Die Fans der Stuttgarter Kickers auf Auswärtsfahrt – bald wieder in der Regionalliga? Foto: Pressefoto Baumann

Die Stuttgarter Kickers haben beste Aussichten auf den Aufstieg in die Fußball-Regionalliga – der Optimismus der Verantwortlichen bleibt aber vorsichtig. Zu viel steht auf dem Spiel.

Stuttgart - Auf der Tribüne umarmten sich die Verantwortlichen der Stuttgarter Kickers inniger als sonst nach Siegen. Die Fans ließen die Mannschaft vor ihrem Block im Wasenstadion hochleben, als wäre die Meisterschaft in der Fußball-Oberliga schon perfekt. Die emotionalen Szenen, die sich nach dem 1:0-Sieg der Blauen im Spitzenspiel beim SGV Freiberg abspielten, hatten etwas von einer vorgezogenen Aufstiegsfeier. Ein paar Meter weiter stand Rainer Lorz. Mitten auf dem Spielfeld. Der Kickers-Präsident freute sich nach innen und hob warnend den Zeigefinger: „Natürlich war das ein elementar wichtiger Erfolg, aber wir sind doch gebrannte Kinder.“ Er spielt auf die Drittliga-Saison 2015/16 an.

Damals hatten die Kickers vor den letzten beiden Spieltagen ein Sechs-Punkte-Polster auf einen Abstiegsplatz – und stürzten am Ende auf dramatische Weise doch noch ab. Diesmal ist die Ausgangsposition vor dem Heimspiel an diesem Mittwoch (14 Uhr/Gazistadion) gegen den FV Ravensburg auch gut, aber fünf Spieltage vor Schluss ist das Ziel eben noch lange nicht erreicht.

Die Kickers-Familie rückt zusammen

Völlig klar: Die Enttäuschung wäre riesengroß, wenn der Sprung nach oben auf den letzten Drücker verpasst würde (der Meister steigt direkt auf, dem Vize-Meister bleibt die Chance über die Aufstiegsspiele). Doch die Führungsetage der Blauen ist klug genug, alle Eventualitäten auf dem Schirm zu haben und plant zweigleisig: Der Etat von rund 1,05 Millionen Euro für die erste Mannschaft würde auf etwa 800 000 Euro reduziert. „Vieles müsste auf den Prüfstand“, räumt Lorz ein. Die Voraussetzungen, es im zweiten Anlauf zu schaffen, wären deutlich schlechter als in dieser Saison. Zumal auch die Euphorie bei den Fans gedämpft wäre.

Zu diesen Fans zählt auch einer, der zu glorreichen Bundesligazeiten für die Kickers stürmte: Ralf Vollmer. „Es ist doch sensationell wie die Kickers-Anhänger mitziehen“, stellte Ex-Profi in Freiberg fest. Über 1000 Fans unterstützten ihr Team dort, am Ostermontag in Göppingen waren es sogar noch mehr. Es herrscht Party-Stimmung auf den Sportplätzen, wenn die Kickers kommen. „Irgendwie ist es völlig verrückt. Auch ich selbst bin so nah dran und emotional dabei wie noch nie in den vergangenen 20 Jahren“, sagt Vollmer. Woran das liegt? Der 56-Jährige überlegt kurz, dann wählt er den Vergleich mit einer Familie, die in Not gerät: „Auch da rückt man eng zusammen, auch da ziehen alle mit und Grabenkämpfe verschwinden.“

Der Aufstieg ist alternativlos

Kann also, ausgehend vom Tiefpunkt der 120-jährigen Vereinsgeschichte, wieder etwas entstehen beim Degerlocher Tradtionsclub? „Der nächste Schritt muss kommen, sonst besteht die Gefahr, dass das ganze verpufft“, meint Vollmer. Mit anderen Worten: Der Aufstieg ist eigentlich alternativlos. Wobei auch das Kickers-Urgestein weiß, dass dieser trotz der besten Rahmenbedingungen der Liga kein Selbstläufer ist: „Alle sind extrem heiß auf die Kickers, die Mannschaft hat praktisch nur Spiele mit Pokal-Charakter.“

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Für die Regionalliga-Lizenz muss lediglich bis Mitte Mai eine Bankbürgschaft in Höhe von 35 000 Euro hinterlegt werden. Klappt es mit dem Aufstieg könnte der Etat auf rund 1,4 Millionen Euro erhöht werden. Den größten Beitrag leistet dabei MHP, dessen geschäftsführender Gesellschafter Ralph Hofmann genauso im Kickers-Aufsichtsrat sitzt wie Porsche-Finanz-Vorstand Lutz Meschke. Von MHP, der 80-prozentigen Porsche-Tochter, kamen in den vergangenen Wochen sogar klare Signale, den Verein im schlimmsten Fall auch ein zweites Jahr in der Oberliga zu unterstützen, was für solch ein Unternehmen alles andere als eine Selbstverständlichkeit ist. Die Kontinuität in der Kickers-Clubführung zahlt sich in diesem Fall aus. Unabhängig von vielen sportlichen Fehlentscheidungen in der Vergangenheit kann der Führungsetage um Präsident Lorz eines nicht abgesprochen werden: Verlässlichkeit und Seriosität.

Verstärkungen im Falle des Aufstiegs

Die Granden der Blauen arbeiten mit Hochdruck daran, wieder eine einigermaßen brauchbare Alternative zum Big Business auf der Cannstatter Seite des Neckars zu werden. Trotz notorisch knapper Kasse. Die Infrastruktur mit dem Stadion ist drittligatauglich, die Jugendarbeit wieder absolut professionell. Und aus den Fehlern der Vergangenheit habe man gelernt, versichert Lorz: „Wir wollen nichts mehr erzwingen.“ Gnadenloser Realismus statt weltfremder Träumereien heißt die Devise. „Steigen wir auf, wollen wir uns erst einmal in der Regionalliga etablieren.“

Das würde schwer genug. Denn die Mannschaft von Trainer Tobias Flitsch müsste deutlich verstärkt werden. Dem Sportlichen Leiter Martin Braun schweben nach dem Motto „Klasse statt Masse“ drei bis vier externe Neuzugänge vor. Ob das reicht?

Zukunftsmusik. Nach all den Niederschlägen in den vergangenen Jahren haben die Kickers gelernt, erst einmal ihre Hausaufgaben zu erledigen. Nicht dass eine Saison mit verlockender Aussicht am Ende doch noch zum Horror-Trip wird.