Rudolf Simon informiert über die Stuttgarter Gruppe von Wikipedia Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Viele nutzen Wikipedia als unerschöpfliche Online-Wissensquelle. Doch wie funktioniert die Netz-Enzyklopädie? Zum ersten Mal hat die lokale Wikipedia-Gruppe über ihre Arbeit informiert.

Stuttgart - Wie geht Wikipedia? Wer darf in der freien Online-Enzyklopädie überhaupt schreiben? Wann bleibt ein Beitrag dauerhaft veröffentlicht? Wann wird er wieder gelöscht? Und wie schützt sich die Enzyklopädie vor Missbrauch? „Das sind Profis hier, denke ich mal, da kann man fragen, wie Wikipedia funktioniert“, sagt Agatha Krawczuk. Die 23-Jährige aus Stuttgart erhofft sich im Wikipedia-Lokal im Welthaus am Sonntag „konkrete Tipps“, denn sie nutzt Wikipedia nicht nur als „Wissensquelle“, sondern möchte „perspektivisch selbst Wiki-Autorin werden“.

Zwischen Wissen und Zensur

Da ist Rolf Acker genau der richtige Ansprechpartner. Der Informatiker aus Ludwigsburg publiziert seit mehr als zehn Jahren in der Netz-Enzyklopädie. „Sicher weit über hundert Texte“ hat er schon beigesteuert – über Sport, über „viele regionale Themen“ und über die Stolperstein-Initiative, in der er sich engagiert. Acker ist ein überzeugter „Wiki-Mann“: „Freies Wissen, frei zugänglich machen. Das ist Wikipedia. Ich möchte dazu beitragen, dass es dieses großartige Projekt auch in Zukunft gibt.“ Und wie sieht er die Qualitätsfrage bei den Inhalten? „Was nicht belegt ist, fliegt über kurz oder lang wieder raus.“

Da wird Ian Portman hellhörig. Genau deswegen ist er an diesem Sonntag zu „Wikipedia vor Ort“ ins Welthaus gekommen: „Von mir wurden mehrfach Texte rausgeschmissen, die sich kritisch mit Israel befassen, die aber ganz bestimmt nicht antisemitisch waren. Das ist Zensur“, findet der in Stuttgart lebende Brite. Jetzt will er wissen, „was dahintersteckt, was die Wiki-Leute dazu sagen“, denn im Prinzip findet er „sehr gut, was Wikipedia leistet. Aber sie haben auch eine Macht, die mir nicht gefällt“.

Regelmäßige Treffen in der Stadtbibliothek

Man ist also rasch mittendrin in der Debatte um Vor- und Nachteile von Wikipedia, auch wenn der offizielle Auftakt am Sonntagmorgen ziemlich holprig abläuft. Das hat mindestens zwei Gründe. Zum einen steigt der Browser immer wieder aus, wenn über ein Dutzend Leute gleichzeitig im Netz sein wollen. Zum anderen haben sich die Teilnehmer rasch in dem Knäuel von Fragen verheddert, paarweise und in kleinen Gruppen.

Auch Rudolf Simon, der Kopf der rund 30 Personen starken Stuttgarter Community, die sich regelmäßig in der Stadtbibliothek trifft, „weil dort die Internet-Kapazität da ist“, wie er sagt. Jetzt erklärt er einem Trio, wie das „Schnur-Alarmvorgangssystem“ funktioniert, nachdem beim Stichwort „Schweizer Häuschen“ angezeigt wurde, dass es „Versionsunterschiede“ gibt. Er klickt in das passende Fenster und schickt dem Neu-Autor eine „Begrüßungsnachricht“: „Relevanz fraglich. Hast du Fragen? Kannst dich bei mir melden.“ Simon zeigt, wie jeder Schritt hinterlegt wird und so in jedem Detail nachvollzogen werden kann.

An diesem Sonntag wollen Simon und seine Mitstreiter, „die interessierte Öffentlichkeit einbeziehen, Wiki erklären und für mögliche Autorinnen und Autoren die Zugangsschwelle senken“. Denn immer wieder mache er die Erfahrung, „dass Leute zwar wollen, aber sich nicht richtig rantrauen“, sagt der Maschinenbauingenieur. Selbst bei einem Kurs an der Universität habe er kürzlich „diese Scheu wieder erlebt“.

Vom Interesse überwältigt

Angesichts von zwei Dutzend Teilnehmerinnen und Teilnehmern zum Start des Info-Tages zeigt er sich „überwältigt“: „Ich dachte, wir sitzen da erst mal gelangweilt herum. Und für den Nachmittag haben sich noch einige mehr angemeldet. Es ist schön zu sehen, wie die Leute sich durchfragen.“ Er selbst habe „viel vom Wissen anderer Leute profitiert“. Deshalb sei seine Motivation fürs ehrenamtliche Wiki-Engagement: „Ich möchte etwas zurückgeben.“ Sabine Keitel wiederum, Mitarbeiterin bei der Landeszentrale für politische Bildung, wurde aktiv, als sie erfuhr, dass nur zwölf Prozent der Wiki-Texte von Frauen sind. „Deshalb fehlen viele Themen und eine andere Perspektivik. Das sollte sich ändern“, sagt sie.