässt sich nun auch die Stuttgarter Kompanie Gauthier Dance im Theaterhaus Stuttgart ein. Der italienische Choreograf Mauro Bigonzetti hat für das Ensemble von Eric Gauthier seine Version von „Alice“ erarbeitet.

„Es ist die Vorstellungskraft, die uns Menschen frei macht, frei, unsere Größe und Gestalt zu wechseln, frei, unsere Ängste und Fantasien durchzuspielen“, sagt Bigonzetti unserer Zeitung. Und dass er sich besonders freue, den literarischen Stoff mit der Theaterhaus-Kompanie präsentieren zu können. „In Gauthier Dance sind alle Charaktere vertreten, alle Persönlichkeiten, die ich für Alice brauche, das ist perfekt.“

Typischer Bigonzetti-Plural: Für die Partie der Titelheldin hat er mit Anna Süheyla Harms und Garazi Perez Oloriz zwei Tänzerinnen gefunden, die unterschiedlicher kaum sein könnten. „Wir konnten sparen und müssen keine extra Bewegungen machen“, lacht der 1960 in Rom geborene Choreograf. Groß, rothaarig ist Anna Süheyla Harms, deutlich kleiner Garazi Perez. Dass sich sowohl ihre Körpergröße als auch ihr Tanzstil unterscheiden, passt zur literarischen Alice.

Im Probensaal des Theaterhauses wird eine Szene erarbeitet, in der „die Queen“, eine Figur mit zerstörerischen Dimensionen, die Zwillinge massakriert. Anneleen Dedroog formt ihre langen, schlanken Gliedmaße zu bizarren Bewegungen, kehrt mit einer Art Rülpser ihr Inneres nach außen, zerrt an den Haaren der Zwillinge, die heute ohne Perücke tanzen. Wieder und wieder bittet Mauro Bigonzetti zur Wiederholung, rau tönt der Gesang der Sängerinnen, die von Alice und ihrer seltsamen Welt berichten. Auch die beiden Titelheldinnen tanzen im Probensaal, und vor dem Spiegel korrigiert ein wenig später Rosario Guerra in der Rolle des weißen Kaninchens seinen Part.

Auch wenn Mauro Bigonzetti spaßeshalber von seiner „Sparbesetzung“ der Alice-Titelrolle berichtet – eine Sparversion des ursprünglichen Lewis-Carroll-Sujets erwartet das Publikum nicht. Die szenisch angelegte Handlung des abendfüllenden Balletts wird auch von Musikern vorangetrieben. Schon in seiner Choreografie „Cantata“, die Bigonzetti mit Gauthier Dance erarbeitete, hatte die Musik einen wichtigen Part. Instrumente wie Flöte, Bandoneon, Harfe und Percussion, gespielt von Antongiulio Galeandro und Enza Pagliare, finden sich nun mit den drei Sängerinnen von Assurd (Cristina Vetrone, Enza Prestia und Lorella Monti) in einer wunderbar-herben Komposition – ein Auftragswerk Bigonzettis eigens für „Alice“ an die Musiker.

„Anders als in ‚Cantata‘ werden die Musiker in ‚Alice‘ sowohl mit Kostümen als auch mit Bewegungen stärker in die Choreografie einbezogen“, sagt Mauro Bigonzetti. Mit dieser Zusammenarbeit erfüllt sich für die fünf Künstler der Traum, in einem Stück gemeinsam auf der Bühne zu musizieren.

„Künstler zwischen den Welten“ wird Bigonzetti auch deshalb genannt, weil er sich zwischen unterschiedlichen Kulturen und Sprachen, aber auch zwischen dem Bewegungsrepertoire von Klassik und Moderne bewegt. In Stuttgart begeisterte er das Publikum zuletzt mit „I Fratelli“ für das Stuttgarter Ballett und eben „Cantata“ für Gauthier Dance. „Bei ‚Alice im Wunderland‘ fasziniert mich die halluzinatorische Atmosphäre, das Spiel mit unendlichen Möglichkeiten, Bildern, Klängen und der Symbolik, die sich im Stoff verbirgt“, sagt Bigonzetti. Einfache Objekte, Licht und Videoeinspielungen sollen die Fantasie des Publikums reizen, sich selbst einen geistigen Raum der Imagination zu schaffen.

„Hinter dem Tanz steckt eine zweite Dimension“, sagt Mauro Bigonzetti. Und dass sich hinter der Fassade eines jeden Menschen verschiedene Facetten seiner Persönlichkeit verbergen, die sich in einer „verrückten“ Wirklichkeit nicht mehr zu verstecken vermögen.

Uraufführung am 25. Juni, Theaterhaus Stuttgart.
Karten unter 0711/402 07-20 oder im Internet